Heute sah ich diese interessante Arte-Dokumentation mit dem etwas merkwürdigen Titel „Geschlechterkonflikt – Frauenbilder der Geschichte“: Sehr empfehlenswert, schaut sie euch dieser Tage an, sie ist nur noch bis zum 5. April in der Mediathek verfügbar!
Es geht dabei um neue archäologische Erkenntnisse über die Geschlechterverhältnisse in der Steinzeit und im Neolithikum. Im 19. Jahrhundert haben ja bekanntlich bürgerliche männliche Forscher aus Europa mehr oder weniger alle Funde aus früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden (Höhlenmalereien, Grabbeigaben, Figurinen und so weiter) durch die Brille ihrer eigenen normativen Geschlechterordnung interpretiert. Ein Skelett mit Waffe im Grab musste männlich sein, weil Frauen tragen ja keine Waffen. Feministische Kritikerinnen haben schon seit den 1970er Jahren diesen unwissenschaftlichen Blick kritisiert, und inzwischen lässt auch wissenschaftlich beweisen, dass die Wahrheit ganz anders aussah: Die Person in dem prächtigen Wikingergrab war eine Frau, viele Höhlenmalereien stammen von Frauen und so weiter.
Generell scheint in der Steinzeit „Geschlechteregalität“ geherrscht zu haben: Frauen und Männer haben dasselbe gegessen, wurden in ähnlichen Gräbern beerdigt und so weiter. Der Umschlag in Richtung Patriarchat geschah im Neolithikum und in der Bronzezeit, vor ungefähr 4000 Jahren. Von da an haben Frauen weniger Nahrung bekommen, vor allem kaum noch Fleisch, sie haben mehr Kinder zur Welt gebracht als vorher (15 Prozent aller Frauen sind wohl damals an Geburten gestorben!), ihre Körper „schrumpften“ im Vergleich zu denen der gut genährten Männer.
Beim Anschauen des Films wurde ich mir bewusst, wie sehr ich durch die Arbeit an „Schwangerwerdenkönnen“ inzwischen darauf geeicht bin, zwischen Geschlechterdifferenz und reproduktiver Differenz zu unterscheiden. Innerlich zuckte ich nämlich immer ein bisschen zusammen, wenn von „Männern“ und „Frauen“ in der Steinzeit oder im Neolithikum die Rede war. Denn gemeint sind ganz offensichtlich Menschen ohne und mit Uterus.
In einem Zeit-Artikel habe ich kürzlich die Frage aufgeworfen, ob es Männer und Frauen überhaupt gibt, und dazu noch ein Follow-Up über die Nichtexistenz dieser Art von Geschlechterdifferenz bei den Yoruba geschrieben. An diese Überlegungen kann ich nun hier gut anknüpfen: Gibt es Männer und Frauen in der Steinzeit denn überhaupt?
Klar ist jedenfalls, dass es sehr leicht ist, Männer und Frauen heute mit Menschen ohne und mit Uterus damals gleichzusetzen – und dann eben auch zu verwechseln. So wie es den männlichen Forschern des 19. Jahrhunderts erging, die ihre westeuropäisch-bürgerlichen Geschlechtervorstellungen im Kopf hatten und diese dann in alles hineinfantasierten, was sich aus der Steinzeit ausgraben ließ.
Wie aber die neuen archäologischen Forschungen zeigen, gibt es in Wirklichkeit keinerlei Hinweis darauf, dass damals Unterschiede zwischen „Männern“ und „Frauen“ gemacht wurden. Ja, es gab Menschen mit und ohne Uterus, aber dieser Unterschied scheint im Sozialen bis vor 4000 Jahren keine große Rolle gespielt haben. Was für einen Sinn hat es also, mit diesen Konzepten überhaupt zu hantieren?
Für historisch vergangene Kulturen gilt letztlich dasselbe wie für nicht-europäische, vorkoloniale Kulturen: Sobald wir die reproduktive Differenz dort in Begriffen wie „männlich“ und „weiblich“ beschreiben, transportieren wir unweigerlich Konzept und Diskurse mit, die mehr mit unserer eigenen Geschichte und Kultur zu tun haben als mit dem, was wir erforschen. Klar, wenn Forscher des 19. Jahrhunderts kleinbürgerliche Lagerfeuerromantik im Stil von Familie Feuerstein in der Steinzeit wiederfinden, wissen wir heute, dass das albern und ideologisch ist. Allerdings: Wenn wir heute davon sprechen, dass „Frauen und Männer in der Steinzeit gleichberechtigt“ gewesen wären, ist das letzten Endes dasselbe in grün. Gleichberechtigung ist ein Konzept von uns heute, nicht von damals.
Wenn wir hingegen sagen: „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass zwischen Menschen mit und ohne Uterus damals ein Unterschied gemacht wurde“, klingt das ganz anders. Findet Ihr nicht?
Wobei es jedoch auch nicht möglich ist, das Geschlechterthema ganz herauszuhalten. Denn in dem Moment, wo Menschen, die schwanger werden können, im wahrsten Sinn des Wortes der Zugang zu den „Fleischtöpfen“ erschwert wurde, in dem Moment, als ein patrifokales Gesellschaftssystem entstand, das Menschen mit Uterus nach der Menarche dazu nötigte, ihre Herkunftsorte zu verlassen und sich einem bestimmten Spermageber zuzuordnen – in dem Moment entstand ja genau das, was wir heute als „Frauen“ und „Männer“ kennen: Zwei unterschiedliche Untergruppen mit mehr und mit weniger Privilegien, in die Babies entlang der reproduktiven Differenz einsortiert wurden.
Es ist also nachvollziehbar, wenn insbesondere Historikerinnen darauf bestehen, die Kategorien „Frau“ und „Mann“ nicht als reines soziales Konstrukt anzusehen, sondern als reale Unterscheidung entlang der reproduktiven Differenz der Menschen. Andererseits ist es aber genauso nachvollziehbar, wenn andere darauf hinweisen, dass diese Kategorien immer schon spätere Konzepte früheren Kulturen quasi überstülpen.
Von daher müssen wir eben beides machen. Sowohl als auch.
Hier auch noch die Facebook-Diskussion zu diesem Artikel.
Update: Dort kam der Einwand auf: „Ich kann mir keine Gesellschaft vorstellen, in der es keinen Unterschied in der Teilnahme am Alltag gibt zwischen Menschen, die Schwanger sind und danach stillen müssen, und denen, für die das nicht gilt.“
Meine Antwort:
Nein, ich auch nicht, aber das ist nicht der Punkt. Selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen unterschiedlichen Leuten, nicht nur in Bezug auf Schwangerschaften oder nicht Schwangerschaften. Die Frage ist, ob diese Unterschiede über die notwendigen Aspekte hinaus sich zu kulturellen Konstrukten verdichten. Ob also zum Beispiel bestimmte Erwartungen oder Zuschreibungen an „Frauen“ auch für diejenigen Menschen mit Uterus gelten, die nicht schwanger sind. Oder ob diese Erwartungen inhaltlich auch Lebensaspekte betreffen, die gar nichts mit dem Schwangerwerdenkönnen zu tun haben und damit auch nicht zu den notwendigen, realen Aspekten des Unterschieds gehören.
Wobei das sicher fließend ist, und zum Beispiel auch die Frequenz der Schwangerschaften eine Rolle spielt. In der Steinzeit scheint es so gewesen zu sein, dass Personen mit Uterus nur alle vier bis fünf Jahre schwanger wurden, während sie dann in der Bronzezeit permanent schwanger waren. Das erklärt natürlich auch den Sog, sie zu einer Kategorie zusammenzutun. Es erklärt auch, warum diese Kategorie heute, wo wir wieder fast das ganze Leben über nicht schwanger sind, immer weniger plausibel wird.
Und, dritter Punkt: Es ist auch möglich, dass Gesellschaften zwar Menschen entlang der reproduktiven Differenz unterscheiden, aber das inhaltlich ganz anders füllen, als „wir“. Auch dann würde ich es fraglich finden, ob die Begriffe „Frau“ und „Mann“ in dem Fall die richtigen wären, um diesen Unterschied zu beschreiben, oder ob das nicht zwangläufig irreführend ist und man besser andere Begriffe nutzt.
Hallo Frau Schrupp, wenn die Frauen so stark kämpferisch waren, so geschickt auch in der Jagd, warum besorgten sie sich ihr Futter nicht selbst, wenn sie erleben mussten, dass die egoistischen Männer sie nur unzureichend ernährten? Ich habe ein paar Zeilen zum Thema Evolution geschrieben:
„Seit der Steinzeit essen die Männer den Frauen alles weg“
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