Safeta, Helene und Antje streiten sich

Antje und Safeta mit Mina in Wuppertal. Wir haben uns vor der Statue der Arbeiterin Mina mit der Handykamera gegenseitig fotografiert und das Bild dann mit Photoshop zusammengestückelt, haha.

Letzte Woche traf ich mich zum Mittagessen mit Safeta Obhodjas, einer aus Bosnien stammenden muslimischen Schriftstellerin, die 1992 aus Pale flüchten musste und seither in Wuppertal lebt. Safeta habe ich vor gut zwei Jahren kennengelernt, denn ich war beim Stöbern im Internet auf ihre wunderbare Erzählung „Dzamillas Vorbild“ gestoßen und habe mit ihr Kontakt aufgenommen, um sie als Autorin für unser Forum Beziehungsweise Weiterdenken zu gewinnen, was glücklicherweise geklappt hat 🙂

Seither haben wir viel gemailt und uns auch schon einige Male getroffen, und meistens sind wir dabei heftig ins Diskutieren geraten. So auch diesmal wieder. Eines unserer liebsten Streitthemen ist der Islam. Safeta engagiert sich nämlich sehr für die Bildungs- und Entwicklungschancen von Mädchen aus Migrationsfamilien und legt den Finger dabei gerne in die Wunden patriarchaler muslimischer Strukturen. Ich hingegen bin besorgt über die zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland und finde ihren Enthusiasmus für die emanzipatorischen Errungenschaften der westlichen Moderne manchmal etwas übertrieben. Jedenfalls vergehen auf diese Weise die Stunden immer recht schnell, wenn wir ins Diskutieren kommen.

Dass eine Politik der Beziehungen produktiven Streit ermöglicht, weil Differenzen ausgetragen werden können, ist eine alte Erfahrung der Frauenbewegung. Wenn man der anderen Person wirkliches Interesse entgegenbringt, wenn man von ihr annimmt, dass sie auf die eigenen Fragen und Anliegen Antworten weiß, dann hat man nämlich keinen Anlass, sich hinter Standpunkten und Rechtfertigungen zu verschanzen. Das Interessante sind dann nicht die Übereinstimmungen, sondern die Unterschiede – nichts ist langweiliger, als mit jemandem zu diskutieren, der sowieso schon dieselbe Meinung hat wie ich. Denn weder habe ich dann eine Chance, meine Ideen in der Welt zu verbreiten, noch die Chance, etwas dazuzulernen. Italienische Feministinnen haben diese politische Praxis der Frauen (die nicht nur auf Frauen beschränkt sein muss) Affidamento genannt.

Ein anderes Beispiel dafür hat mir Safeta bei unserem Treffen in Form eines Hörspiels geschenkt, das sie gerade produziert hat. Auch darin spaziert sie mit einer Freundin diskutierend, lachend und streitend durch Wuppertal, nur diesmal mit einer fiktiven bzw. mit einer, die nicht mehr lebt: Helene Stöcker, Frauenrechtlerin, Pazifistin, Sexualreformerin und Philosophin, wurde 1869 in Elberfeld geboren, floh vor den Nazis ins Exil, wo sie 1943 starb.

Das Hörspiel ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Geschichte anschaulich und lebendig werden kann, wenn man sie als Dialog und Beziehungsgeschehen begreift. Während man die Unterhaltung zwischen Helene und Safeta belauscht, erfährt man eine ganze Reihe von biografischen und zeitgeschichtlichen Fakten, aber sie sind getragen von einem Dialog, der Theorie, gesellschaftliche Umstände und persönliche Biografien miteinander verwebt. Die Erfahrungen beider Frauen werden anschaulich, die Kriege, die sie erlebt haben, ihre Erfahrungen im Exil, ihr Kampf für weibliche Freiheit, ihr Wunsch, politisch Einfluss zu nehmen. Dabei zeigen sich viele Parallelen – etwa ihr Entsetzen über das Ausmaß von Brutalität und Moralverlust am Beginn eines Krieges, sei es der 1. Weltkrieg oder der  Bosnienkrieg – aber es werden auch Unterschiede sichtbar, Verwunderungen und Überraschungen.

Wie es zu ihrer Auseinandersetzung mit Helene Stöcker kam, hat Safeta hier beschrieben.

Die CD  eignet sich auch für den Einsatz im Unterricht oder in interkulturellen Gruppen. Sie hat den Titel Ketten reißen nie von selbst und ist für 12,50 Euro beim Nordpark Verlag zu beziehen. Safeta Obhodjas kann man auch zu Vorträgen oder Diskussionen einladen: www.safetaobhodjas.de.


Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

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