Gestern Abend hörte ich im Mailänder Frauenbuchladen einen Vortrag von Annarosa Buttarelli, die eine neue philosophische Buchreihe vorstellte. Dabei sprach sie auch über einen Unterschied, der mir sehr sinnvoll erscheint, den aber die deutsche Sprache begrifflich nicht so hergibt wie die italienische (und der mir deshalb bisher gar nicht so klar war), und zwar den Unterschied zwischen cambiamento und trasformazione.
Übersetzen könnte man das mit Veränderung und Wandel, aber die unterschiedlichen Bedeutungsebenen sind (für mein Gefühl jedenfalls) im Italienischen klarer.
Ein cambiamento ist eine Veränderung, die nicht unbedingt eine tiefere Bedeutung haben muss, die auch einfach das Alte in neuem Gewand sein kann, während eine trasformazione ein tiefgehender Wandel ist, der sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Also der Unterschied zwischen „Ich lege mir eine neue Frisur zu“ und „meine Haare werden langsam grau“. Oder der Unterschied zwischen „Ich habe einen Kurs in Feminist Studies besucht“ und „Ich habe verstanden, dass Frauen freie Menschen sind.“
Annarosa führte diese Unterscheidung ein, um den Rahmen ihrer neuen Buchreihe zu umreißen, bei der es nämlich darum geht, Texte herauszugeben, die die gegenwärtige trasformazione der europäischen Gesellschaften kritisch und sachdienlich begleiten.
Mir wurde bei dieser Unterscheidung klar, warum ich so vieles von dem, was medial gesendet wird, so unglaublich langweilig finde: Es wird so oft in höchster Aufgeregtheit über cambiamentos geplappert, während kaum jemand die Perspektive einnimmt, gegenwärtige trasformaziones informativ zu begleiten.
Auch was „revolutionäre“ Politik betrifft, so ist diese Unterscheidung interessant. „Revolution machen“ wurde bisher meist als strategische Herbeiführung von Veränderungen verstanden (Regierung absetzen, neue Regierung inthronieren) während meiner Ansicht nach zu wenig Aufmerksamkeit auf den Prozess der Transformation gelegt wurde (ich glaube, das war es auch, was hinter meiner Kritik an Žižek steht).
„Transformative“ Politik, meint Annarosa, bedeutet nicht in erster Linie das Herbeiführen von Veränderungen (à la Frauenquote, Regierungswechsel, neues Gesetz für dieses und jenes), sondern die praktische_denkerische Begleitung eines Transformationsprozesses, den man weniger aktiv „herbeiführt“ als vielmehr passiv „erleidet“, doch genau durch dieses sich Einlassen ergeben sich Handlungsoptionen, die dann dafür bedeutsam sind, in welche Richtung dieser Prozess geht, zum Besseren oder zum Schlechteren.
Ob zum Beispiel das Angela-Merkel-Cambiamento (dass Deutschland zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin hat und keinen Bundeskanzler) zu einer Transformation führt und zu welcher ist nicht ausgemacht, sondern es kommt auch darauf an, was wir anderen damit machen und wie wir diesen Prozess begleiten. Ist Angela Merkel einfach nur dasselbe wie ihre Vorgänger, bloß in weiblicher Variante? Oder ist ihre Kanzlerinnenschaft ein Anzeichen dafür, dass sich ein Wandel vollzieht, zum Beispiel in unserem Politikverständnis oder in den Vorstellungen, die wir uns von „einem Kanzler“ machen? Wie könnte diese Transformation aussehen und gibt es etwas, das ich dazu beitragen kann?
Ähnlich kann man auf viele Themen blicken. So ist auch nicht ausgemacht, ob die rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Paaren nur eine simple Veränderung bleibt oder ob es zu einem wirklichen Wandel von Beziehung- und Geschlechternormen führt. Oder ob eine Frauenquote in Führungsgremien… undsoweiter und so weiter.
Ihren Text über „Souveräninnen“ in dem Diotima-Sammelband „Macht und Politik sind nicht dasselbe“ hat Annarosa Buttarelli jetzt übrigens zu einem ganzen Buch ausgebaut. Ich bin darauf schon sehr gespannt. Gerüchteweise gibt es Überlegungen, dass es auch ins Deutsche übersetzt werden soll…
Hat dies auf Forum Politik rebloggt und kommentierte:
Veränderung und Wandel
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„Ein cambiamento ist eine Veränderung, die nicht unbedingt eine tiefere Bedeutung haben muss, die auch einfach das Alte in neuem Gewand sein kann, während eine trasformazione ein tiefgehender Wandel ist, der sich nicht mehr rückgängig machen lässt.“
Eine (weltweite) garantierte repressionsfreie Grundsicherung, wie sie in der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens
diskutiert wird, betrachte ich als Brücke hin zu einem tiefgehenden Wandel. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass
wir weg kommen von einem konkurrenzgetriebenen, zerstörerisch-ausbeutenden Wirtschaften hin zu einem kooperativen Wirtschaften der gegenseitigen Fürsorge.
Die vorbereitenden Schritte in Richtung ‚Care-Revolution‘ sind
im doppelten Wortsinn im Gange, und ich wünsche mir, dass viele Menschen mitgehen.
Das dürften nicht alle BGE-Befürworter_innen so sehen. z.B. Wolf Lotter (Mitbegründer von „brand eins“), der die Emanzipation mit „eigeninitiativem Kapitalismus“ voran bringen will. http://taz.de/Antikapitalismus-heute/!136255/
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Antje, mich erstaunt, das Schweigen auf diesen Beitrag.
Vielleicht die ‚Stille vor dem Sturm‘?
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