Wie soll man mit rassistischen und sexistischen „Stellen“ in Büchern umgehen?

Gerade wird wieder über die Frage von Neuauflagen von Büchern diskutiert, am Beispiel von Miss Marple und Roald Dahl. Es geht darum, dass bei Neuauflagen manche Passagen umformuliert wurden, um diskriminierende, etwa rassistisch oder sexistische Ausdrücke zu ersetzen.

Dass darüber diskutiert wird, ist natürlich super, die Frage ist nur wie. Denn anstatt sich mit Argumenten und Fragestellungen im einzelnen argumentativ auseinanderzusetzen (was imho der Sinn einer Diskussion ist), wird oftmals auf den „gesunden Menschenverstand“ gepocht und so getan, als sei der Versuch allein, einen Text an heutige Sprach- und Denkgewohnheiten anzupassen, verwerflich. Als würden hier heilige Originale „verhunzt“ und die Freiheit des Denkens untergraben.

Aber darin zeigt sich nur ein fehlendes historisches Bewusstsein. Übersetzung ist immer notwendig, wenn zwei unterschiedliche Kulturen zusammentreffen. Aber auch nicht nur bei geografisch, sondern auch bei historisch entfernten Gesellschaften handelt es sich um unterschiedliche Kulturen. Wörter, Gesten nehmen im Lauf der Zeit eine andere Bedeutung an und sind dann ohne Übersetzung unverständlich oder missverständlich. Auch politische Bewegungen müssen übersetzt werden, wie ich am Beispiel der Frauenbewegung grade in einem Artikel für die an.schläge geschrieben habe.

Das heißt: Man muss Bücher nicht nur aus anderen Sprachen, sondern auch aus anderen Zeiten „übersetzen“, damit sie ihre ursprüngliche Bedeutung behalten oder der zumindest nahe kommen. Wie bei jeder Übersetzung geht das nicht eins zu eins, und es geht immer etwas verloren und man bringt als Übersetzerin immer etwas zum Text, was nicht drin war, aber aus dem Dilemma als solchem kommt man nicht heraus. Wenn man einen historischen Text nicht übersetzt, wird er irgendwann unverständlich und nimmt eine andere Bedeutung an, als er ursprünglich hatte.

Kein Wunder, dass in Bezug auf die Bibel ganze Kommissionen von Wissenschaftler*innen kontinuierlich daran arbeiten, sie in die jeweils neue Zeit zu übertragen. Dabei werden Wörter und ganze Passagen geändert, weil es anders nicht geht. Auch die Lutherübersetzung wäre schon längst unlesbar und unverständlich, wenn sie nicht permanent in heutige Sprache übersetzt würde.

Aber das Prinzip gilt eben nicht nur für die Bibel, sondern für alle Bücher, die langlebig sind, die also nicht nur in der Zeit ihrer Veröffentlichung relevant sind, sondern auch noch Jahrzehnte oder Jahrhunderte später.

Ein Beispiel, woran das, wie ich finde, sehr deutlich wird, ist Astrid Lindgren. Lindgren war sicher keine Rassistin, aber sie lebte in einer rassistischen Kultur hat davon bestimmte Denkmuster übernommen, zum Beispiel das N-Wort. Ich bin mir sehr sicher, dass wenn Astrid Lindgren heute leben würde und die entsprechenden Debatten verfolgt hätte, sie das Wort nicht benutzen würde. Deshalb finde ich es richtig, Pippi Langstrumpfs Vater in Neuauflagen nicht als N-König, sondern als Südseekönig zu bezeichnen, ich glaube, das wäre im Sinn der Autorin selbst. Ähnlich ist es vermutlich bei Agatha Christie.

Bei Roald Dahl hingegen bin ich mir nicht so sicher. Wenn er verächtliche und diffamierende Sprache zum Beispiel gegenüber dicken Menschen verwendet hat, dann machte er das womöglich mit Absicht. Von daher stellt sich durchaus die Frage, ob man diese Stellen wirklich in einer Neuauflage verändern sollte. Andererseits war das Diffamieren von Menschen, die nicht der Norm entsprachen, zu Zeit in der Dahl schrieb tatsächlich noch gesellschaftlich mehr akzeptabel als es heute ist, und von daher hat auch hier sich die Bedeutung verändert. Muss man also genau drüber nachdenken.

Es hat jedenfalls seinen Grund, warum Verlage sich sowas überlegen, und ich glaube, es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass die Übertragung bestimmter antiquierter Sprachfiguren ein genuines Anliegen der „Woken“ wäre. Verlage und Literaturszene generell sind ja nicht unbedingt die Speerspitze der Wokeness. Ich denke, es geht ihnen auch darum, ihre Autorität und die Autorität ihrer Version von Hochkultur und ihres überlieferten Bildungskanons zu retten. Denn sehr vieles daraus ist halt einfach wirklich schlecht gealtert, Roald Dahl zum Beispiel.

Man könnte ja auch die ganzen rassistischen und sexistischen Passagen unverändert in den Büchern drinlassen als Erinnerung daran, wie krass rassistisch und sexistisch große Teile der europäischen Kulturproduktion traditionell sind. Ja, auch Agatha Christie und Roald Dahl und jede Menge anderer Held*innen unserer Jugend.

Vielleicht sollten es tatsächlich wir „Woken“ sein, die dagegen protestieren, wenn Verlage diese „Stellen“ glätten und so die Vergangenheit ihrer hochgejubelten Autor*innen schönreden.

Vielleicht sollten wir vielmehr herausstelle, wie peinlich und schlimm die europäische „Hochkultur“ in Wirklichkeit über weite Strecken ist. Ich erinnere mich dran, dass die Frauenbewegung das in den 1970er und 1980er Jahren teilweise so gemacht hat, da sind dann Bücher erschienen wie: „Was große Philosophen über Frauen geschrieben haben“ oder so ähnlich, das heißt, anstatt die „Stellen“ aus ihren Werken zu entfernen oder zu glätte, haben Feministinnen sie herausgesucht und laut angeprangert.

Beides sind legitime Wege der Kritik, und man sollte sie nicht gegeneinander ausspielen. Sondern eben darüber diskutieren.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

Ein Gedanke zu “Wie soll man mit rassistischen und sexistischen „Stellen“ in Büchern umgehen?

  1. Wie immer, es kommt darauf an… Bücher für Kinder sollten unbedingt angepasst werden, denn sonst sind sie für viele Kinder ein Zumutung, denn Verletzungen von Kindern sollten immer vermieden werden. Wer hier an den gesunden Menschenverstand appelliert, hat schlicht weg kein Interesse. Wer sich mehr interessiert, dem sei dieses Standartwerk empfohlen: https://www.perlentaucher.de/buch/susan-arndt-nadja-ofuatey-alazard/wie-rassismus-aus-woertern-spricht.html
    Ich habe diese Passagen noch nie Kindern vorgelesen, da sie einfach nicht mit meinen Werten übereinstimmen, schon vor der ganzen Debatte… ebenso was genderstereotype angeht. Lesen ist immer auch eine Interpretation, die eben jede für sich sowieso vornimmt, eben im stillen Kämmerlein. Und dazu kann auch ein kreativer Umgang mit Inhalten gehören.
    Bei Büchern für Erwachsene kann das natürlich unterschiedlich entschieden werden. Ich habe auch noch diese Bücher im Schrank mit den gruseligen sexistischen Zitaten – sozusagen als Mahnung, aber lesen? Das mach doch kein Vergnügen. Die genannten Autor*innen lese ich sowieso definitiv nicht (mehr) und das ist vermutlich für die Verlage relevant, die gerne ihre Stady-Seller behalten wollten…
    Es gibt so viele viel spannendere Bücher, so what…
    Was denkt ihr?

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