
Derzeit wird ja – morgen ist Slutwalk – heftig über den Begriff der „Schlampe“ diskutiert, und die verschiedenen Wortbedeutungen sind aufschlussreich. Ich habe meinen Kommentar zu den Slutwalks schon hier veröffentlicht, außerdem empfehle ich zur Lektüre die Glosse von Luise Pusch dazu.
An dieser Stelle möchte ich noch darauf hinweisen, dass neben den Bedeutungen „sexuell aufreizend“ und „unordentlich, ungepflegt“ auch noch die Bedeutung von „eine Frau, die beansprucht, in die Politik zu gehen“ eine Rolle spielt.
Ein besonders schönes Beispiel ist dieses Zitat, das von Harriet Beecher-Stowe, der Autorin von „Onkel Toms Hütte“, gegen das Vorhaben der amerikanischen Feministin Victoria Woodhull vorgebracht wurde, die im Jahr 1872 mit einer Aufsehen erregenden Kampagne ihre Kandidatur für die Präsidentschaft der USA angekündigt hat. Beecher-Stowe kritisierte Woodhulls Initiative mit den Worten:
Wer immer auch Präsident der Vereinigten Staaten werden will, muss sich darauf einstellen, dass sein Charakter in Stücke gerissen wird, dass er verletzt, geschlagen und mit Schmutz überzogen wird von jedem unflätigen Blättchen im ganzen Land. Keine Frau, die nicht wie ein alter Putzlumpen durch jede Gosse und jedes dreckige Wasserloch gezogen werden will, würde jemals einer Kandidatur zustimmen. Es ist eine Qual, die einen Mann umbringen kann. Was für ein unverschämtes Luder von einer Frau muss das sein, die so etwas aushält, ohne dass es sie umbringt?
Ich weiß leider gerade nicht, wie das Wort im englischen Original heißt, aber ich denke „Schlampe“ und „Luder“ ist hier relativ wesensverwandt.
Das Hauptproblem, das die bürgerliche Frauenbewegung mit Victoria Woodhull hatte: Sie war nicht „respektabel“ – was sozusagen das Gegenteil von „schlampig“ ist. Sie kam aus der Unterschicht, sie war nicht „ehrbar“, sie trat ein für freie Liebe und sexuelle Selbstbestimmung. Und sie schrieb ihre Briefe nicht auf Briefpapier, sondern auf ihrendwelche Zettel. Insofern schließt sich hier der Kreis zwischen den verschiedenen Bedeutungen von „Schlampe“.
Denn so unterschiedlich, wie die verschiedenen Konnotationen des Wortes auch sein mögen, so haben sie doch eines gemeinsam: Sie bezeichnen „unordentliche“ Frauen, also solche, die sich der althergebrachten Ordnung dessen, was weiblich sei, widersetzen. Schlampen beziehen Freiheit auch auf ihre Sexualität, sie sind „unordentlich“ in dem Sinne, dass sie überlieferte Rollenvorgaben verweigern, und – und das ist der Punkt – sie beanspruchen, trotzdem Politik zu machen!
Luder bedeutet hier mehr „hinterlistig“ und „zäh“. Im Bairischen wir der Begriff ebenso gebraucht. Das ist eher das Gegenteil von Schlampe, die eher „unorganisiert“ und „verplant“ ist.
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Interessant finde ich mittlerweile immer wieder, wie diese „Schlampen“ oder „Luder“ nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen zur Ordnung gerufen werden, auch von Frauen, die sich durchaus auch selbst der herrschenden Ordnung widersetzt haben.
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@a – aber eindeutig in der Bedeutung von: Das gehört sich nicht!
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Großartiger Text! Gerade in der US-amerikanischen Politik ist es quasi zwingend für eine Frau, beweisen zu können, dass sie trotz allem noch gleichzeitig eine Familie organisieren kann, bzw. dass sie überhaupt eine Familie hat. Ledige Frauen sind geradezu moralisch verdächtig, was direkt auf ihre politischen Leistungen übertragen wird.
„Schlampen“ sind ja auch in erster Linie ungebundene Frauen, also solche ohne Partner, ohne Ehemann, der sie theoretisch in ihre Schranken weisen könnte. Das Wort verkörpert für mich -mal abgesehen vom Slutwalk, der ja eine „reappropriation“ darstellt- die Angst vor diesen Frauen, die machen (können), wozu sie Lust haben: beruflich, politisch, sexuell… Insofern habe ich den Begriff „Schlampe“ schon immer irgendwie auch als Kompliment verstanden.
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Beecher-Stowe benutzt im Original die Formulierung „what sort of brazen tramp of a woman“ (in vielen Textwiedergaben strategisch bereinigt zu „what sort of … a woman“).
Man könnte es den Worten nach jeweils etwas einseitig mit „schamloses Flittchen“ oder „dreiste Schlampe“ übersetzen; da die Textstelle allerdings eine faszinierende Mischung aus Abscheu und Bewunderung impliziert, ist die ausgewogenere Formulierung „unverschämtes Luder“ im Kontext glaube ich durchaus die beste Wahl.
Online habe ich zum Text auf die Schnelle diese Quelle gefunden.
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@Andi – Many thanks!!!
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Dieser Text erinnert an so viele starke Frauen der Geschichte, dabei dachte ich wieder einmal an Mary Wollstonecraft – Merci dafür!
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