Heute kamen mir zwei Stellungnahmen in die Timeline, die für mich interessante Beispiele sind für eine Diskursweise, bei der Mächtige (oder vermeintlich Mächtige) versuchen, politische Debatten zu unterbinden unter Verweis auf eine höhere Autorität, mit der sie ihre eigene Macht legitimieren und verteidigen. Und zwar: Ein Bericht über die Absage von Kardinal Gerhard Ludwig Müller an den Synodalen Weg, mit dem deutsche Katholik*innen derzeit mögliche Reformen ihrer Kirche ausloten, und ein Aufruf von Linguistiker*innen gegen das „Gendern“ (womit sie inklusive Sprachweisen jenseits des generischen Maskulinums meinen).
Beide Stellungnahmen vertreten eine bestimmte inhaltliche Position im Rahmen einer politischen Debatte – der Kardinal möchte keine Demokratisierung der katholischen Kirchenstrukturen, die Sprachwissenschaftler*innen wollen das generische Maskulinum als Personenbezeichnung beibehalten und wenden sich gegen die Verbreitung neuerer Sprechweisen. Beides sind legitime Positionen, die man in einer pluralen Gesellschaft vertreten kann. Allerdings positionieren sich beide gerade nicht als Teilnehmer in einer pluralistischen demokratischen Debatte mit unterschiedlichen Sichtweisen, sondern als einzige legitime Vertreter der EINEN WAHRHEIT, die über dem pluralen Diskurs steht – der Kardinal spricht das Wort Gottes, die Sprachwissenschaftler*innen die einzig wissenschaftlich legitime Wahrheit
Denn der Grund, warum der synodale Weg scheitern, also eine Reform der kirchlichen Strukturen in Deutschland nicht gelingen wird, ist laut Kardinal Müller „nicht, dass wir hier in Rom diktatorisch auf unseren Überzeugungen beharren oder Macht ausüben wollen. Der Grund ist, dass die Kirche von Jesus Christus eingesetzt und entworfen worden ist. Wir haben keine Vollmacht, diese Ordnung zu verändern.“ Schöner Trick, denn auf diese Weise muss man die eigene Meinung nicht begründen, sondern kann schulterzuckend auf Gott als Schuldigen zeigen – wir würden ja womöglich sogar Frauen gleichberechtigen, dürfen aber leider nicht.
Eigentlich müsste dies zu einem Sturm der Entrüstung führen bei den nicht-katholischen Kirchen, denen der Kardinal Müller hier ja gleichzeitig auch bescheinigt, sich über das, was Jesus Christus gewollt hat, hinwegzusetzen. Es ist eine dreiste Unverschämtheit, die zeigt, wo genau der undemokratische Kern des katholischen Glaubensverständnisses liegt: nämlich in der Behauptung, die Kirche beziehungsweise die von ihr installierten Priestermänner würden Gottes Willen auf Erden vertreten. Auch ich bin der Ansicht, dass es einen göttlichen Willen gibt, den zu verändern wir Menschen nicht befugt sind. Aber dieser Wille ist doch nicht institutionell repräsentierbar. Wenn die Kirche in ihrer weltlichen Macht behauptet, sie wäre die alleinige Garantin von Gottes Willen, dann ist das nicht nur Gotteslästerung, sondern eröffnet auch Willkür und Gewalt Tür und Tor. Kein Mensch und keine irdische Institution darf anderen das aufdrücken, was sie für den Willen Gottes hält, denn der eröffnet sich mir, der Gläubigen, nur im direkten Kontakt mit Gott, vermittelt durch die Lektüre der Bibel. Meiner Ansicht nach ist die katholische Kirche eine im Kern eine ketzerische Institution, und in Aussagen wie die von diesem Kardinal hier wird das dann immer mal wieder offensichtlich: Er missbraucht das Wort Gottes, um seine eigene weltliche Macht und seinen eigenen Willen mit göttlicher Autorität aufzuwerten und über den pluralen Diskurs zu erheben.
Nun interessiert das heute (in Deutschland bzw. im säkularisierten Europa) kaum noch jemand, denn wir haben eine neue Entität an die Stelle Gottes gesetzt: die Wissenschaft. Damit komme ich zu den Sprachwissenschaftler*innen. Sie schreiben in ihrer Stellungnahme: „Das Deutsche verfügt bereits seit Jahrhunderten über ein Mittel, geschlechtsneutral zu formulieren (gemeint ist das generische Maskulinum, also die grammatikalisch männliche Form als Bezeichnung Menschen aller Geschlechter, AS). Ein Bedarf für das Erstellen von Neuformen besteht grundsätzlich nicht. Die deutsche Grammatik ist weder “gerecht” noch “ungerecht” – Gerechtigkeit ist eine ethische Kategorie, die zur Beschreibung grammatischer Strukturen nicht tauglich ist.“
Das ist derselbe Trick wie ihn der Kardinal angewendet hat: Auch hier wird eine politische Position – nämlich dass die Autor*innen dieser Stellungnahme, so wie viele andere Menschen auch, eine geschlechterinklusive Sprache nicht mögen – mit einer externen Autorität ausgestattet, nur ist es hier nicht Jesus Christus, sondern die wissenschaftliche Objektivität, die angerufen wird, um den Wunsch nach einer Veränderung der überkommenden Strukturen zu delegitimieren. Statt zu sagen: „Was ihr da macht, gefällt uns nicht“, wird behauptet: „Was Ihr da macht, das geht nicht“.
Aber selbstverständlich geht das. Ob ein Mensch, eine Gruppe, eine Gesellschaft den Bedarf einer Veränderung der Spielregeln empfindet, ist nichts, was sich wissenschaftlich akzeptieren oder ablehnen ließe. Wissenschaft hat keine Legitimation dafür, dem politischen Wunsch von Menschen Grenzen zu setzen.
Man kann also die Sprache genauso verändern wie die katholische Kirche, beides sind Strukturen und Instanzen, die von einer menschlichen Kultur hervorgebracht wurden, weder der liebe Gott noch die Wissenschaft haben damit etwas zu tun.
PS: Auf Twitter gab es gerade die Info, dass die angeblichen Linguist*innen größtenteils gar keine sind, das würde das Ganze natürlich noch absurder machen (ich habs nicht überprüft, weil für diesen Kontext hier ja auch egal).
PPS: Das fand ich an Christian Drosten während der Pandemie auch immer so gut, dass er klar unterschieden hat zwischen dem, was er an wissenschaftlichen Erkenntnissen beisteuern kann, und dem, was politisch daraus zu schließen wäre. Leider gibt es nur wenige Leute, die diese Unterscheidung im politischen Alltagsgebrüll ziehen.
„Kein Mensch und keine irdische Institution darf anderen das aufdrücken, was sie für den Willen Gottes hält, denn der eröffnet sich mir, der Gläubigen, nur im direkten Kontakt mit Gott, vermittelt durch die Lektüre der Bibel.“
Die Bibel ist doch auch nur ein Buch, von Menschen geschrieben, die etwas nacherzählen, was tatsächlich vor ihrer Lebenszeit stattgefunden haben soll. Zudem gibt es ganz verschiedene Bibel-Übersetzungen – wie also kann dieses Buch „den göttlichen Willen“ repräsentieren?
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