Vergangene Woche starb Shulamith Firestone, eine der wichtigsten Vordenkerinnen der „zweiten Welle“ des Feminismus. Was ist eigentlich ihr Vermächtnis?
1970, da war sie 25, erschien Firestones Buch „The Dialectic of Sex“ (auf Deutsch: „Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“, erschienen 1975). Darin vertritt sie die These, dass weibliche Freiheit erst möglich sei, wenn weiblicher Körper und Reproduktion, also Schwangerschaft und Kinderkriegen, voneinander getrennt werden: „Der Kern der Unterdrückung der Frau ist ihre Rolle als Gebärerin.“ (S. 71).
Firestones feministische Vision war das, was sie „kybernetischer Kommunismus“ nannte: Eine Welt, in der die Entstehung von Menschen vom weiblichen Körper gelöst ist. Dafür setzte sie große Hoffnungen in die entstehenden Reproduktionstechnologien.
Ihre Aussagen wurden auch damals schon kontrovers diskutiert, und eine große Strömung von Feministinnen stand den Reproduktionstechnologien von Beginn an skeptisch gegenüber. Doch für viele Frauen ihrer Generation waren Firestones Thesen durchaus ein Argument dafür, sich bewusst gegen das Kinderkriegen zu entscheiden.
Ich habe Firestones Buch später, gegen Ende der 1980er gelesen und fand ihre These falsch, aber weniger aus Skepsis gegenüber der Reproduktionstechnologie, sondern eher aus einem argumentationslogischen Motiv heraus: Ich war schon damals der Meinung, es dürfe keine Vorbedingung für weibliche Freiheit sein, dass Frauen sich den Männern angleichen. Und genau das sah ich in ihrem Vorschlag: Auf künstliche Reproduktion zu setzen bedeutete, den männlichen Körper zu imitieren, indem man aus dem weiblichen die Gebärfähigkeit eliminierte.
Heute, einige Jahrzehnte später, stelle ich fest, dass sich Firestones Ideen keineswegs erledigt haben. Auf den ersten Blick scheinen sie zwar noch skurriler zu sein als damals – der Feminismus ist mehr im Mainstream angekommen und nur selten noch so radikal. Doch als ich jetzt aus Anlass ihres Todes noch einmal darüber nachdachte, fiel mir auf, dass Firestone damals hellsichtig den Finger in eine Wunde legte, über die wir uns heute gerne mal hinwegmogeln: die Tatsache nämlich, dass die biologischen Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Körpern für das gesellschaftlich-kulturelle Verhältnis von Frauen und Männern durchaus eine enorme Rolle spielen.
Wenn Firestone der Meinung war, solange es diese Unterschiede gibt – solange also Frauen schwanger werden und Kinder gebären und Männer nicht – könne es keine Gleichheit der Geschlechter, keine Freiheit der Frauen geben, bezieht sie sich auf Simone de Beauvoir. Diese hatte ja in „Das andere Geschlecht“ bereits ähnliche Ansichten vertreten: Dass Frauen schwanger werden und Kinder gebären ist auch für Beauvoir die Wurzel des Patriarchats, weil es sie den Männer gegenüber im Bezug auf eigene, selbst bestimmte Projekte in der Welt (Beauvoir war Existenzialistin) ins Hintertreffen geraten ließ.
Beauvoir riet Frauen deshalb, weniger Tamtam um die Mutterschaft machen und sich mehr auf Erwerbsarbeit und Selbstverwirklichung zu konzentrieren. Aber das war sozusagen nur eine quantitative und keine qualitative Lösung: Es bliebe doch immer ein Rest von Nachteil gegenüber den von Schwangerschaftssorgen unbehelligten Männern übrig.
Firestone dachte Beauvoirs Ansatz radikal zu Ende: Wenn das Gebären wirklich die Wurzel der weiblichen Unterdrückung ist, dann liegt die einzige Lösung darin, dass Frauen überhaupt nicht mehr schwanger werden.
Und heute? Heute wird das Thema Schwangerschaft und Geburt im Feminismus gerne weiträumig umschifft. Über biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu sprechen, ist fast schon ein Tabu geworden.
Was das Kinderthema betrifft, so konzentrieren wir uns fast nur noch auf den Zeitraum nach der Geburt. Ab da können nämlich Frauen und Männer gleichermaßen Verantwortung übernehmen – so jedenfalls die Theorie, deren Umsetzung in die Realität jedoch noch reichlich zu wünschen übrig lässt. Die neun Monate zwischen Empfängnis und Gebären hingegen werden ausgeblendet. So als würde es überhaupt keinen Unterschied machen, ob jemand „Eltern“ wird durch einmaliges Vögeln oder (bei engagierten Vätern, lesbischen Co-Müttern, schwulen Eltern) einen sozialen Akt der Verantwortungsübernahme – oder eben durch neunmonatelanges Schwangersein und anschließendes Gebären.
Und schließlich: Können nicht auch Männer Gebärmütter haben? Ja, klar. Aber es geht hier nicht um Definitionen von Mannsein und Frausein. Es geht darum, dass manche Menschen schwanger werden können und andere nicht. Und dass das einen Unterschied macht, der politisch, sozial und kulturell von Bedeutung ist. Einen Unterschied, der eng mit Konzeptionen von Weiblichkeit und Männlichkeit verknüpft ist. Uns das in äußerster Radikalität vor Augen zu führen, ist das bleibende Vermächtnis von Shulamith Firestone.
Von welcher Bedeutung, das steht allerdings nicht fest. Ich teile die Bedeutung, die Firestone diesem Unterschied gibt, nicht: Ich bin nicht der Ansicht, dass Menschen, die schwanger werden (können), anderen gegenüber notwendigerweise im Nachteil sein müssen. Sie sind es nur unter patriarchal infizierten Bedingungen.
Und das Patriarchat ist das Problem, nicht das Schwangerwerden. Ich glaube, dass eine Gesellschaft auch so organisiert sein kann, dass Schwangersein und Kindergebären kein prinzipielles Handicap darstellt. Ich kann mir eine postpatriarchale Kultur vorstellen, in der Abhängigkeiten und Zugehörigkeiten nicht als Einschränkungen der Freiheit gelten, sondern als deren Vorbedingung – und dann würde Mutterwerden kein Nachteil mehr sein. Das Verhältnis des ungeborenen Kindes zu der Frau, in deren Leib es heranwächst, ist ja nichts anderes als eine besonders krasse Form von Abhängigkeit und Zugehörigkeit.
Aber ich gebe Firestone ganz Recht: Wir müssen uns diesem Thema aktiv widmen. Der biologische Aspekt des menschlichen Lebens, das Schwangersein, das Gebären und das Geborenwerden gehören wieder ins Zentrum feministischer, geschlechterpolitischer Überlegungen zurückgeholt.
Hmm, der Aspekt der biologischer Differenzen hat sich ja durch die Theorie des performativen Körpers („the performative body suggests that it has no ontological status apart from the various acts that constitute its reality“; Gender Trouble p.185) aus dem feministischen Diskurs verabschiedet – so zumindest mein Eindruck.
Ich stimme Dir zu, dass heute der Aspekt der Schwangerschaft häufig ignoriert wird (auch in den Massenmedien; bestenfalls wird es versucht komisch porträtiert), ich denke aber, dass sich der heutige Feminismus nicht auf das theoretische Fundament zurückziehen sollte, dass die „différance“ von Mann-Frau anerkennt. Ich weiß, dass Dir Butler eher missfällt, oder du zumindest nicht Anhängerin ihrer Theorie bist, auch denke ich, dass Schwangerschaft auch wieder debattiert werden muss, doch frage ich mich: unter welchen Begriffen? Unter den Begriffen der Weiblich- oder dem der Menschlichkeit (ich meine dies nicht wertend – lediglich im Sinne, dass Schwangerschaft als menschliches, nicht als weibliches „Phänomen“ gedacht werden sollte)? ich würde für letzteres plädieren, da dann vielleicht die Sexual-Politik aufgedeckt werden kann, die durch das juristische System produziert wird.
„Das juristische System produziert die Menschen, die es vorgibt, nur zu repräsentieren“ (Foucault).
Ich meine also: indem man Schwangerschaft als menschliches Phänomen denkt, kann die alte binäre Opposition Mann – Frau erodieren; was, wie ich vermute, nicht nur Transgender-Menschen hilft, sondern auch Menschen ermöglicht, sich in ganz neue Gender-Konfigurationen zu emanzipieren – ich weiß, dass ist recht theoretisch… Aber ich liebe Theorie 😀 Außerdem könnte man sowas dann ja auch konkret praktisch (performativ ;)) anwenden…
Loben will ich diesen Beitrag noch für den tollen Einwand, warum Firestones Argument, die Frau sei erst frei, wenn sie das Schwangere verliere, falsch sei. Du verweist ja auf den Aspekt, dass Firestone dadurch impliziert, dass die Frau a priori nicht frei sei… Dadurch wird ja gewissermaßen die Schuld verschoben – doch ist es eben ein gesellschaftliches Problem: Das der Patriachie, dass diese Problematik erst produzierst; ein schönes Argument, dass die menschliche Freiheit bewahrt 🙂
Wobei ich mir nicht so sicher wäre, ob de Beauvoir das „Kinder-Kriegen“ an-sich verdammt, oder nur den konkreten Seinszusammenhang, den man in der patriachalen Gesellscchaft erlebt – ich würde auf letzteres tippen – dies wäre auch konsistent mit der existenzialistischen Theorie vom Entwurf des Da-Seins, als ein „je-seiniges Für-Sich“. Vielleicht misinterpretiere ich aber auch Deine Paraphrase… Ich hatte nur den Eindruck gewonnen, Du würdest suggerieren, de Beauvoir behaupte, die Möglichkeit der Schwangerschaft produziere entscheidend die Patriachie mit, weswegen die Schwangerschaft zurückzuweisen sei. Ich denke, de Beauvoir würde Schwangerschaft nicht subsumiert unter die Patriachie denken, sondern nur eine ganz bestimmte Ausprägung – und eben der sollte man nach de Beauvoir entgehen.
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@Gramsci – Ja, an dem Punkt gehe ich mit Butler nicht konform, denn die Möglichkeit der Schwangerschaft ist wenn auch nicht trennscharf, so doch auch nicht rein zufällig mit der Einordnung „Weiblich“ assoziiert. Oder anders: Ich glaube, die Tatsache, dass es Menschen gibt, die schwanger werden können, und andere, die es nicht können, hat dazu geführt, dass die Menschheit die Unterscheidung von Geschlechtern kulturell eingeführt hat.
Zu Beauvoir: Ja, genau das behauptet sie, dass das „Kinderkriegen“ Frauen an sich verdammt, nicht ihre eigenen Entwürfe leben zu können, und damit dem Mann untergeordnet zu sein. Sie sieht tatsächlich im Nachteil des Gebärens die Ursache der Entstehung des Patriarchats und nicht andersrum. Zitat aus „Das andere Geschlecht“ (S. 72 in der rororo-Ausgabe von 1986, S. 72f): „Auf der Ebene der Biologie erhält sich eine Art nur dadurch, dass sie sich immer neu erschafft; aber diese Schöpfung ist nur eine Wiederholung des immer gleichen Lebens unter wechselnden Formen. Erst indem der Mensch das Leben durch die Existenz übersteigt, sichert er die Reproduktion des Lebens; durch dieses Sichselbstüberschreiten schafft er Werte, die die bloße Wiederholung in den Schatten stellen. Beim Tiere bleiben auch freie und vielseitige Tätigkeiten eitel, weil kein Entwurf in ihnen wohnt; was es tut ist sinnlos, wenn es der Art nicht dient; während in der Menschheit der Mann, indem er der Gattung dient, gleichzeitig das Antlitz der Erde formt, neue Werkzeuge schafft, erfindet und die Zukunft schmiedet. Wenn er sich als souverän setzt, so findet er das Einverständnis der Frau: denn sie selbst ist ein Existierendes, die Transzendenz wohnt in ihr, und auch ihr Entwurf ist nicht die Wiederholung, sondern das Sichüberschreiten auf eine andere Zukunft hin: im Innersten ihres Wesens findet sie die Bestätigung der männlichen Bestrebungen. … Ihr Unglück ist, dass sie biologisch für die bloße Fortsetzung des Lebens vorbestimmt ist, während auch in ihren Augen das Leben seine Daseinsberechtigung nicht in sich selber trägt, diese aber mehr Wert hat als das Leben selbst … Weil die Menschheit sich in ihrem Sein in Frage stellt, das heißt dem Leben die Berechtigung zum Leben vorzieht, hat der Mann sich der Frau gegenüber als der Herr setzen können.“
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Ich habe mir mal die Sätze rausgeschrieben, die ich für die zentralen Sätze halte:
Dann, weiter unten:
Ich bin noch am Nachdenken. Zur Zeit ist es ja so, dass das Hauptproblem darin besteht, dass viele Menschen davon ausgehen, dass Frauen auch für das Kinder erziehen zuständig sind, nur weil sie es sind, die schwanger werden und die Kinder gebären. Aber wenn das nicht mehr so wäre, bliebe immer noch ein kleiner Nachteil übrig, weil Frauen Kinder zur Weit bringen und zum Beispiel während der Schwangerschaft weniger belastbar sind, nicht mit gefährlichen Stoffen arbeiten dürfen, manchmal krank werden, und vor und nach der Geburt eine Weile frei haben, was dann eben nicht auf die Väter übertragen werden kann.
Eine Kultur, in der all das keinen Nachteil bedeutet, müsste eine sein, in der all das nicht so wichtig ist, weil anderes genauso viel oder mehr zählt…
Abhängigkeit und Zugehörigkeit sind keine Einschränkungen von Freiheit – bei der Vorstellung von Freiheit ohne Abhängigkeit und Zugehörigkeit fühle ich mich an Gedankenexperimente erinnert, was mit Kindern passieren würde, die ohne solche Zugehörigkeiten großgezogen würden: ich glaube, niemand würde solch ein Experiment durchführen wollen. Eltern mit Macken sind besser als keine Eltern. Gewalttätige Eltern sind eine andere Nummer, aber dann sucht man eben nach Pflegeeltern, die natürlich auch wieder ihre Macken haben. )
Schwerelosigkeit im luftleeren Raum wird ja auch nicht als Freiheit verstanden.
Andererseits – bei den Nachteilen und Vorteilen (jedenfalls denen, die mir einfallen) geht es ja nicht so sehr um Freiheit und viel mehr um die Verfügbarkeit von Frauen für den Arbeitsmarkt…
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„….ist ja nichts anderes als eine besonders krasse Form von Abhängigkeit und Zugehörigkeit.“
Es ist ja auch eine besonders krasse Form der Freiheitseinschränkung.
Mich wundert allerdings auch, dass in diesem Zusammenhang überhaupt von „Nachteilen“ von Frauen gesprochen wird. Solche zu Fleisch und Blut gewordenen Machtverhältnisse, wie sie die Reprodution bestimmen, bestimmen halt auch die eigenen Funktionen.
Ein Beispiel – man kann genausogut die Notwendigkeit, sich fürs Essen auf den Weg machen zu müssen, als Nachteil ansehen und den Essensdienst bestellen. Nur kommt so ein Verhalten nicht kostenlos daher, denn wir verlieren dann halt auch die Fähigkeiten unseres Bewegungsapparates, was deutlich mehr Unglück bedeutet, während die Nutzung desselben eben auch Sinn ergibt – dementsprechend gibt es gar nicht so wenig Frauen, für die der Verzicht auf Kinder aus z.B. Gründen der Karriere sich als ziemliches Unglück herausstellt.
Was mir nicht so ganz klar ist: Ich gönne ja gerne Frauen Schwangerschaft und Kinderbekommen. Nur – wieso sollte ich deswegen darauf verzichten, meine Freiheit von Schwangerschaften in meinem Sinne zu nutzen?
Das kommt mir so sinnlos vor, wie es sinnlos wäre, wenn ich etwa auf Studium verzichte, weil meine Verwandten, die Affen, ja auch im Urwald leben – man verzeihe bitte das krasse Beispiel, aber mir fällt nichts besseres ein.
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Anders gesagt, man kann gar nicht von weiblichen Nachteilen sprechen, weil sich die ja nur aus dem Vergleich mit Männern ergeben; was ein Äpfel-und-Birnen-Vergleich ist.
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Vielen Dank erst Mal für diesen tollen Artikel!
Ich finde es ebenfalls sehr auffällig, dass in den Welten der Gendertheorie und -kritik Schwangerschaft und Geburt nahezu vollständig ausgeblendet werden. (Ein sozusagen offenes Ausblenden, wie die Thesen von Firestone sind mir hingegen insofern sehr recht, als dann darüber diskutiert werden kann.) Ich glaube jedoch nicht – ohne zu unterstellen, dass Sie das so sehen – dass das an Butlers Büchern liegt bzw. an der dekonstruktivistischen Wende im Feminismus. Denn nach meinem Eindruck müssen diese Gender-Theorien nicht mit Entkörperung der Menschen verkoppelt werden. Was die allgemeine Entkörperung der Kultur, in der wir leben, angeht, könnte ich nur spekulieren. Es fällt aber auch auf, dass gerade Schwangerschaften und Geburt komplett medizinisch durchkontrolliert sind. Der schwangere Körper ist einer der medikalisiertesten, mit allen Vor- und Nachteilen. Die Untersuchungen, die an ihm vorgenommen werden sind (wie die an dem Baby) bis auf die Woche genau geplant. Damit hat es wahrscheinlich auch zu tun, dass die psychischen und sozialen Umstände der Reproduktion abgesehen von Betreuungsgelddebatten nicht öffentlich diskutiert werden. In den unzähligen Beratungsheften zu Schwangerschaft und Geburt werden sie zwar erwähnt, dadurch werden sie aber auch kein Politikum. Schließlich kann mich immer noch des Eindrucks nicht erwehren, dass das Patriarchat die Schwangerschaft zum Handicap macht, weil Männer sich aus der Reproduktion ausgeschlossen und dadurch auch entmächtigt fühlen.
(Zu Schwangerschaft, Geburt, Hebammen siehe auch: http://wp.me/p13Imq-H .)
Ein zweiter Gedanke noch kurz. Die Idee, dass das Geschlechterverhältnis (oder diese im Plural) schon in Ordnung kommt/en, wenn die Reproduktion technisch kontrolliert und aus menschlichen Körpern ausgelagert ist, kam mir schon immer auch wegen der Technikfixierung komisch vor. Ich kann doch nicht einerseits subjektive Befreiung und Entfaltung von der technischen Entwicklung abhängig machen und dadurch andererseits die schwierige Lage, in der Schwangere und Gebährende sind, komplett entpolitisieren. Letzteres führt bei manchen Queer-Theoretiker_innen doch dazu, dass sie jegliche Verantwortung für ein von ihnen eigentlich gewünschtes Zusammenleben von sich abweisen und auf den technischen Fortschritt schieben. Womit ich aber nichts grundsätzlich gegen kybernetische Utopien gesagt haben will.
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Hochwichtiges Thema das Schwangersein, Gebären und Geborenwerden. Bin ebenfalls nicht der Auffassung, dass Menschen, die schwanger werden (können), anderen gegenüber notwendigerweise im Nachteil sein müssen. Es scheint mir, dass Schwangerschaft und Mutterwerden unter patriarchal kontaminierten Bedingungen eine ziemlich ambivalente Angelegenheit war und noch ist. Zum einen wird und wurde die schwangere Frau als das potente Ergebnis eines Mannes betrachtet und mit dessen Besitzansprüchen gekennzeichnet. Zum anderen wurde Frau aufgrund ihrer Gebärmutter( je nach Ideologie und Mythos) als minderwertig, krank und gefährlich stigmatisiert.
Ob das in archaischen Zeiten von Muttergottheiten anders war? Und wenn ja, warum die Frauen-Verehrung sich ins Gegenteil verkehrte, darüber wurde und wird ja nicht wenig
spekuliert.
Vielleicht ist die Gebärmutter überhaupt der neuralgische Punkt, was die Abwertung der Frau zwecks Konstruktion von Männlichkeit betrifft?
Freud hat Frauen ja so etwas wie einen Penisneid angedichtet und dabei kaum im Blick gehabt, dass die von ihm behandelten Frauen nicht Besitzerin eines männlichen Geschlechtsorgans werden wollten, sondern Inhaberin von Rechten und Freiheiten, die dem Mann eben qua Geschlecht zugestanden wurden.
Dass Freud nicht auf die Idee kam, Männern einen (unbewussten) Gebär(mutter)-neid oder positiv formuliert, eine Gebärsehnsucht, im Sinne von Leben spenden, zu unterstellen, wundert einen nicht, denn für ihn blieb die Frau “ein dunkler Kontinent”.
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Ich gebe zu, das eine oder andere Mal gebe ich mich auch sehr finsteren und radikalen Gedanken hin, z.B. auch über Gewalt von Männern gegenüber Frauen und denke dann ähnlich utopisch wie Firestone über verschiedene ‚Grundsatzlösungen‘ nach (eine absurder als die andere) um dieses nach meinem Empfinden körperlich stark einseitige Gewaltpotential einseitig auf Null zu reduzieren.
Aber wiederum ganz realistisch betrachtet sehe ich es eben doch genau wie du, Antje: Dass es erst unser Umgang mit den Unterschieden und Abhängigkeiten die eigentliche Entscheidung darüber trifft, was das jeweilige „Ausgeliefert sein“ für unser konkretes Handeln bedeutet.
Nur dann wiederum denke ich mitunter: Kultur garantiert eben leider nichts, schon gar nicht das Ausbleiben von ‚Einzelfällen‘ und dass sie irgendwann erneut Schule machen, und ich weiß manchmal nicht, wenn es da so einen „Mach, dass alles grundsätzlich anders wird“-Knopf gäbe, ob ich ihn nicht drücken würde, um Fakten zu schaffen. Verlockend wäre es manchmal. 😉
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Die tatsächlichen, konkreten Nachteile von Frauen durch Schwangerschaft und Gebären, die hier schon genannt worden sind, sind die eine Sache – die andere Sache ist m.E. die Bedeutung, die die Frau als die Schwanger-werdende hat.
Frauen bestimmen nicht nur – wenn sie können! – ob sie schwanger werden oder nicht, sondern auch von wem und sind dadurch in einer sehr machtvollen Position; gleichzeitig aber auch sehr gefährlich für die andere, nicht-schwanger-werdende Hälfte dieser Spezies, die – rein theoretisch – keine solchen Möglichkeiten der Selbstbestimmung hat und nur hoffen kann, zum Zuge zu kommen.
Das Patriarchat als die Reaktion also auf die männliche Urangst davor, dass Frauen das Thema Fortpflanzung selbst regeln und vor allem davor, dass die Frauen dabei von anderen Männern schwanger werden könnten (anstatt von ihnen selbst) – und daher um jeden Preis kontrolliert und v.a. sexuell an der kurzen Leine gehalten werden müssen.
Was also, wenn die Reproduktion vom weiblichen Körper getrennt werden könnte? Würden dann Männer (mal bewusst pauschalisiert) ihr Kontrollbedürfnis über Frauen verlieren, da dann nichts mehr kontrolliert werden müsste, und die Frauen endlich aus den patriarchalen Zwängen in die gleichberechtigte Freiheit entlassen? Früher (in meiner pessimistischeren Phase) bin ich vom gegenteiligen Szenario ausgegangen: Sobald Frauen für den Fortbestand der Spezies nicht mehr nötig sind – und damit ihre „Hauptfunktion“ verloren haben – sind sie aus patriarchaler, von Macht- und Dominanzbestreben geprägter Sicht entbehrlich und haben es noch schwerer als zuvor schon.
Inzwischen habe ich aber mehr Hoffnung auf ein gleichberechtigtes, respektvolles Miteinander.
Ich habe außerdem erst vor kurzem überlegt – auch dank dieser großartigen Dokumentation: http://youtu.be/3w-fOmovijc – ob die Emanzipation der letzten plusminus 50 Jahre durch die Reproduktionstechnologien (auch Pille, Kaiserschnitt etc.) überhaupt erst möglich geworden ist. Oder anders gesagt, dass es kein Zufall ist, dass beides sich zur gleichen Zeit entwickelt hat. Wenn jede Schwangerschaft potenziell lebensgefährlich ist und ich nicht selbst kontrollieren kann, wie oft ich überhaupt schwanger werde, bin ich in einer ganz anderen Abhängigkeit von äußeren Umständen und muss von vornherein ganz andere Überlegungen anstellen, die sicher nichts mit freier Selbstentfaltung zu tun haben.
Allein deshalb kann ich die reproduktionstechnologische Entwicklung nicht nur negativ sehen – auch wenn ich der stattfindenden Übertechnisierung und teilweise auch Pathologisierung eines eigentlich normalen, natürlichen Prozesses – ein weiterer Ausdruck des patriarchalen Kontrollbedürfnisses? – durchaus auch skeptisch gegenüberstehe.
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Seltsam, dass nur der feministische Aspekt diskutiert wird. Wenn der Staat oder genauer gesagt irgendwelche vergesellschafteten Reproduktionstechnologien die Kinder ausbrüten sollen, ist das in erster Linie eine kommunistische Utopie. Und die Vorstellung oder fixe Idee, dass Frauen durch Vergesellschaftung aller möglicher Lebensbereiche befreit werden, stammt ja nicht von Firestone.
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Und noch die klassische Märchenstundenfrage: Und dann?
Wie ging es bei Firestone eigentlich nach der Geburt weiter? Wo sollten die Kinder aufwachsen? Im staatlichen Heim, um den kleinbürgerlichen Anspruch aufs eigene Kind abzuschaffen? Oder in der Familie, der Keimzelle des Patriarchats und auch der kulturellen Vielfalt?
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@Irene – im Kollektiv. Die Familie wäre natürlich abgeschafft!
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@Irene – gute Frage, wie’s bei Firestone eigentlich nach der Geburt weiterginge.
Nochmal zurück zur Schwangerschaft stellt sich ja ebenfalls die Frage, was das
„Ausbrüten durch einen Technik-Uterus“ für das noch ungeborene Leben bedeuten würde? Ich befürchte, nichts Gutes!
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Stell dir mal das PLENUM über den kollektiven Erziehungsstil vor. Und davor das Endlos-Plenum darüber, nach welchen REGELN im Erziehungsstil-Plenum diskutiert werden soll. Oder die Debatte über Erziehung und RELIGION: Opium fürs Volk oder Quelle kultureller Vielfalt?
Schon der Gedanke daran, mir sowas genauer vorzustellen, reicht mir vollauf 😉
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