Bestimmt ist euch schon mal aufgefallen, dass ich mich häufig auf Luisa Muraro beziehe. Sie ist jedenfalls eine derjenigen Denkerinnen, die mich am meisten beeinflusst haben. Es gibt von ihr schon eine ganze Reihe von Texten auf Deutsch, einige davon habe ich selbst übersetzt, zum Beispiel Beiträge zu den Diotima-Bänden (1999 und 2012). Manche ihrer Aufsätze oder Vorträge stehen auch im Internet. Aber vieles davon sind philosophische, jedenfalls theoretische Texte, die manche schwer verständlich finden. Jetzt hingegen ist unter dem Titel „Nicht alles lässt sich lehren“ im Christel Göttert Verlag ein langes biografisches Interview mit Luisa Muraro erschienen. Geführt hat es mit sehr klugen Fragen der Philosoph Riccardo Fanciullacci, die Übersetzung stammt von Traudel Sattler. Luisa erzählt darin von ihrer Kindheit – sie wurde 1940 als sechstes von insgesamt elf Geschwistern in einem Dorf in der der Nähe von Vicenza geboren -, von ihren suchenden Jahren als junge Studentin, von ihrer Begegnung mit Lia Cigarini und damit dem Feminismus, von der Gründung des Mailänder Frauenbuchladens und der Rezeption
Luisa Muraro
„Kämpfen ohne zu hassen, Auflösen ohne zu zerstören“
Ohnmachts-Erfahrungen gibt es im Bereich des Politischen viele. Oft scheint es, als müssten wir uns damit abfinden, dass es Kriege gibt, dass die Umwelt zerstört wird, die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden, die Geheimdienste uns alle ausspähen und so weiter. Diese Diagnose, dass Politik zunehmend ohnmächtig erscheint, war bereits Ausgangspunkt für das Buch „Macht und Politik sind nicht dasselbe“, in dem die Autorinnen ausloten, wie eine Politik, die nicht auf instrumentelle Macht setzt, vielleicht aus dieser Ohnmacht herauskommen könnte. Eine von ihnen, Luisa Muraro, wendet sich nun in einem kleinen Büchlein einem weiteren Aspekt zu, und zwar der Frage nach der Gewalt. Angelika Dickmann und Gisela Jürgens haben es unter dem Titel „Stärke und Gewalt“ ins Deutsche übersetzt. Den Kerngedanken von „Dio è violent“ (wie der Originaltitel lautet) hat Dorothee Markert in ihrer Rezension so zusammengefasst: „Wenn wir von vornherein und grundsätzlich die Möglichkeit ausschließen, bei unserem Handeln auch einmal die Grenze zur Gewalt zu überschreiten, dann nehmen wir uns selbst Stärke, verzichten auf
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„Wir sind aus dem Szenario ausgestiegen, und dann war es einfach nicht mehr da“
„Es genügt nicht, es sich so vorzustellen, dass jemand, der an den Rändern stand, sich nun plötzlich ins Zentrum des Szenarios stellte. Das war es nicht, was passierte, eher im Gegenteil: Wir sind aus dem Szenario ausgestiegen, und dann war das Szenario einfach nicht mehr da.“ – so erinnert sich die italienische Philosophin Luisa Muraro, 1940 geboren, an die „zweite Welle“ der Frauenbewegung. Und schreibt weiter: „Um den Feminismus der zweiten Welle zu verstehen, muss man sich eine grundlegende, aber oft übersehene Besonderheit vor Augen führen, und zwar dass die Revolte damals von Frauen ausging, die in jeder Hinsicht als emanzipierte Frauen betrachtet wurden. Sie revoltierten gegen die Verpflichtung, die ihnen täglich auferlegt wurde und die viele verinnerlicht hatten, nämlich dass sie moderne und emanzipierte Frauen zu sein hatten, was in der Praxis bedeutete, sich einem Modell entsprechend darstellen und verhalten zu sollen, das von den Begehren, Interessen und Ideologien der Männer gebildet worden war. Diese Frauen, die als privilegiert betrachtet wurden, haben
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Macht und Politik sind nicht dasselbe
So, das Buch ist da, yippie: „Macht und Politik sind nicht dasselbe“, die neueste Sammlung der Philosophinnen-Gemeinschaft Diotima aus Verona. Ich habe dafür sogar extra ein Video gedreht, lol. Have fun and share!
Tomaten auf den Augen. Über Revolutionen.
Heute lese ich in der taz über das neue Buch von Bascha Mika, der ehemaligen taz-Chefin, in dem sie die
Frei sein. Frau sein.
Ich bin gerade dabei, einen Workshop vorzubereiten, und dabei ist mir folgender Textabschnitt von Luisa Muraro wieder einmal in die Hände gefallen. Da in den Diskussionen in diesem Blog (und auch sonstwo) immer mal wieder die Frage gestellt wird, warum es heute denn überhaupt noch notwendig und sinnvoll ist, von Frausein zu sprechen, und weil die einen darauf mit „Ist es eben gar nicht“ antworten und die anderen mit „Weil Frauen immer noch diskriminiert und benachteiligt sind“ – beides finde ich falsch – dachte ich… … ich stelle das hier einfach mal zur Diskussion. Wir haben nicht gewählt, als Frauen geboren zu werden, und gerade diese Tatsache macht es unabdingbar, das Frausein zu akzeptieren. Simone Weil lehrt, dass das Akzeptieren der Notwendigkeit Freiheit schafft. … Frei-Werden und ein weibliches Subjekt werden – das ist eins. Das Werden des weiblichen Subjekts umfasst das Menschsein, die Geschlechtsidentität und die persönliche Einzigartigkeit – alle drei Dinge zusammen…. Ich hasse den Ausdruck „ich als
Freiheit in Zeiten des Algorithmus
Amazon weiß, welche Bücher mir gefallen, Facebook kennt meine Freundinnen, die Werbung schlägt mir nur noch Produkte vor, die mich tatsächlich interessieren: Wird das menschliche Handeln immer vorhersehbarer und ausrechenbarer? Viele befürchten das. Und sie befürchten deshalb Schlimmes für unsere Freiheit. Die Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel zum Beispiel hat in einem Interview davor gewarnt, dass die zunehmende Verfeinerung von Algorithmen es erlaubt, menschliches Verhalten immer genauer vorherzusagen und Informationen passgenau zuzuschneiden. Sie findet das problematisch und fragt, ob es nicht ein gewisses Maß an Unsicherheit braucht, um Freiheit zu ermöglichen. Ich finde die Frage sehr bedenkenswert. Aber – auch wenn mir jetzt manche wieder Optimismus vorwerfen: Ich teile diese Angst nicht. Denn ein Algorithmus kann ja nicht mehr tun, als prognostizieren. Er rechnet hoch, was aus unserer Vergangenheit bereits bekannt ist. Ob er damit recht hat oder nicht, steht damit noch lange nicht fest. Freie Menschen sind in ihrem Handeln nicht vorhersehbar. Die Möglichkeit, aus der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft
Priester und Feministinnen – Artikel von Luisa Muraro
Das Thema Religion und Spiritualität, das Verhältnis von Feministinnen zur Kirche und damit verwandte Fragen haben uns im Forum http://www.bzw-weiterdenken/ in den vergangenen Wochen und Monaten beschäftigt. Da war es ein schöner Zufall (oder war es gar kein Zufall?) dass sich die Dezember-Ausgabe der Zeitung „Via Dogana“ des Mailänder Frauenbuchladens mit dem Thema „Priester und Feministinnen“ beschäftigte. Wir haben daraus den gleichnamigen Artikel von Luisa Muraro ins Deutsche übersetzt, um die Diskussion fortzuführen: http://www.bzw-weiterdenken.de/artikel-3-102.htmZur Erinnerung: Die Dokumentation unserer vorausgegangenen Diskussion auf der Redaktionsmailingliste findet Ihr hier: http://www.bzw-weiterdenken.de/artikel-8-88.htm