Mihriban pfeift auf Gott

Mihriban_bearb Mihriban ist 32, lebt in Berlin, und sieht sich selbst als „Nichtskönnerin auf allerhöchstem Niveau“. Ihr Leben plätschert eigentlich ganz gemütlich vor sich hin, der Job als Mädchen für alles in einem Kinderhort fordert sie nur mäßig, und dass in Liebesdingen nicht allzu viel läuft, bereitet ihr keine größeren Kopfschmerzen: Immerhin hat sie Familienanschluss, sie lebt mit ihrem „kleinen“ Bruder Mesut und dessen Tochter Suna zusammen.

Soweit könnte das Buch ein gewöhnlicher Hauptstadt-Roman mit Multikulti-Einschlag werden (und das ist es in gewisser Weise auch), aber Hilal Sezgin verfolgt noch eine andere Absicht: Sie will die Klischees und Denkmuster entlarven, in denen sich weite Teile des öffentlichen Diskurses inzwischen eingerichtet haben. Speziell im Bezug auf die so genannten „Migrationshintergründe“, das moderne Frauenbild und das, was man sich im Allgemeinen so unter dem „Islam“ vorstellt.

Machen wir uns also zusammen mit Mihriban Gedanken darüber, was sie wohl davon halten soll, dass Mesut seit einiger Zeit „fromm“ geworden ist. Regelmäßig setzt er sich mit seinen neuen Freunden zusammen, um über Gott zu reden und den Koran zu studieren. Ist das nicht für sich genommen schon bedrohlich? Und hat die emanzipierte Eva ihn etwa deshalb verlassen? Wie lange wird es wohl dauern, bis er als frommer Muslim seiner kleinen, zum Widerspruch neigenden Tochter Suna ihre Aufmüpfigkeit austreiben wird?

Mihriban, Mesut und Suna machen gerade zusammen in Ägypten Urlaub, als in Deutschland ein Terroranschlag verübt wird: In der Silversternacht haben mutmaßliche Islamisten Sekt vergiftet. Nach und nach findet sie sich mitten in einem Gestrüpp aus Indizien wieder, die ihren Bruder belasten. Auf eigene Faust macht sich Mihriban an die Recherche…

Normalerweise ist es ein heikles Unterfangen, wenn ein Roman so deutlich tagespolitische Bezüge herstellt, weil die Gefahr besteht, dass die Erzählung schematisch wird. Aber Hilal Sezgin missbraucht ihre Figuren nicht als bloße Repräsentantinnen oder Repräsentanten für einen bestimmten „Typus“. Sie bezieht zwar, wie man aus ihren zahlreichen journalistischen Texten weiß, einen klaren Standpunkt im Hinblick auf die gegenwärtigen „Islamdiskussionen“ in Deutschland. Sie ist aber auch – was sich schon in ihrem ersten, vor vielen Jahren erschienenen Roman „der Tod des Maßschneiders“ zeigte – eine gute Erzählerin und vor allem kann sie großartig Alltagsdetails beobachten und in lakonische Formulierungen gießen. Allein das schon macht das Lesen zum Vergnügen.

Was aber für ein spannendes Buch das Wichtigste ist: Man weiß bis zum Schluss nicht, wie die Geschichte ausgeht und was als Nächstes geschieht. Ich konnte das Buch jedenfalls, nachdem ich erst mal mit dem Lesen angefangen hatte, nicht mehr aus der Hand legen, bevor ich es durchhatte.

Hilal Sezgin: Mihriban pfeift auf Gott. Dumont, 16,95 Euro.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

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