Der (zweifelhafte) Nutzen von Statistik

Der erste Workshop, den ich bei der IAFFE-Konferenz besuchte, hatte das Thema „Gendered Fields: Women’s Labor in Agriculture“ und bestand vor allem daraus, dass Feldstudien vorgestellt wurden: Els Lecoutere sprach über den Zusammenhang zwischen veränderten Geschlechterrollen und einer Intensivierung der Kaffeeproduktion in einem kleinen Dorf in Uganda, Jing Liu hatte die Versuche der chinesischen Kommunisten untersucht, unter der Landbevölkerung mehr Gleichberechtigung einzuführen (am Beispiel einer Landkommune in den 1970er Jahren). Billy Nyagaya stellte eine Studie vor über die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Mangoproduzentinnen und Mangoproduzenten in einem Dorf in Kenia, und Jennifer Twyman hatte untersucht, welchen Anteil das Einkommen auf die Entscheidung von Frauen und Männern in einer bestimmten Region Kolumbiens hat, in Haushalten oder auf dem Feld zu arbeiten.

Die Kurzvorträge waren alle sehr statistisch basiert, und da ich mich mit Statistik nicht sonderlich auskenne, hab ich nicht so wirklich alles im Detail verstanden. Interessant war aber anschließend die Diskussion darüber, wie solche Interviews vor Ort organisiert werden. Sollen Männer Männer und Frauen Frauen interviewen? Oder führt das zu „gender conforming“ Antworten? Sollen die Leute aus derselben Community kommen sie die Interviewer_innen (eher nicht, weil man dem Nachbarn ja über persönliche Dinge nichts erzählen will, andererseits müssen sie aber die Sprache können)…. Und so weiter. Feldforschung ist wirklich sehr komplex…

Ich habe mich allerdings gefragt, wozu solche Studien eigentlich gut sind. Denn in keinem Fall waren die Ergebnisse großartig überraschend. Solche Zahlen sind doch immer nur ein kleiner Baustein in einem sehr komplexen Gefüge. Dass zum Beispiel kolumbianische Männer mehr Geld angeboten kriegen müssen, um von der Feldarbeit zur Hausarbeit zu wechseln als Frauen ist doch keine Überraschung (überraschend höchstens für Leute, die an den Homo Oeconomicus glauben, denn kolumbianische Männer entscheiden über ihre Erwerbsorientierung offenbar höchst irrational: Selbst wenn sie dort ein Vielfaches verdienen würden, würden sie nicht von der Feldarbeit zur Hausarbeit wechseln).

Interessant fand ich auch die Mango-Studie aus Kenia. Denn einerseits gab es das erwartbare Ergebnis, dass Frauen, die Mangos produzieren, nicht so gute Preise erzielen wie die Männer und häufiger von Zwischenhändlern abgezockt werden. Und natürlich ist es gut, wenn so eine Studie dazu dient, Programme anzustoßen, die Frauen besser über Marktpreise und Absatzmöglichkeiten informieren und so weiter. Andererseits fand ich die Unterschiede nun auch wieder nicht so dramatisch groß, vor allem angesichts der Tatsache, dass laut Billy Nyagaya die Mangoproduktion in dieser Region eine historisch männliche Tätigkeit ist.

Whatever: Ich bleibe bei meiner Meinung, dass Studien und statistische Untersuchungen überbewertet werden. Und dass es durchaus ein Problem ist, dass solche „empirische“ Forschung mit viel mehr Geld gepampert wird als analytische, spekulative, ideenproduzierende Arbeiten.

 

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

4 Gedanken zu “Der (zweifelhafte) Nutzen von Statistik

  1. „Ich habe mich allerdings gefragt, wozu solche Studien eigentlich gut sind.“
    Quantitative empirische Studien sind dazu gut, die Hypothesen von analytischen, spekulativen, ideenproduzierenden Arbeiten zu überprüfen und ihre Ergebnisse auf eine verallgemeinerbare Basis zu stellen. Wenn sie diese schlicht bestätigen heißt es gerne, das wussten wir doch alles schon vorher; spannend wird es aber dann, wenn die Statistik zu anderen Schlussfolgerungen kommt, als die Hypothesen oder die subjektive Einschätzung hätten erwarten lassen. Dann sagt auch niemand mehr, die Ergebnisse seien nicht sonderlich überraschend…

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  2. Das liest sich ja, als stünden empirische Beobachtung und theoretische Arbeit in Konkurrenz zueinander. Vielmehr ergänzen sie sich: https://en.wikipedia.org/wiki/Scientific_method#/media/File:Scientific_Method_3.jpg

    Problematisch wird es natürlich, wenn in einer Arbeit fast nur beobachtet wird (und z.B. aus dem Blick gerät, was eigentlich die Fragestellung und der Zweck der Arbeit ist) oder fast nur theoretisiert wird (und die Wirklichkeit aus dem Blick gerät).

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  3. Was ist überzeugender? Wenn jemand darauf verweisen kann, dass eine empirische Studie ergeben hat, dass kolumbianische Männer mehr Geld angeboten kriegen müssen, um von der Feldarbeit zur Hausarbeit zu wechseln als Frauen? Oder wenn jemand darauf verweisen kann, dass es seiner Meinung nach sicher so ist, dass kolumbianische Männer mehr Geld angeboten kriegen müssen, um von der Feldarbeit zur Hausarbeit zu wechseln als Frauen („weil … es wäre echt überraschend, wenn es anders wäre“)?

    Dass Zahlenmaterial „nur ein kleiner Baustein in einem komplexen Gefüge ist“ – das finde ich nun wieder nicht so überraschend. 😉 Logo ersetzt eine Erhebung keine theoretische Reflexion!

    Im Übrigen würde es mich nicht überraschen (!), wenn vieles von dem, was wir nicht überraschend finden, wir deshalb so unüberraschend finden, weil jemand sich mal die Mühe hat, es quantitativ zu belegen. Sonst würden wir uns vielleicht immer noch die Köpfe heiß reden, ob es denn tatsächlich stimmt, dass – nur zum Beispiel – Männer für ganz vergleichbare Tätigkeiten besser bezahlt werden als Frauen.

    Die Frage, wie die Prioritäten bei der Vergabe von Geldern sind finde ich nun wieder spannend. Gibt’s da Zahlen dazu? 😉 Oder ist das auch Common Sense (überrascht ja keinen!), dass für quantitative Studien mehr Geld fließt als für qualitative Arbeit?

    Im Übrigen danke für die immer interessanten Texte in diesem Blog.

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  4. @Ben, Kilian – Ja klar, ich wollte es auch nicht als Entweder-Oder da stehen lassen, empirische Studien sind natürlich nicht komplett überflüssig. Aber sie kommen ja oft als alleinstehend daher, zumindest in den Medien. Bei der Diskussion hier wurde mir klar, wie stark das Ergebnis solcher Befragungen vom Setting und von der Anlage der Befragung abhängt. Problematisch finde ich aber, das gerade in den Geisteswissenschaften (zu denen ich die Ökonomie mal hinzuziehe, aber es gilt auch für andere Fächer), solche empirisch angelegten Projekte viel leichter Gelder aquirieren können und viel stärker gefördert werden als andere. Und das finde ich unangemessen, weil sie nicht mehr „Erkenntnisse“ versprechen und oft auch zweifelhafte Erkenntnisse, die aber, weil „Zahlen“ immer den Geruch einer objektiven Neutralität suggerieren, zu wenig kritisch hinterfragt werden.

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