Filmreif: Paul Verhoevens Jesus-Buch

jesus3Wenn ein Hollywood-Prominenter ein Buch über Jesus schreibt, ist erstmal Skepsis angebracht – normalerweise folgt dann ziemlicher Schwulst. Nicht so bei Paul Verhoeven. Der niederländische Filmemacher, der durch Kassenschlager wie Basic Instinct berühmt geworden ist, kennt sich gut aus in der Materie. Er kennt die einschlägigen theologischen Debatten und Theorien und ist seit 1986 Mitglied im Jesus Seminar, einem US-amerikanischen Zusammenschluss kritischer Theologen und Bibelforscherinnen.

In seinem gut recherchierten und schön verständlich geschriebenen Buch nimmt er sich einer Frage an, die viele Menschen interessiert, innerhalb der theologischen Wissenschaft aber seit langem als veraltet gilt: Wie war das damals wirklich mit Jesus? Was lässt sich aus den historischen Quellen und Dokumenten herausfiltern, wenn man davon ausgeht, dass nichts Übernatürliches im Spiel ist? Erfrischend ist, wie er mit dem Blick eines Filmemachers an die Frage herangeht, welche dramaturgischen Elemente die Autoren  (von Autorinnen geht Verhoeven nicht aus) der Evangelien, der frühchristlichen Briefe und anderer Texte wohl eingefügt haben.

Das Ergebnis ist, wie Verhoeven selbst zugibt, weitgehend Spekulation (Fakt ist nun einmal, dass man eben nicht wissen kann, was damals wirklich geschehen ist, denn dazu ist die Quellenlage schlicht zu dünn). Aber seine Rekonstuktion ist jedenfalls auch nicht spekulativer als das, was ansonsten zu dem Thema gesagt wird, etwa seitens diverser christlicher Orthodoxien. Und man muss zugeben, dass Verhoeven seine Version stichhaltig begründet und plausibel macht, weshalb sich das Buch streckenweise wie ein Krimi liest.

In Kurzfassung spielte sich das Leben Jesu – nach Verhoeven – so ab: Jesus ist ursprünglich ein Anhänger von Johannes dem Täufer, der predigt, dass in naher Zeit eine Art Gottesgericht bevorsteht, bei dem unter den Juden (und Jüdinnen?) die Spreu vom Weizen getrennt wird und nur die von ihm Getaufen eine Chance haben. Doch bald entsteht eine gewisse Konkurrenz zwischen Jesus und Johannes (zum Beispiel, weil Jesus ebenfalls anfängt, Leute zu taufen). Nachdem Johannes hingerichtet wurde, übernimmt Jesus selbst das Ruder.

Er entwickelt eine radikale Ethik, wie sie in den Gleichnissen zum Ausdruck kommt, die herkömmliche Moralvorstellungen in Frage stellen und neudenken. Das Anbrechen von „Gottes Reich“, indem diese neue Welt Wirklichkeit wird, steht seiner Ansicht nach kurz bevor. Gewaltsamen Aufstand (etwa gegen die römische Besatzungsmacht) lehnt er ab, weil er davon überzeugt ist, dass Gott selbst dieses Reich bringen wird und es in bestimmten Situationen auch bereits Realität sei. Seit Johannes‘  Tod ist ihm klar, dass dies eine gefährliche Botschaft ist, deshalb versteckt er sich meistens oder flieht.

Besonders originell ist Verhoevens Interpretation der Lazarus-Geschichte: Dieser sei ein Anhänger von Jesus gewesen und verhaftet und gefoltert worden. Jesus sieht darin ein Zeichen Gottes, dass sein Tod sozusagen Teil von dessen Plan ist und fasst den Entschluss, sich den Behörden zu stellen, um Lazarus zu retten. Doch als Jesus nach Bethanien (in der Nähe von Jerusalem) kommt, erfährt er, dass Lazarus bereits tot ist. Seine Selbst-Auslieferung ist nun also sinnlos geworden. Hat er sich etwa im Hinblick auf Gottes Plan geirrt?

Offensichtlich. Ab jetzt schlägt Jesus daher einen anderen Weg ein. Wenn Gottes Reich offensichtlich doch nicht einfach von selber kommt, sondern rechtschaffene Leute wie Lazarus brutal ermordet werden, muss er eine andere Strategie einschlagen – er ruft die Bewegung zu den Waffen. Doch schon bald wird er verraten und von den Römern als Aufständischer hingerichtet.  Eine Auferstehung findet laut Verhoeven nicht statt – alles Weitere sei von der christlichen Bewegung später erfunden worden.

Auf den ersten Blick scheint das eine skandalöse Neuerzählung zu sein, die das Fundament christlichen Glaubens in Frage stellt. Auf den zweiten Blick aber auch wieder nicht – es sei denn, man ist verheiratet mit kirchlichem Dogmatismus. Dass das Gros dessen, was christlicher Glaube ist, nicht von Jesus selbst, sondern von seinen Anhängerinnen und Anhängern erfunden wurde, ist nämlich ohnehin klar, dazu muss man nicht auf Verhoevens kunstvolle Rekonstruktionen zurückgreifen. Denn das ist so ziemlich das Einzige, was historisch ganz und gar zweifelsfrei feststeht: Jesus selbst war definitiv tot, als das Christentum entstanden ist. Wer immer in den Jahrzehnten nach Jesu Kreuzigung die inhaltlichen Grundlagen christlicher Religiosität ausgearbeitet, diskutiert, verworfen, neukonsturiert hat – Jesus selbst war daran ganz bestimmt nicht beteiligt.

Die Frage ist also nicht: Hat Paul Verhoeven mit seiner Rekonstuktion des historischen Jesus Recht oder nicht? Sondern: Wie wichtig ist das überhaupt?

Ich jedenfalls kann mit dieser Variante so gut leben wie mit jeder anderen. So oder so ist aus der Auseinandersetzung mit Jesu Tod, der seine Anhängerinnen und Anhänger logischerweise in eine Krise stürzte, eine religiöse Bewegung entstanden, die viel Interessantes (und natürlich auch weniger Interessantes) hervorgebracht hat. Und was auch immer der historische Jesus selbst geglaubt oder nicht geglaubt hat (und wir müssen uns nun einmal damit abfinden, dass wir niemals herausfinden werden, was genau das war) – einiges davon wird in die von der Jesusbewegung entwickelte Theologie eingegangen sein und anderes nicht.

Aber: Wäre es denn so schlimm, wenn die christlichen Glaubensinhalte zum größten Teil nicht auf einen einzigen genialen großen Mann zurückgingen, sondern auf die Diskussionen einer religiösen Bewegung, in die die Erfahrungen vieler Menschen eingeflossen sind? Durch Jesu Tod war es für seine Anhängerinnen und Anhänger nicht mehr möglich, eine Glorienreligion rund um einen heroischen Star zu bauen, sondern sie mussten mit der Tatsache klarkommen, dass ein von ihnen als Erlöser und Vordenker verehrter Mensch ziemlich kläglich hingerichtet worden war. Sie haben – vielleicht gerade deswegen – eine Möglichkeit gefunden, angesichts existenzieller Nöte und politischer Brutalitäten dennoch die Hoffnung auf das Gute in der Welt und ein sinnvolles Leben und Handeln nicht zu verlieren. Wäre es so schlimm, wenn das zum Großteil ihre eigene Erfindung war und nicht nur einfach Nachbeten dessen, was ein „historischer Jesus“ selbst ihnen vorgebetet hat? Ich finde eigentlich nicht.

Und deshalb würde ich mir einen Jesus-Film von Paul Verhoeven auf jeden Fall anschauen. Nach der Lektüre dieses Buches ist jetzt schon klar: Historisch korrekter als die „Passion“ von Mel Gibson wäre das allemal.

Paul Verhoeven: Jesus. Die Geschichte eines Menschen. Pendo, München und Zürich 2008, 19,95 Euro.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

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