Ich gebe zu, dass ich lange sehr skeptisch gegenüber dem Projekt „Mein Grundeinkommen“ war. Finanziert aus privaten Spenden werden dabei Ein-Jahres-Grundeinkommen von 1000 Euro pro Monat verlost, also 12.000 Euro pro Gewinner*in. Ich hielt das für Effekthascherei, mich machte skeptisch, dass die Medien sich so darauf stürzten, obwohl es doch gar kein richtiges Grundeinkommen ist – denn ein richtiges Grundeinkommen, davon bin ich immer noch überzeugt, müssen ALLE bekommen und auch nicht nur für eine begrenzte Zeit.
Aber dann saß ich voriges Jahr bei einem Kongress zufällig beim Abendessen neben Claudia Cornelsen, die zusammen mit dessen Erfinder Michael Bohmeyer eine der treibenden Kräfte hinter „Mein Grundeinkommen“ ist. Sie ist PR-Frau und auch Ghostwriterin von Götz Werner. Wir kamen ins Gespräch – und, was soll ich sagen, sie steckte mich mit ihrem Elan irgendwie an. Vor allem war mir sympathisch, wie konsequent sie die „Bedingungslosigkeit“ des Grundeinkommens ins Zentrum ihrer Argumentation stellte (und nicht, wie viele andere, die Höhe), denn genau das ist, so sehe ich es auch, das Besondere und Neue an diesem ganzen Ansatz: dass man das Geld bekommt ohne irgend einen persönlichen „Grund“.
Eingenommen hat mich auch, dass Cornelsen meine Einwände nicht nur kannte, sondern auch für stichhaltig hielt – ihr Argument war wiederum, dass es umso verblüffender wäre, wie viele positive Erfahrungen schon bei diesem konzeptionell schlechten Experiment gemacht würden. Und sie erzählte mir von ihrem Vorhaben, aus genau diesen Erfahrungen ein Buch zu machen.
Jetzt ist dieses Buch da. (Naja, seit Januar schon, aber ich bin erst jetzt dazu gekommen, es zu lesen :)) „Was würdest du tun? Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert“ ist der Titel, und es ist eine wirklich wirklich lohnende Lektüre. Die Basis sind Interviews, die Michael Bohmeyer und Claudia Cornelsen mit 24 Gewinner*innen des Grundeinkommens (nach Abschluss des Jahres) geführt haben. Die ganz unterschiedlichen Erzählungen darüber, was die Betreffenden mit dem Geld gemacht haben, schildern sie in den verschiedenen Kapiteln, die gleichzeitig so sortiert sind, dass sie auch die Theorie und Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens vermitteln.
Das liest sich – auch weil es gut geschrieben ist, für politische Bücher ja auch keine Selbstverständlichkeit – leicht runter, und trotzdem wird nebenbei das deutlich, was sie „das Grundeinkommensgefühl“ nennen. Also eben jenes Surplus, jenes MEHR, das das Grundeinkommen von einer üblichen sozialpolitischen Maßnahme unterscheidet – das Befreiende daran, das Großzügige, das Menschliche, das Gemeinschaftliche.
Ein großes Plus ist, dass dabei auch problematische Aspekte zur Sprache kommen. Auch Grundeinkommensgewinner*innen sind ja nicht alles Engel, manche sind zum Beispiel politisch ziemlich rechts, oder sie stammen aus reichen Familien und legen das Geld nur aufs Konto, oder sie kaufen sich dafür bloß Flugtickets und steigen den CO2-Verbrauch. Gleichzeitig sind genau diese Geschichten so spannend, weil sie Einblick in ganz verschiedene Lebensrealitäten geben und deutlich machen, dass sich Menschen eben nicht über einen Kamm scheren lassen. Es gelingt der Autor*in, in einer guten Mischung aus eigener subjektiver Erwartungshaltung, der Schilderung des Gegenübers und einer theoretischen Einordnung dem Thema gerecht zu werden. Politische Strandlektüre mit Substanz. Und ein Buch, das meiner Ansicht nach auch gut geeignet ist, um es Leuten zu schenken, die sich neu mit dem Thema beschäftigen möchten (Weihnachten steht ja quasi schon vor der Tür).
Einer der als problematisch erkannten Punkte am Projekt „Mein Grundeinkommen“ hat inzwischen bereits zu einem Folgeprojekt geführt. Bezieher*innen von Hartz IV können nämlich kein Grundeinkommen gewinnen, weil es ihnen sofort mit den Hartz IV-Beiträgen verrechnet würde. Deshalb gibt es nun auch das Projekt „Sanktionsfrei“. Verlost wird dabei kein Grundeinkommen, sondern die Sanktionsfreiheit, das heißt, wer gewinnt, bekommt drei Jahre lang nicht nur Unterstützung im Umgang mit dem Jobcenter, sondern auch im Fall, dass die Zahlungen gekürzt werden (weil man zum Beispiel einen Termin nicht wahrnimmt oder eine Bewerbung nicht abgibt) den Betrag ersetzt. Auch hier geht es wieder um die Erfahrung der Bedingungslosigkeit.
Michael Bohmeyer, Claudia Cornelsen: Was würdest du tun? Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert. Econ, 2019, 285 Seiten. 16 Euro.
Ich hab das Projekt schon immer gut gefunden. Was mich an der Debatte aber besonders bewegt, scheint aber auch hier wieder kein Thema zu sein: nämlich die Frage der Finanzierung.
Götz Werner will das mit Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren, und das ist nun mal eine der ungerechtesten Steuern überhaupt.
So sehr ich für ein Grundeinkommen bin, so wenig könnte ich zustimmen, dass das über eine Verbrauchssteuer finanziert wird, die Geringverdienende wesentlich existenzieller trifft als die Einkommens-, geschweige denn die Vermögenssteuer.
LikeLike
@spbrunner – In dem Buch wird thematisiert, was der Vorteil der FInanzierung von „mein Grundeinkommen“ ist im Gegensatz zu staatlich finanzierten Pilotprojekten, nämlich dass es aus Spenden finanziert wird und daher nicht bei Regierungswechsel gestoppt werden kann, so wie z.B. Kanada oder Finnland. Zur Finanzierung generell – das Gute an der Mehrwertsteuerfinanzierung ist natürlich, dass sie den Konsum besteuert und nicht die Produktion, das ist gerade in Kombination mit dem Thema Klimakatastrophe auch von Interesse. Es kommt natürlich darauf an, wie man es einbettet. Die Höhe des Grundeinkommens steht ja auch nicht fest, wenn sie eine teilhabesichernde Existenzhöhe haben soll, muss die Mwst. da mit drin sein. EIn Teil kann auch über kostenlose Infrastruktur, z.b. ÖPNV organisiert werden. Wie auch immer – ich finde tatsächlich, dass es gut wäre, bei den Debatten über soziale Sicherungsmodelle nicht immer alles in einen Topf zu werfen. Die Frage nach der Umverteilung, von Armut und Reichtum, ist auch wichtig, aber sie ist eben erstmal eine ANDERE als das Grundeinkommen. Dabei geht es um die bedingungslose Existenzsicherung – und es wäre ganz gut, wenn wir diese beiden Themen von ihrer Logik her trennen. Auch weil das Grundeinkommen nämlich vom Prinzip her KEINE Antwort auf die Ungerechtigkeiten unseres WIrtschaftssystems gibt (genauso wenig auf die Care-Problematik). Es muss eh immer klar sein, dass diese Fragen ZUSÄTZLICH noch beantwortet werden müssen und das BGE darauf keine Antwort gibt.
LikeLike
Was ich so grandios am BGE finde: dass es völlig bricht mit unserem Verständnis von Erwerbsarbeit und Einkommen. Allein schon dass es gedacht/ausprobiert und diskutiert wird, ist ein grosser Gewinn.
LikeLike