Heute war ich bei der Jahrestagung zum 25. Jubiläum des Deutschen Ingenieurinnenbundes in Höchst in Odenwald und habe einen Vortrag gehalten zum Thema „Konkurrenz ist unlogisch“. Leider habe ich vergessen, mitzuschneiden, sodass der Vortrag nicht im Podcast kommen wird, aber das Manuskript könnt Ihr immerhin nachlesen, auch wenn ich beim Reden dann immer nochmal andere Sachen sage, als im Manuskript stehen 🙂
Anschließend war ich dann noch beim Vortrag von Gisela Notz, die unter dem Titel „Yes, she can!?“ über die geschlechtsspezifischen Auswirkungen globalisierter Märkte und Arbeitsverhältnisse gesprochen hat. Daraus ergab sich eine interessante Diskussion unter den anwesenden Ingenieurinnen, aus der ich einige neue Ideen und Argumentationslinien mitgenommen habe, die ich hier kurz verblogge, um sie nicht zu vergessen.
Überrascht (im positiven Sinne, denn ich sehe das auch so) hat mich eine mehrfach vorgebrachte Skepsis gegen die allzu enge Verknüpfung des Themas „Frauen in technischen Berufen“ – und man kann das meiner Meinung nach auf alle ehemals männerdominierten Bereiche verallgemeinern – mit dem Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Eine ganze Reihe von Rednerinnen erkannten in dem Mantra „Die geringe Beteiligung bzw. die Probleme von Frauen in Männerdomänen ist vor allem eine Folge der Vereinbarkeitsproblematik“ ein Scheinargument.
Eine Frau wies zum Beispiel darauf hin, dass in Frankreich, wo ja außerfamiliäre Kinderbetreuung und damit auch Berufstätigkeit von Müttern normaler ist als in Deutschland, der Anteil von Frauen in technischen Berufen trotzdem genauso niedrig ist. Ein starker Beleg dafür, dass die Vereinbarkeitsprobleme nicht die hauptsächliche Ursache sind. (Übrigens auch nicht nur die fehlende Ausbildung, denn, wie Gisela Notz sagte, sind unter den ausgebildeten Ingenieurinnen in Deutschland ungefähr 20 Prozent Frauen, unter denen mit versicherungspflichtigem Arbeitsvertrag nur 11 Prozent).
Eine andere wies darauf hin, dass das Vereinbarkeitsargument neuerdings auch häufig von Arbeitgebern angeführt wird, um den niedrigen Frauenanteil in ihrem Unternehmen zu rechtfertigen, nach dem Motto: „Der Staat soll erst mal Kinderbetreuungsmöglichkeiten schaffen, dann kommen die Frauen schon von ganz alleine zu uns.“ Eine elegante Möglichkeit, die Verantwortung von sich zu weisen, und ein weiteres Beispiel dafür, wie geschickt bestimmte Leute darin sind, feministische Argumente für sich zu vereinnahmen.
Als ich das eben einem Freund erzählte, macht er mich noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam: Dass nämlich diese Verknüpfung von „Frauenmangel“ und „Vereinbarkeitsproblem“ bei gutwilligen Arbeitgebern leicht zu Enttäuschungen führen kann. Wenn die etwa, um weibliche Fachkräfte zu bekommen, Kinderbetreuungsmöglichkeiten schaffen – und das dann womöglich gar nicht den gewünschten Erfolg bringt. Weil die Ursachen für die fehlenden Bewerbungen qualifizierter Frauen zumindest teilweise noch ganz woanders liegen. Wenn es jemand gibt mit Erlebnissen, Erfahrungen, Wissen zu diesem Punkt, bitte in die Kommentare schreiben.
Eine weitere Teilnehmerin erzählte von einem großen Technikunternehmen, das vor einigen Jahren Schwierigkeiten hatte, qualifizierte Ingenieur_innen zu finden. Schließlich kamen sie auf die Idee, Teilzeitstellen auszuschreiben – die es offenbar im Ingenieursbereich fast gar nicht gibt – und wurden daraufhin überschwemmt von Bewerbungen, die genau auf diese Möglichkeit der Teilzeitarbeit verwiesen, und zwar Bewerbungen von Frauen UND Männern. Für mich heißt das: Das Gejammere über Fachkräftemangel braucht man eigentlich nur dann ernst zu nehmen, wenn die Unternehmen selbstverständlich Teilzeitstellen anbieten, auf allen Qualifikationsniveaus.
Mehrere Teilnehmerinnen wendeten sich schließlich auch gegen das Argument, dass qualifizierte Arbeitnehmerinnen auf keinen Fall eine Weile aus dem Beruf aussteigen dürfen, wenn sie den Anschluss nicht verlieren wollen. Denn die wichtigste Qualifikation, die man heute im Berufsleben brauche, sei die Fähigkeit, Neues zu lernen. Auch wenn man ein Projekt wechselt, müsse man sich immer wieder in neue Gegebenheiten einarbeiten. Meist seien es ganz andere Gründe, weshalb Arbeitgeber Leute mit einer „Biografischen Pause“ nicht in Betracht ziehen.
Das scheint mir auch recht plausibel. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Arbeitgeber es einfach nicht gerne sehen, wenn Menschen sich eine „Auszeit“ nehmen – sei es nun wegen Kindern oder aus irgend einem anderen Grund – und zwar deshalb, weil das beweist, dass die betreffenden Arbeitnehmer_innen sich nicht mit Haut und Haaren ihrem Beruf hingeben, sondern auch noch andere Interessen und Prioritäten haben. Sie sind daher auch nicht so leicht lenkbar, nicht so abhängig, funktionieren nicht so gut. Nicht, weil ihnen inhaltliches Wissen fehlt – das kann man sich nämlich wieder aneignen – sondern weil sie eine gewisse innere Unabhängigkeit von ihrem Beruf haben.
In diese Richtung müsste man weiterdenken. Und immer schön aufpassen, dass die eigenen feministischen Argumente nicht neoliberal vereinnahmt werden, also dazu beitragen, die totale Auslieferung der Menschen an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes immer weiter voranzutreiben. Und diesen Prozess dann auch noch mit dem Gütesiegel der Emanzipation zu versehen.
Liebe Antje,
Du hast mir aus dem Herzen geschrieben.
Ich bin eine Ingenieurin, durch einiges, was mir so im Leben passiert ist (Familienzeugs und was einem so passieren kann), eine Weile raus aus dem Beruf (aber nach wie vor gut arbeitsfähig), brauche gesundheitsbedingt einen Teilzeitjob.
Sollte eigentlich locker gehen – gut, alles kann man Teilzeit nicht machen, ein Projekt zu leiten bedeutet schon Vollzeit, auch mit den ganzen Ausseneinsätzen – aber bei der herrschenden Ideologie (so nenne ich das), bin ich einfach nicht marktkonform. Dabei kann ich mein Zeug.
Man sieht halt aber auch, dass ich ein mündiger Bürger bin, und das ist nicht marktkonform.
Steht zu hoffen, dass die „diversity“, die immer wieder zitiert wird, mal durchschlägt, aber ich wage nicht, daran zu glauben. Erst wenn es zu spät ist, wahrscheinlich
Den Ingenieurinnen auf dieser Tagung einen herzlichen Gruss.
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Ich glaube, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dabei eine Rolle spielt, welche Ausbildung eine Frau oder ein Mann überhaupt macht. Man darf das nicht unterschätzen. Früher krasse Männerdomänen wie Arzt oder Richter haben sich stark gewandelt, und gerade selbständigen Ärzten und Richter sind auch bei Vollzeit zeitlich ungewöhnlich flexibel.
Aber ich denke auch, dass das nicht der wichtigste Grund ist. Es glaubt ja auch niemand, dass Frauen keine Müllfrauen würden, weil der Beruf zu wenig familienfreundlich sei oder Frauen Friseurinnen würden, weil der Beruf besonders familienfreundlich sei.
Die Erfahrung mit der Teilzeit habe ich auch gemacht: für den den öffentlichen Dienst ist es eher schwierig, gute IT-Leute zu finden, man verdient woanders einfach viel besser. Bietet man nun Teilzeit an (und befristet die Stelle nicht), dann findet man auf einmal sehr gute Leute.
Die Teilzeit im IT-Bereich hat aber einen doppelten Preis für den Arbeitgeber: der Koordinationsauswand steigt (sprich die Effizienz sinkt), und die Mitarbeiter werden wirtschaftlich unabhängiger und müssen sich weniger gefallen lassen. Das führt zu zusätzlichen Belastung der Vollzeitstellen, z.B. bei Überstunden, Rufbereitschaften, … Umgekehrt können Teilzeitleute nicht wirklich in Führungspositionen aufsteigen, weil sie dazu auf Vollzeit umsatteln müssten. Meine Erfahrung ist aber: gerade die guten Leute, die in IT-Berufen aus eigenem Streben Teilzeit arbeiten wollen, streben auch keine Führungsposition an. Sie streben eher große fachliche Freiheiten an.
Warum entdecken Unternehmen und die Gesellschaft jetzt das Thema „Frauen in technischen Berufen“, kann man sich fragen. Hier meine Thesen:
1. Es ist nicht egal, ob die klügsten 5% Männer und Frauen eines Jahrgangs oder 10% der klügsten Männer Ingenieure/Naturwissenschaftler/ITler/… werden, mal einfach gesagt. Und natürlich brauchen wir die klügsten, denn auch in China und Indien machen das die Klügsten.
2. Durch den demografischen Wandel wird es nun relevant. Früher hat noch eine ausreichende Anzahl hinreichend kluge Männer diese Berufe ergriffen.
3. Das mit Teilzeit wird nicht klappen. Und ich bezweifle sogar, dass das mit den Kitas klappt. Denn Forschung und Entwicklung in Deutschland stehen natürlich im globalen Wettbewerb. Wir werden meiner Meinung nach in diesem Bereich eher eine weitere Verschärfung erleben. Und wenn es stimmt, dass China und Indien gerade hohe Männerüberschüsse bei den Geburten haben, dann werden wir zukünftig eine noch stärker von Konkurrenz geprägte Wirtschaft und Forschung erleben.
4. Die Gesellschaft wird es erzwingen, dass die besten Frauen und Männer die wirtschaftlich wichtigen MINT-Fächer studieren und in den entsprechenden Berufen arbeiten. Ich bin mir sicher, dass wir bald ähnliches wie in England erleben werden, nämlich dass den „unwichtigen“ Fächern die Gelder gestrichen werden. Wir erleben jetzt schon, wie das Stipendienwesen entsprechend umgebaut wird (z.B. dass die Uni für ein Stipendiat einen Teilsponsor finden muss).
Das Lohngefüge wird sich so wandeln, dass andere akademische Berufe möglichst uninteressant werden. Die Arbeitsbedingungen werden so sein, dass man in diesen Berufen Vollzeit arbeiten muss. Wollen die Betroffenen das nicht akzeptieren, dann wird mit Verlagerung ins Ausland gedroht.
5. Klassische, gut bezahlte Sachbearbeiterstellen bei Banken, Versicherungen, aber auch in den Verwaltungen, werden in den nächsten 10-15 Jahre immer mehr verschwinden. Sie werden durch den Einsatz von EDV, insbesondere auch KI wegrationalisiert. D.h. der Druck bei anderen noch passabel entlohnten Berufen wird wachsen.
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Das habe ich nicht ganz verstanden. Teilzeit ist doch eine typische Maßnahme neben der Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen, um Frauen mit Familie entgegenzukommen. Und das andere Argument, sich Lücken im Lebenslauf nicht leisten zu können, bestätigt ja auch das „Vereinbarkeitsproblem“.
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Es gibt mehrere Gründe, die mich von einer Bewerbung als Ingenieurin abhalten. Ich bin sehr zufrieden mit meiner jetzigen Vollzeit-Stelle. Aber das wäre eine zu einfache Begründung.
Natürlich würde ich gern mal wieder tiefer in die technische Materie eintauchen, an neuen Projekten mitarbeiten. Spannend fände ich das auf jeden Fall. Also, warum eigentlich nicht neue Herausforderungen suchen?
Ich habe mir die heutige Zeitung zur Hand genommen und die Stellenanzeigen durchgesehen.
„Interactive Response Technology Expert“, „Customer Service Agent“, „Customer Relations Manager“ – was ist das? Hier kommt schon mein erster Mangel, nein, ich kann kein Englisch in Wort und Schrift, schon gar nicht „verhandlungssicher“.
„Zeitliche Flexibilität“ – das kann alles heißen – schwierig, wenn man sich um Angehörige kümmert und – ich gebe es offen zu – abends möchte ich zu Hause sein. Oder an dem Ort meiner Wahl.
Ich spiele ein Musikinstrument, unsere Nachbarn würden sich bedanken wenn ich in der Nacht anfangen würde zu spielen, weil ich erst so spät von der Arbeit käme.
„Bereitschaft zu Reisetätigkeit“ hat sich damit auch erübrigt.
Als sehr angenehm an meiner jetzigen Arbeitsstelle empfinde ich die lockere Kleiderordnung. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste im Kostümchen zu Geschäftsbesprechungen gehen, da bekomme ich gleich Pickel.
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Hallo,
ich schreibe einfach mal auf was mir dazu einfällt und hoffe Du kannst damit was anfangen. Zunächst stört mich an der ganzen Argumentation von allen Seiten immer dass ausschließlich von Akademikerinnen die Rede ist (daher auch der böse Name Akademikerinnenwurfprämie für das Elterngeld). Gerade so als ob zum Beispiel eine Erzieherin mit ihrer immerhin fünfjährigen Ausbildung sich nicht qualifiziert hätte.
DAs nächste was mir auffällt ist dass immer besonders betont wird dass ja gerade Frauen in technischen Berufen besonders erwünscht sind, was für mich als emanzipierte Frau in einem klassisch sozialen Berufsfeld immer ein bisschen vermittelt, meine Arbeit sei gesellschaftlich weniger relevant. Dabei ist es doch so, mein Mann ist als Ingeneur an der Entwicklung von Dieseleinspritzpumpen beteiligt, aber das Wohl und Wehe unserer Gesellschaft hängt bestenfalls indirekt vom Gelingen dieses Projektes ab, denn es gibt ja bereits funktionierende Autos, wohingegen es durchaus gesellschaftlich von großer Bedeutung ist ob eine Krankenschwester zur Arbeit erscheint oder mal eben eine Station voller Patienten ohne pflegerische Versorgung bleibt oder ob unsere Kinder unterrichtet und beaufsichtigt werden oder nicht. Worauf ich also hinaus will ist dass wir wenn wir in den Chor derer einstimmen die mehr Frauen in technischen Berufen fordern wir gleichzeitig dieses marktkonforme „Ranking“ der Tätigkeitsfelder unterstützen. Gerade so wie Ministerin Schröder mal sagte, Frauen seien sozusagen selbst schuld an ihrer Benachteiligung wenn sie sich nur für Geisteswissenschaften interessieren. Das fand ich in zweierlei Hinsicht bemerkenswert, zum einen weil ich nicht weiß ob sie uns damit sagen will für Geist (eswissenschaft) sei in dieser Gesellschaft kein Platz und zum anderen weil sie ja auch nichts anderes gemacht hat. Die Dame hat Politik studiert– ähm, ja.
Und schließlich geht es meiner Meinung nach um Folgendes: der Fachkräftemangel ist einfach grundsätzlich eine zu vernachlässigende Größe, die Erfahrung von Ingeneurinnen deckt sich mit der der Männer, dass es trotz angeblichem Mangel nicht immer einfach ist eine Stelle zu finden. Das Ziel hinter dem künstlich hochgeredeten Mangel liegt in der Lohnpolitik. Ein echter Mangel an Arbeitskräften hat in den Wirtschaftswunderjahren zu unglaublichen Zugeständnissen in der Tarifpolitik geführt. Um das zu verhindern braucht dieser neoliberale Markt einen Arbeitskräfteüberschuss, zur Not generiert aus Zuwanderung. Wenn ein beispielsweise indischer Ingeneur niedrigere Gehaltsvorstellungen haben sollte, kann man damit die anderen Bewerber unter Druck setzen und Enschränkungen besser vertreten, also weniger GEhalt, weniger Freizeit oder Verzicht auf andere Vergünstigungen. WEnn wir diese Zielsetzung in Betracht ziehen spielt es dann auch keine Rolle mehr ob der Verhandlungsdruck durch ausländische Arbeitnehmer erhöht wird oder ob man andere Gruppen gegeneinander ausspielt, zum Beispiel Frauen und Männer oder Alte gegen Junge. Teile und herrsche ist das Motto bei diesem Spiel.
Das sind jetzt nur so die ersten Gedanken zum Thema, ohne konkret auf den offensichtlich tatsächlich niedrigen Frauenanteil in technischen Berufen eingehen zu wollen.
Gruß mone
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nun ich bin ingenieur und ich sehe das eine firma eine philosophie hat an die frauen und männer sich anpassen müssen, damit das betriebsergebnis positiv ist, je mehr sie für diesen erfolg tun, desto mehr werden sie gefördert. ist diese bedingung den frauen wirklich klar. es geht doch letztendlich im unternehmen auch um angebot und nachfrage, wie groß ist der mangel an ingenieuren, wie groß ist der mangel an ingeneurinnen, wo und wie werden sie eingesetzt? nun ist das system angebot und nachfrage aber eine gesellschaftliche lüge, die die konkurrenz steigern soll, wie sollen da frauen, die das konkurrenzprinzip durch kooperation ersetzen wollen in diesem system erfolg haben?
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@Simone
Du hast in vielem Recht. Was den Fachkräftemangel angeht: der existiert tatsächlich, aber anders als kommuniziert und noch nicht so schlimm. Es besteht aber eigentlich kein Mangel an Absolventen. Das Problem liegt in der Qualität der Absolventen.
Bis vor nicht all zu langer Zeit konnte die Wirtschaft, die Unis und auch der Staat sehr wählerisch sein, wer überhaupt Ingenieur werden konnte. Schon an der Schule und später an den Unis wurde viel gnadenloser gesiebt. Und dann konnte man nochmal auswählen. Doch nach 1990 wurden die Jahrgänge, die im studienfähigen Alter waren, immer kleiner. Sie sind heute viel kleiner. Nur 2% haben einen IQ über 130, 7% haben einen IQ über 120-129, immerhin 19% über 110-119. Und für Leistungen in MINT-Fächern spielt der IQ eine große Rolle.
Heute studieren viele Leute solche Fächer, die hätten früher nicht mal das erste Semester überstanden.
Und daher entdeckt unsere Gesellschaft auf einmal die Frauen: die – aus Sicht unserer Wirtschaft – ihre Begabung mit Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften, etc verschwenden.
Der Versuch, Löhne möglichst niedrig zu halten, spielt sicher auch eine Rolle. Das wird aber so oder so gelingen, einfach durch die Drohung, solche Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern.
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paul lahner: „je mehr sie für diesen erfolg tun, desto mehr werden sie gefördert. ist diese bedingung den frauen wirklich klar.“
Falls der letzte Satz eine Frage ist: Ja. Vermutlich im Durchschnitt klarer als den Männern. Weswegen sie sich (neben anderen Ursachen) im Durchschnitt weniger als Männer am wirtschaftsalltagsbestimmenden rat race beteiligen. Nur muss die offizielle Frauenpolitik, falls man das so pauschal sagen kann, diesen Zusammenhang ein bisschen verschleiern, damit ihre Förderlogik (Frauen müssen mehr gefördert werden, damit sie mehr für den Erfolg der Industrie tun) nicht aus dem Tritt gerät.
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„Eine Frau wies zum Beispiel darauf hin, dass in Frankreich, wo ja außerfamiliäre Kinderbetreuung und damit auch Berufstätigkeit von Müttern normaler ist als in Deutschland, der Anteil von Frauen in technischen Berufen trotzdem genauso niedrig ist. Ein starker Beleg dafür, dass die Vereinbarkeitsprobleme nicht die hauptsächliche Ursache sind.“
Wenn man noch mehr und andere Länder als Frankreich zum Vergleich heranzieht, könnte sich zeigen, dass „nicht die hauptsächliche Ursache“ zu „womöglich keine nennenswerte Ursache“ wird. Die kanadische Psychologin Susan Pinker hat in einem Bericht des American Institute of Physics von 2005 folgende Zusammenhänge entdeckt: „Approximately 5 percent of women choose physics as a career in Japan, Canada, or Germany, for example, but in the Philipines, Russia, and Thailand, the number of women in physics is relatively high, ranging from 30 to 35 percent. Of twenty-one countries polled, those with the highest proportion of women earning physics degrees (…) also have the highest rates of immigration to other European Union countries and offer little fiscal support for women and families.“ (S. Pinker, The Sexual Paradox, S. 71)
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Der angebliche Mangel an Frauen in technisch oder naturwissenschaftlich orientierten Fächern ist doch gar keiner – ganz im Gegenteil ist dieser Mangel ein Ausdruck übergroßer Wahlfreiheit der Frauen.
Ganz generell gilt weltweit – je mehr Wahlfreiheit Frauen haben, desto seltener wählen sie solche Fächer; je weniger Wahlfreiheit sie haben, desto eher findet man sie in diesen Fächern.
Und die Frage „Habe ich Wahlfreiheit“ beantworten sich Frauen ganz offensichtlich durch die Evaluierung ihrer Chancen, auch ohne wirtschaftliche Eigenständigkeit wirtschaftlich überleben zu können – wobei sie im wesentlichen auf das Einkommen von Männern setzen, so sie es können.
Deswegen ja auch der Andrang von Frauen und Männern auf Teilzeitstellen – interessant ist das für beide Geschlechter. Aber nur Frauen können es sich leisten, auf Vollzeitstellen zu verzichten, wenn es keine Teilzeitstellen gibt. Ergo gibt es einen Frauen-, aber keinen Männermangel.
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Hallo Antje,
vielen Dank für Deinen tollen Vortrag auf unserer Tagung. Ich denke immer noch über Deine Worte nach und sicherlich haben sie auch vieles in meinem Hirn angestoßen, was ich vorher noch nicht so gesehen habe.
Ich habe leider den anschließenden Vortrag nicht mitbekommen, aber finde es toll dass ich so wenigstens ein paar interessante „Fetzen“ mitbekomme.
Lg
Martina
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Was mir an all diesen Kommentaren auffällt, ist die Akzeptanz des Begriffspaares „Frauen – Familienfreundlichkeit“. Erst wenn Männer ganz genauso als zuständig für die Familie erachtet werden wie Frauen, wird sich an den beruflichen Gewichtungen etwas ändern. Aus einigen der Kommentare lässt sich schon ersehen, dass es nicht an den einzelnen Männern liegt, dass sich so wenig bewegt, denn die möchten schon sehr oft ebenso gerne Teilzeit arbeiten wie Frauen, wollen auch ihre Familienzeit haben und sich nicht in Stressjobs aufreiben lassen.
Aber wir werden noch einige Zeit sehr genau unsere Argumentation überprüfen müssen, um ganz grundsätzlich an den Rollenmustern etwas zu ändern. Ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die gemeinsame Verantwortung von Frau UND Mann für die Familie ist der beste Garant dafür, dass Frauen im Beruf ebenso gleichwertig behandelt werden wie ihre männlichen Kollegen. Dann kann sich auch das althergebrachte Bild von Frauen- und Männerjobs langsam wandeln.
Vielen Dank jedenfalls für die anregenden Fetzen! Und toll zu hören, dass beim Ingenieurinnenbund dieselben Dinge diskutiert werden wie in den zahlreichen anderen Frauen-Netzwerken.
Beste Grüße, EH
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Sehr gute Überlegungen zu Teilzeit und innerer Unabhängigkeit, ich kann das auch persönlich gut nachvollziehen. Für mich verbindet sich das grad schön mit der Postpatriarchat-Idee – diese absurde Höherbewertung von Erwerbs- im Vergleich zu Reproduktionsarbeit wird einfach nicht (mehr) akzeptiert, und damit kommt die Erwerbsarbeit dann nicht so richtig gut klar.
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Technische Berufe sind sehr zeitaufwendige Berufe. Es erfordert sehr viel Einarbeitungszeit um den MINTlern den Erwerb von Spezialwissen zu ermöglichen. Meistens geschieht dieses Lernen neben der Arbeit .
Somit wird bereits mit der Einstellung eine große Investition getätigt.
Wenn Frauen oder Männer in Elternzeit gehen,ist das für kleinere Unternehmen schwierig zu verkraften. Ich habe erlebt dass beide Geschlechter nach Elternzeit (damals Mutterschutz bzw. Pflegezeit der Väter 3 Wochen noch der Geburt) rausgemobbt wurden, weil dies als Verrat am Unternehmen empfunden wurde.
Ich stimme Wolfgang Erdbeerbaeumle zu, viele Unternehmer haben Angst vor der Abbhängigkeit von selbstausgebildeten Experten. So werden Nebentätigkeiten und Teilzeit unterbunden und versucht durch mit seltsamen erfolgsabhängigen Vergütungssystemen die Arbeitenden an sich zu binden.
Ich weiß wie hoch der Druck ist ständig erreichbar zu sein ist. Oft geht es nur um Kontrolle der Arbeitgeber. Als Mutter konnte und wollte ich diesen Druck nicht weiter ertragen. Da mein Mann im selben Berufszweig ist, war es uns nicht möglich kooperativ unsere Arbeitszeit zu verkürzen. Er als Mann wurde noch viel mehr angegriffen. Was bei mir verdeckt geschah, erlebte er in offener Agression.
Einen anderen Aspekt, der hier nicht erwähnt wurde, der mir als Mutter auch zu schaffen machte, war das problemorientierte Denken.
Wenn ich ein Problem bei der Arbeit hatte, konnte ich bevor ich Kinder hatte, die ganze Nacht und das Wochenende durchgrübeln oder durcharbeiten. Mit Kindern ist es nahezu unmöglich. Man fühlt sich ständig zerrissen und gestresst. Die Angst vor Versagen wurde übermächtig.
Da unsere Beziehung in dieser Zeit auch krieselte, zogen wir die Reißleine
und kündigten beide.
Dass Frauen Multitasking besser können, halte ich für ein Gerücht.
Die meisten meiner ehemaligen Kolleginnen sehen dies übrigens genauso.
Mein Mann und ich wurden vor die Alternative gestellt, zur alten Rollenverteilung zurückzukehren oder uns einen anderen Beruf zu suchen.
Wir haben ersters gewählt und 6 Kinder bekommen. Wenn schon dann richtig !
Er machte sich selbstständig und ich steige vorsichtig nach und nach wieder ein (auf einem sehr niedrigen Level).
Der Preis ist hoch. Mit sechs Kindern und den Verpflichtungen gegenüber unseren nun schon pflegebedürftigen Eltern, krebsen wir nur leicht über dem Existenzminimum herum.
Meinen Töchtern würde ich abraten einen technikaffinen Beruf auszuüben, gleichzeitig aber hoffen, dass sie unbeeindruckt ihren Neigungen nachgehen.
Dem Einwurf von Simone kann ich nur zustimmen.
(dennoch würde ich alles noch einmal genauso machen, hätte ich die Wahl-
denn ich halte unseren Lebensentwurf als durchaus selbstbestimmt – auch wenn ich es mir in jungen Jahren nie so vorgestellt habe und mir Vereinbarkeit von Beruf und Familie gerade in diesem Berufszweig als großer Etikettenschwindel vorkommt)
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Das scheint mir auch recht plausibel. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Arbeitgeber es einfach nicht gerne sehen, wenn Menschen sich eine „Auszeit“ nehmen – sei es nun wegen Kindern oder aus irgend einem anderen Grund – und zwar deshalb, weil das beweist, dass die betreffenden Arbeitnehmer_innen sich nicht mit Haut und Haaren ihrem Beruf hingeben, sondern auch noch andere Interessen und Prioritäten haben. Sie sind daher auch nicht so leicht lenkbar, nicht so abhängig, funktionieren nicht so gut. Nicht, weil ihnen inhaltliches Wissen fehlt – das kann man sich nämlich wieder aneignen – sondern weil sie eine gewisse innere Unabhängigkeit von ihrem Beruf haben.
Das kann ich nur unterschreiben. Vielen Dank für den klugen Beitrag – gern gelesen!
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Die Frauen sollen halt mehr in ihr Humankapital investieren, um gegen die Männer ankonkurrieren zu können. Aufstieg der Tüchtigen! Dann werden sie endlich genau gleich ausgebeutet und verwertet wie die Männer. Und manch eine schafft es zum Ausbeuter und Verwerter! Und dann haben wir den superdollen Post-Gender-Kapitalismus. *ironie*
Ne, ernsthaft, Feminismus ist doch mehr…
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