An den Diskussionen über den Feminismus, die dieser Tage nach einem Text von Meike Lobo durchs Netz toben, habe ich mich nicht beteiligt, weil mich dieses Thema etwas ermüdet und ich glaube, dass das alles vor allem zur Folge hat, von den inhaltlichen wichtigen Debatten eher abzulenken.
Vor einer ganzen Weile (oh, scheiße, vor über fünf Jahren) hatte ich ja schon mal vorgehabt, das F-Wort gar nicht mehr zu benutzen, um dann eine Weile später doch wieder zu kapitulieren – momentan schwanke ich aber wieder zurück. Weil mich eigentlich der Zustand „des Feminismus“ nicht die Bohne interessiert, sondern vielmehr die kontroversen Debatten unter Feministinnen. Eine gewisse feministische Grundhaltung des Gegenübers ist für mich sowieso die Voraussetzung dafür, dass ich an einem politischen Austausch interessiert bin. Die Frage ist nicht, ob Feminismus, denn das versteht sich von selbst, sondern wie genau. Oder noch anders: Mich interessiert Politik, nicht Propaganda.
(In diesem Sinne halte ich im übrigen auch Meike Lobo für eine Feministin, ebenso wie Alice Schwarzer eine ist, obwohl ich mit beiden in fast nichts einer Meinung bin, und die beiden untereinander vermutlich auch nicht über viel.)
Momentan zum Beispiel denke ich mit meiner anarchistischen Grundveranlagung über die Frage nach, ob eine Strafrechtsverschärfung tatsächlich so eine gute Idee ist, um das Problem der sexualisierten Gewalt anzugehen, während gleichzeitig viele andere Feministinnen (darunter auch die, mit denen zusammen ich gerade den #ausnahmslos-Text geschrieben habe) sich dafür einsetzen. Und ich lektoriere zurzeit ein Buch mit feministischen Positionen zum Grundeinkommen (erscheint im Herbst bei Ulrike Helmer), die in zentralen Aspekten ganz schön über Kreuz verlaufen. Undsoweiter.
Ein neuer Punkt, den Meike in ihrem jüngsten Resumee-Replik-Blogeintrag aufwirft, bringt mich jetzt aber doch zum Reagieren, und zwar ihre Kritik an den „Nonmentions“ bei Twitter:
Ein guter Teil der Äußerungen auf Twitter waren Nonmentions, also Tweets ohne Namensnennung ÜBER mich und nicht AN mich. Nonmentions sind das Äquivalent zum Hinter-dem-Rücken-Lästern, sie sind das Krebsgeschwür von Twitter, weil sie dem Kritisierten jede Möglichkeit nehmen, in irgendeiner Weise zu reagieren.
Ich habe auch eine Nonmention über Meike Lobo getwittert, und zwar aus Ärger darüber, dass sie in ihrem Text schreibt, der Feminismus würde Frauen, die Care-Arbeit leisten, jede Form von Anerkennung verweigern und dann zu dem Schluss kommt:
Dass typische Frauentätigkeiten mitunter gar nicht als Arbeit, sondern als Selbstverständlichkeit gelten, etwa die Pflege alter und kranker Angehöriger in der Familie, oder aber schlecht bezahlt werden und kaum eine Lobby haben, ist daher auch die Schuld der Frauenbewegung.
Es stimmt natürlich, dass es Feministinnen gibt, die Hausarbeit abwerten (vor allem in den 1980er und 1990ern), aber der feministische Mainstream sieht heute in der ungelösten Frage der Care-Arbeit eines der zentralen Themen. Und vermutlich war ich besonders angepisst, weil ich selber seit längerem gefühlt über praktisch gar nichts anderes rede und schreibe als über Care.
Aber hier sollte es jetzt ja um Nonmentions gehen: Ich habe Meike Lobo also nicht deshalb in dem Tweet nicht gementioned, weil ich hinter ihrem Rücken über sie lästern wollte, sondern weil ich keine Lust/Zeit/Energie hatte, mit ihr darüber eine Diskussion zu eröffnen. Zumal sie ja mit dieser These klargemacht hat, dass sie an meinem Feminismus offenbar nicht die Bohne interessiert ist. Weil sie offenbar weder mich, noch die feministische Szene, in der ich mich bewege (und die gar nicht mal so miniklein ist), noch die Care Revolution oder sonst irgend etwas, das ich mit Feminismus verbinde, auch nur ansatzweise auf dem Radar hat.
Auf die Idee, dass das Nichtmetionen irgendwie unhöflich sein könnte, kam ich gar nicht. Denn ich nehme es selber so wahr, dass ich mich selber durch eine Mention mit einer Kritik darin irgendwie herausgefordert fühle, zu reagieren. Also ich empfinde es als unhöflich, gementioned zu werden und dann nicht darauf zu antworten. Und deshalb finde ich es gut, wenn Leute, die etwas zu mir zu sagen haben, mich nur dann mentionen (gibt es das Wort überhaupt?), wenn sie von mir eine Reaktion haben wollen, und wenn nicht, dann nicht. (Manchmal wenn mir langweilig ist, suche ich bei Twitter meinen Namen und schaue, was die Leute so über mich reden, und habe dabei ein entspanntes Gefühl, weil ich nicht reagieren muss, aber durchaus kann).
Das ist jetzt natürlich Interpretationssache und Vorliebensache, aber ich glaube, es ist auch ein Trend in der Art, wie sich die Twitternutzung weiterentwickelt hat und wie wir (einige von uns, ich :)) inzwischen mit der Tatsache umgehen, dass wir nicht alle Diskussionen, die womöglich interessant sind, auch tatsächlich führen können:
*Mention bedeutet: Ich will, dass du auf meinen Einwand reagierst.
*Namensnennung bedeutet: Ich habe nichts dagegen, dass du meine Kritik erfährst, aber du musst nicht reagieren. Wenn du das Thema deinerseits weiter verfolgen willst, dann mentione halt mich.
*Anonymisierte Kritik (also public, aber ohne eindeutige Zuordnung zu der Person, wobei aber für viele durchaus erkennbar ist, wer gemeint ist) bedeutet: Ich habe das starke Bedürfnis, meine Kritik an der Position von XY öffentlich zu äußern, aber ich will auf gar keinen Fall mit ihr darüber diskutieren. Ich habe allerdings nichts dagegen, dass sie erfährt, was ich von ihr halte.
*Lästern im Darktwitter (also privat nur in einer bestimmten Gruppe) bedeutet: Diese Person nervt mich so, dass ich mich über sie mal bei Gleichgesinnten auskotzen muss, aber ich will dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden, daher sage ich es nicht öffentlich.
Allenfalls Letzteres würde ich als „Lästern hinter dem Rücken“ empfinden, aber auch das finde ich eigentlich legitim, denn niemand hat ja doch einen Anspruch darauf, zu erfahren, was andere über sie_ihn denken. Außerhalb vom Internet ist es ja auch ganz normal, dass ich über Dritte Sachen sagen kann, ohne von diesen dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das ist, finde ich, völlig in Ordnung.
Eine gekonnte Anwendung dieser „vier Stufen der twitterbasierten Kritik an Positionen, mit denen ich nicht einverstanden bin„, wenn man so will, hilft uns allen, unsere Kräfte beisammen zu halten, uns die Debatten und Auseinandersetzungen zu wählen, die uns jeweils interessant erscheinen und so weiter. Wie ich auch in meinem Artikel „Pluralität statt Parteibildung“ über die Entwicklungen des „Netzfeminismus“ in den vergangenen drei Jahren schrieb, ist das, glaube ich, einfach nur eine Weiterentwicklung von Konventionen, die der Tatsache geschuldet sind, dass es nicht möglich und auch nicht notwendig ist, mit allen über alles zu diskutieren.
Und dann ist diese Erkenntnis ja wiederum auch gar nicht so neu.
Früher hieß das: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“