
Es gibt nicht viele Denkmäler, die an Frauen erinnern, und schon gar nicht an Frauen mit afrikanischen Wurzeln. Deshalb weckte dieses hier, das ich beim Stadtrundgang durch Recife – am Praça das Cinco Pontas – sah, meine Aufmerksamkeit. Wer ist Dona Santa? Da das Denkmal erst vor zwei Jahren aufgestellt wurde, stand nichts darüber in meinem Reiseführer, aber das Internet half weiter.
Maracatus gelten im Allgemeinen als Karnevalsvereine oder Musikgruppen, was sie heutzutage größtenteils auch sind. Zumindest die älteren von ihnen sind jedoch eigentlich religiöse Gemeinschaften, die afrikanische Traditionen pflegen und deren „Königinnen“ oder „Könige“ im Candomblé initiiert sind (Religionen mit afrikanischen Wurzeln in Brasilien interessieren mich schon länger, über den Candomblé habe ich vor Jahren mal ein Radiofeature gemacht). Der „Maracatu Nação Elefante“, dessen Königin Dona Santa war, soll bereits 1800 gegründet worden sein.
Die Anthropologin Katarina Real, die den Karneval von Recife erforscht hat, führt die Ursprünge der Maracatus auf die Tradition der so genannten „Krönung des Königs des Kongo“ zurück. Die Portugiesen hatten den von ihnen aus Afrika verschleppten Menschen zunächst noch erlaubt, eigene religiöse Rituale abzuhalten und ihre kulturellen Traditionen weiter zu pflegen. Eines der größten Probleme dabei war jedoch, dass in Afrika die familiären Ahnenreihen sehr wichtig waren (und dort bis heute sind), mit der Sklaverei aber die Blutsfamilien auseinander gerissen wurden und die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit durcheinander gewürfelt wurden.
In Brasilien bestand eine Art, damit umzugehen, darin, von der Blutsverwandtschaft unabhängige Gemeinschaften oder „Nationen“ zu gründen, die sich um jeweils ein Oberhaupt mit vorwiegend religiösem Charakter gruppieren. Dies sind von Anfang an mehr Frauen als Männer gewesen, ich habe Schätzungen gefunden, die davon ausgehen, dass die Geschlechterverteilung heute etwa zwei Drittel zu ein Drittel sein soll. Aus den afrikanischen Ahnen wurden nach und nach Gottheiten, deren „Tochter“ oder „Sohn“ man jeweils ist. Auf diese Weise sind afrikanische religiöse Kulturen in Brasilien quasi „universalisiert“ worden, das heißt, man kann sich ihnen unabhängig von der eigenen familiären Herkunft anschließen. Heutzutage lassen sich auch Menschen ohne afrikanische Wurzeln in diese Kulte initiieren.
Im Bundestaat Pernambuco entwickelte sich in diesem Zusammenhang offenbar das Ritual der „Krönung“ des Königs oder der Königin „des Kongo“ („Kongo“ war lediglich eine Sammelbezeichnung, die die Portugiesen für alles „Afrikanische“ verwendeten). Im Zusammenhang mit diesen Krönungen fanden in Pernambuco Prozessionen des „königlichen Hofes“ statt mit König und Königin, Prinzen, Hofdamen, Fahnenträgern, Orchester und so weiter – hieraus entstanden ganz offensichtlich die Karnevalsumzüge. Dabei benutzten die Beteiligten abgelegte Kleidungsstücke der Portugiesen, weshalb die Kleidung der Maracatu-Umzüge bis heute an barocke europäische Mode erinnert.

Dona Santa soll die letzte gewesen sein, die nach diesem alten Ritual als Königin der „Elefantennation“ gekrönt wurde, und zwar am 27. Februar 1947. Da war sie bereits 59 Jahre alt. Geboren wurde sie als Maria Júlia do Nascimento in Recife am 25. März 1877 – elf Jahre, bevor die Sklaverei in Brasilien endgültig verboten wurde. Sowohl ihre Eltern als auch ihre Großeltern stammten aus Afrika. Schon als junge Frau war sie in diversen Maracatus aktiv und wurde zur Königin des Maracatu „Gekrönter Löwe“ ernannt. Doch sie wechselte zur „Elefantennation“, als ihr Mann dort König wurde, und trat nach dessen Tod seine Nachfolge an.
Die „Regierungszeit“ von Dona Santa war eine schwierige Periode, denn unter der Militärdiktatur von Getulio Vargas und auch noch in den 1950er und 1960er Jahren waren die afrikanischen Kulte in Brasilien verboten und ihre Mitglieder wurden verfolgt. Auch die katholische Kirche ging inzwischen gegen sie vor (anfangs hatte sie versucht, die Afrikaner und Afrikanerinnen zum Christentum zu bekehren, indem sie deren Gottheiten mit christlichen Heiligen parallelisierte. Daraus entstand der typisch brasilianische Synkretismus, bei dem sich katholische und afrikanische religiöse Kulte vermischen und man nicht genau weiß, ob zum Beispiel in der Figur der Maria der unbefleckten Empfängnis wirklich diese verehrt wird oder die Meeresgöttin Yemanja, oder ob der heilige Georg in seiner Rüstung nicht eigentlich der Kriegsgott Ogum ist.)
Dona Santa schaffte es offenbar, die afrikanisch-brasilianischen Traditionen trotz dieser Verfolgungen lebendig zu halten, praktizierte im Untergrund und nutzte Karnevalsumzüge, um in Wirklichkeit dabei Candomblé-Rituale abzuhalten. Ihre „absolute Herrschaft“ (wie es in vielen Artikeln bewundernd heißt), dauerte 16 Jahre. Sie starb 1962, im Alter von 85 Jahren. Ihren Nachlass hat sie dem „Museu do Homem do Nordeste“ in Recife vermacht (das ich leider nicht besucht habe, mache ich dann nächstes Mal :))
Danke für die Spende!
hallo antje,
schon länger lese ich deine blogeinträge. ich rufe sie regelmäßig ein- bis zweimal die woche auf. deine ansichten sind sehr bereichernd für mich. und auch diesen beitrag finde ich sehr spannend. mich beeindruckt außerdem, wie du dich gleich mit diesem thema auseinandergesetzt hast. bester gruß und fröhlichen winter!
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