Simone Weils Plädoyer für die Abschaffung der politischen Parteien

Dass jemand ernsthaft die Abschaffung der politischen Parteien fordert, erscheint uns heute völlig absurd, denn wir haben uns angewöhnt, die Existenz von Parteien als Vorbedingung für jedes demokratische Gemeinwesen anzusehen. Genau das hat aber Simone Weil in einer kleinen Schrift getan, die erst kürzlich aus Anlass ihres 100. Geburtstages auf Deutsch erschienen ist – verfasst hat sie sie kurz vor ihrem Tod im Jahr 1943. Wie kommt sie nun auf diese Idee? Zunächst einmal ruft sie in Erinnerung (auch das machen sich normalerweise die Wenigsten klar), dass die Demokratie kein Selbstzweck ist, sondern lediglich ein Mittel zum Zweck, der nämlich darin besteht, Gerechtigkeit und das Gute in einer menschlichen Gesellschaft hervorzubringen. Dabei beruft sie sich auf Rousseau und dessen Begriff des Gemeinwillens, der keineswegs besagt, dass der Gemeinwillen per se besser wäre als ein Einzelwille (etwa eines absolutistischen Herrschers): Ein Wille, der ungerecht, aber der gesamten Nation gemein ist, wäre in Rousseaus Augen – und er lag richtig – dem

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Freiheit in Zeiten des Algorithmus

Amazon weiß, welche Bücher mir gefallen, Facebook kennt meine Freundinnen, die Werbung schlägt mir nur noch Produkte vor, die mich tatsächlich interessieren: Wird das menschliche Handeln immer vorhersehbarer und ausrechenbarer? Viele befürchten das. Und sie befürchten deshalb Schlimmes für unsere Freiheit. Die Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel zum Beispiel hat in einem Interview davor gewarnt, dass die zunehmende Verfeinerung von Algorithmen es erlaubt, menschliches Verhalten immer genauer vorherzusagen und Informationen passgenau zuzuschneiden. Sie findet das problematisch und fragt, ob es nicht ein gewisses Maß an Unsicherheit braucht, um Freiheit zu ermöglichen. Ich finde die Frage sehr bedenkenswert. Aber – auch wenn mir jetzt manche wieder Optimismus vorwerfen: Ich teile diese Angst nicht. Denn ein Algorithmus kann ja nicht mehr tun, als prognostizieren. Er rechnet hoch, was aus unserer Vergangenheit bereits bekannt ist. Ob er damit recht hat oder nicht, steht damit noch lange nicht fest. Freie Menschen sind in ihrem Handeln nicht vorhersehbar. Die Möglichkeit, aus der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft

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Das Ende der Demokratie, wie wir sie kannten

Dass es schlecht um „die Politik“ steht, so wie wir sie bisher kannten, ist inzwischen ein offenes Geheimnis. Vergangenes Wochenende nahm ich an einer Tagung zum Thema „Sprache und Politik“ in der Evangelischen Akademie Bad Boll teil. Während der drei Tage wurden immer wieder die gegenseitigen Zwänge, die Medien und Repräsentationspolitik aufeinander ausüben, thematisiert: Politikerinnen beklagten, wie unmöglich es sei, in den Medien differenzierte und fundierte Positionen unterzubringen, das Publikum klagte über nichtssagende und banalisierte Polit-Rhetorik. Bei der Schlussdiskussion zog Johano Strasser, Vorsitzender des Deutschen PEN-Zentrums, eine sehr ernüchternde Bilanz: Symbolpolitik sei heute an die Stelle von inhaltlichem Profil getreten, Parteitage seien lediglich Inszenierungen und nicht Foren für echte Auseinandersetzungen. „Aber eine Demokratie, wo es keinen Platz mehr gibt für den Austausch von Argumenten, kann nicht bestehen“, so Strassers Warnung, und er gestand ein: „Ich weiß auch nicht, was man da machen kann.“ Ein interessanter Bogen schloss sich von hier zu einer Beobachtung der Grünen-Politikerin Antje Vollmer. Sie sagte, noch

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Kann eine Feministin die Grünen wählen?

Früher konnte sie es mal, jedenfalls recht gut. Keine andere Partei hatte so viele unterschiedliche, eigensinnige und teilweise auch skurrile Frauen in ihren Reihen wie die Grünen. Grüne Frauen waren dafür bekannt, dass sie sich nicht scheuen, Meinungen zu vertreten, die völlig ab vom Mainstream liegen. Es waren spitze Rhetorikerinnen darunter. Pulloverstrickende Müslis. Ganz Junge und ganz Alte. Dicke. Esos. Emanzen. Muttis. Was auch immer, jedenfalls: viele verschiedene feministische Fraktionen, die sich gegenseitig zuweilen mit großer Verve bekämpften, was manchmal peinlich, häufig aber sehr interessant war. Selten hatte der Begriff der „sexuellen Differenz“ so bunte Blüten hervorgebracht, wie bei den Grünen. Tempi passati? An die relativ stromlinienförmige „Professionalität“ heutiger Grünen-Politikerinnen hat man sich ja inzwischen schon gewöhnt. Wie sehr aber die eigenwillige „Politik der grünen Frauen“ inzwischen im gleichgestellten Meer „grüner Frauenpolitik“ untergegangen ist, ist mir erst beim Anblick dieses „Frauen nach oben“- Wahlplakates aufgegangen. „Frauen nach oben“ – das ist ja wirklich eine absurde Forderung. Ich will jetzt gar

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Kann eine Feministin Piraten wählen?

Es ist fast wie eine enttäuschte Liebe: Da ist eine neue Partei, rebellisch, wild und entschlossen im Kampf gegen die alten Knochen – und dann stellt sie sich als zutiefst sexistisch heraus und, schlimmer noch, ihr scheint das auch völlig egal zu sein. Was tun wir nun mit den Piraten? Der derzeitige Tenor scheint zu sein: Schade, inhaltlich stimmen wir mit ihrem Programm überein, aber wir können sie wegen ihres Sexismus nicht wählen – so etwa Danilola in seinem Blog oder auch Rochus Wolff im Genderblog. Ich selbst bin vielleicht deshalb weniger vom Gehabe der Piraten überrascht (und damit auch weniger enttäuscht) weil ich ihre Existenz schon vor fünf Jahren quasi vorausgesagt und auch analysiert habe, worin das Besondere dieser neuen Form von Männlichkeit besteht. In meinem Büchlein „Zukunft der Frauenbewegung“ (von 2004) gibt es nämlich ein Kapitel, das heißt „Patriarchen und Piraten“. Darin gehe ich von einem Gedanken aus, den die italienische Philosophin Luisa Muraro schon 1995 formulierte, nämlich

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Klonkrieger stellen sich zur Wahl

Sind sie nicht schön, die hessischen Klonkrieger? Über die Männerrunde, die nach der Abwahl der weiblichen Hauptdarstellerin übriggeblieben sind und – bei aller angeblichen Gegnerschaft zueinander – offenbar kulturell sehr schön zusammen passen, hat Judith von Sternburg eine schöne Betrachtung in der Frankfurter Rundschau geschrieben: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=1660264& Dass die sexuelle Differenz in der Politik häufig weniger eine Frage der Inhalte ist, sondern vielmehr eine des Gestus, darüber denke ich schon länger nach. Nur dass es eben selten so schön augenfällig wird. Tja, das kommt eben davon, dass die Frauen so unbelehrbar sind: http://antjeschrupp.blogspot.com/2008/11/unbelehrbar-bleiben.html

Michelle Obama ist ein Mann!

Das Männermagazin „DER SPIEGEL“ hat diese Woche das höchste Lob an eine Frau vergeben, das es in Augen der Redakteure offenbar gibt: MICHELLE OBAMA IST EIN MANN. Und nicht nur das, sondern auch noch OBAMAS BESTER. Luise Pusch hat dazu in ihrem Blog eine kleine Glosse geschrieben:http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/ist-michelle-obama-ein-mann/Ich finde das Interessante an dieser Sache ist nicht die Altbackenheit des SPIEGEL (wahrscheinlich traut man sich dort nur zu schreiben, was mann andernorts nur denkt, aber sich political correctness halber verkneift), sondern die Tatsache, dass dieses Prinzip offenbar immer noch funktioniert. Von daher danke ich dem SPIEGEL ganz herzlich für diesen Titel, denn er liefert mir wieder einmal einen Beleg für meine These, dass die Politik trotz aller Emanzipation nach wie vor ein symbolisch männlich definierter Ort ist.Vgl. auch meinen Artikel „Kein weiblicher Messias in Sicht“ (über die Hillary-Barack-Ereignisse) http://www.bzw-weiterdenken.de/index.php?m=artikel&rub2=&tid=105 und meinen Kommentar „Ich gratuliere Hillary Clinton“ in diesem Blog: http://antjeschrupp.blogspot.com/2008/06/ich-gratuliere-hillary-clinton.html