Ist es nicht sehr erstaunlich, wie wenig geschlechterpolitische Analysen in diesem Krieg eine Rolle spielen? In der medialen Begleitdebatte scheint sich kaum jemand zu trauen, Worte wie „Feminismus“ oder „Frauen“ in den Mund zu nehmen.
Dass die Verhandlungsdelegationen ausschließlich aus Männern bestehen, wird als selbstverständlich zur Kenntnis genommen. Auch dass die stärksten inländischen Proteste sowohl gegen Putin (Pussy Riot) als auch gegen Lukaschenko feministische Proteste waren, spielt in den Analysen keine Rolle.
Meiner Ansicht nach ist ein Großteil der westlichen Fehlanalysen und Fehleinschätzungen gegenüber Putin auch darin zu sehen, dass seine Unterdrückung von Feminismus und Queeren für nebensächlich gehalten wurde. Dabei ist sie ein Pfeiler seiner Herrschaft.
Ich bin auch der Meinung, dass die Bewunderung, die ihm von Machthabern überall auf der Welt (Erdogan, Schröder usf) entgegengebracht wird auch etwas mit seiner Performance von Männlichkeit zu tun hat. Über das „männliche Imaginäre“ schrieben wir 1999 schon hier – und es ist doch bei Putin so überdeutlich zu sehen!
Auch Merkels Fehleinschätzung Putins hatte imho damit zu tun, dass sie glaubte, ihm entgegenkommen zu müssen aufgrund der Machtverhältnisse, und es wäre zumindest interessant, die These zu diskutieren, inwiefern ihr Frausein (und die Art seines Mannseins) dabei eine Rolle spielt.
Bei weiterem Nachdenken kämen sicher noch viele weitere Aspekte zutage, aber es scheint fast ein Tabu zu sein, darüber zu sprechen, so als wollte man dieses „ernsthafte Problem“ des Kriegs nicht mit Genderfragen, ja was – banalisieren?
Das einzige, was ich gelesen habe, ist Kritik daran, dass die Ukraine Frauen ausreisen lässt und Männer nicht. Und die Antifeministen schreien, dass mehr Männer als Frauen im Krieg sterben und wir deshalb keine feministische Außenpolitik bräuchten.
Aber feministische Analyse ist doch mehr als Quoten zählen, Fifty-Fifty-Rechnungen und Diskriminierungshierarchien. Es geht hier um symbolische Ordnungen, geschlechterpolitische Theoreme usw. Und ich denke, die aktuelle Situation ist ohne das nicht zu verstehen.

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