Ich werde öfter mal gefragt, ob ich nicht Buchtipps hätte falls man sich einen Überblick über den Feminismus verschaffen wolle, und dann stöhne ich meistens, weil es „den Feminismus“ nicht gibt, sondern Feminismus doch grade bedeutet, dass Frauen souveräne und freie Subjekte sind und damit eben ihre jeweils eigenen Urteile und Ansichten haben. Wer den Feminismus kennen lernen will, kommt also nicht darum herum, sich mit einzelnen Frauen und ihren Ideen zu beschäftigen, und zwar nicht „als Frauen“ sondern als sie.
Aber jetzt habe ich doch mal einen Tipp. Gundula Ludwig hat ein Buch geschrieben über „Feministische staatstheoretische Interventionen“ und gibt dabei eine Zusammenfassung davon, was feministische Politikwissenschaftlerinnen in den vergangen zwei, drei Jahrzehnten zum Thema Staat geschrieben haben (mit umfassender Literaturliste). Dabei gelingt es ihr, sowohl die einzelnen Ansätze in ihrer Eigenständigkeit vorzustellen, als auch gemeinsame Diskursstränge herauszuarbeiten. Sehr gelungen, sehr lesenswert, und für Politikwissenschaftler_innen ein Muss aus meiner Sicht.
Leider fehlt wieder die Traditionslinie des nicht-essenzialistischen Differenzfeminismus, aber daran habe ich mich inzwischen ja schon gewöhnt. Der wird im deutschsprachigen akademischen Milieu einfach ignoriert, Differenzfeminismus wird hier immer auf dessen essenzialistische Vertreterinnen reduziert (Im englischsprachigen Raum ist das zum Glück ein bisschen anders.). Und weil man an Luce Irigaray dann doch nicht vorbeikommt, wird sie eben essenzialistisch interpretiert. Wenn etwas nur oft genug wiederholt wird, glauben es am Ende halt alle.
Aber sei’s drum, abgesehen davon ist die Diskussion gut dargestellt. In ihrem Fazit destilliert Ludwig aus den vielfältigen Debatten drei Aspekte heraus, die alle feministischen Staatstheoretikerinnen gemeinsam haben, und zwar:
Erstens: Dass sie die geschlechtsneutralen „Halbwahrheiten“ aufbrechen, die die politische Theorie ansonsten prägen, indem sie zeigen, dass angeblich „geschlechtsneutrale“ Strukturen, Institutionen und Politiken in Wirklichkeit androzentrisch sind.
Zweitens: Dass sie das Ziel haben, Begriffe und Konzepte durch die Analysekategorie „Geschlecht“ zu präzisieren und daraus neue Begriffe und Konzepte entwickeln.
Drittens: Dass sie den staatstheoretischen Kanon um neue Konzepte des Politischen erweitern möchten.
Gundula Ludwig: Geschlecht, Macht, Staat. Feministische staatstheoretische Interventionen. Verlag Barbara Budrich, Berlin & Toronto 2015, 161 Seiten, 14,90 Euro.