Proudhon – der größte Frauenfeind des 19. Jahrhunderts wird gefeiert

Mit Verwunderung lese in diesen Tagen allenthalben lobhudelnde Artikel über den französischen Antifeministen und Sozialisten Pierre-Joseph Proudhon, aus Anlass von dessen 200. Geburtstag. Zum Beispiel hier in der taz http://www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/der-anarchistische-kleinbuerger/ oder auch in der monde diplomatique http://www.monde-diplomatique.fr/2009/01/CASTLETON/16666 (leider im Netz nur auf französisch zu haben).

Da gibt es dann so lapidare Sätze wie den, dass sich die antifeministischen Positionen Proudhons „bei vielen Sozialisten des 19. Jahrhunderts“ fänden. Das stimmt nicht. Proudhon war ein extremer Antifeminist und in seiner Frauenverachtung deutlich radikaler als alle anderen Denker seiner Zeit, ob bürgerliche oder sozialistische.

Mit seinem Buch „De la Justice“ löste er 1858 einen Protest-Sturm unter französischen Feministinnen und eine Flut anti-proudhonistische Bücher aus. In seiner 1875 posthum veröffentlichten Hetzschrift „La Pornocratie ou les femmes dans les temps modernes“ legte er noch mal nach und verteidigte seinen Antifeminismus ausdrücklich gegen den Trend der Zeit.

Der Proudhonismus führte in der französischen Arbeiterbewegung zunächst zu einem Ausschluss der Frauen aus ihren Organisationen, der erst aufgehoben wurde, nachdem der Proudhonismus an Einfluss verloren hatte. Proudhon galt zu seiner Zeit auch keineswegs als Anarchist. Zum Beispiel sind Bakunin und seine AnhängerInnen zunächst der Internationale wegen deren proudhonistischer Ausrichtung gegenüber distanziert geblieben (sie vertraten die Gleichheit der Geschlechter). Erst Kropotkin hat Proudhon in die Ahnenreihe des Anarchismus aufgenommen, und seither schreibt es einer vom anderen ab.

Es ist also keineswegs so, dass Proudhons Frauenverachtung sozusagen ein aus den Zeitumständen heraus verständlicher und vernachlässigbarer Nebenaspekt seines Denkens war, sondern er war ein zentraler Punkt. Hauptforderung der Proudhonisten war zum Beispiel ein Verbot der Frauenerwerbsarbeit und die Vorstellung, Frauen müssten in Haushalt und Kindererziehung dem Mann zuarbeiten. Dies war nicht einfach „damals eben so“, sondern eine dezidierte Gegenposition zu anderen Strömungen der Arbeiterbewegung, die eine Integration der Frauen in die Erwerbsarbeit und in den sozialrevolutionären Kampf favorisierten. Dieser Streit zwischen Proudhonisten und anderen über die Rolle der Frau nahm bei den ersten beiden Kongressen der Internationale einen sehr großen Teil der Debatten ein.

Wenn ich da solche Artikel lese, dann muss ich sagen, dass die Arbeiterbewegung in ihrem Bewusstsein für die Bedeutung der Geschlechterdifferenz für die revolutionäre Bewegung damals theoretisch bereits auf einem höheren Niveau war die so genannten „linken“ Denker heute, 150 Jahre später. Ziemlich schade, nicht?

Wer es genauer wissen will: Ich hab einen Text im Netz zum Thema „Feminismus und Antifeminismus in der frühen Arbeiterbewegung“ http://www.antjeschrupp.de/studienvereinigung

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

8 Gedanken zu “Proudhon – der größte Frauenfeind des 19. Jahrhunderts wird gefeiert

  1. Es wundert mich nicht, denn frauenfeindliche Äusserungen und Theorien einiger „grossen Denker und Schriftsteller“ unserer „Grande Nation “ werden verschwiegen oder werden ihnen verziehen, wenn man sie sogar nicht als revolutionär und genial betrachtet! (ich denke unter anderem an das Werk von dem Marquis de Sade zum Beipsiel). Als Studentinnen (Anfang der siebziger Jahre) waren wir über die Vorlesungen ,die die Werke dieser frauenfeindlichen „Genies“ verherrlichten, empört!Heute ist es wichtig, dass wir,viele von uns sind Lehrerinnen geworden, im französichem Schulwesen gegen die frauenfeindlichen Werke in den Schulprogrammen kämpfen, auch wenn es sehr schwer ist.Diese Werke haben nämlich „l’autorité du canon littéraire“.

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  2. Proudhon war nicht nur Frauen- sondern vor allem auch Judenfeind und dabei genau so fanatisch wie Martin Luther, jene menschenverachtende Bestie, die für Frauen, die missgebildete Kinder gebahren, die Wasserprobe empfahl. Anfang der Neunzehhundertsiebziger wurde nicht nur der Marquis verherrlicht, Jean Genet eiferte ihm nach rein literarisch. Lag ein wenig an Sartre und dem verquerem Existenzialismus. Simone hatte übrigens auch ihre dunklen Seiten…

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  3. Danke für diese Klarstellung. Leider scheint dies bei David Graeber, der Proudhon unkritisch zitiert, noch nicht angekommen zu sein. Der Antisemitismus Proudhons wurde von G.L. Mosse in dessen Buch: „Die Entstehung des Rassismus in Europa“ ausführlich dargestellt.
    In der Pariser Commune hatten die Proudhonisten sehr viel Einfluss und verhinderten, dass Frauen das Wahlrecht erlangten. U.a. durch Proudhon bedingt konnten die französischen Frauen erst 1945 ihre politische Emanzipation in Bezug auf das allgemeine Wahlrecht in einem bürgerlichen Staat erlangen.

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  4. @Antje Schrupp
    Verstehe ich das jetzt richtig, dass der Proudhon so ein Antifeminist und Antisemitist wie der Martin Luther war, nur Luther ihm das lange vor ihm vorgemaccht, also evtl. Modell gestanden hat?
    Als atheistisch lebendes Mensch muss ich jedoch den Luther trotz seiner hahnebüchenen Judenbeschimpfungen, für deren zehnten Teil heute jeder postwendend im Knast landen würde, und trotz hässlicher Frauenmissachtungen, achten und ehren, weil auch ich ihm meine Sprache zu verdanken habe, in der ich hier schreibe!
    Und nicht nur die Christen ihm eine Glaubens-, Religions- und Kirchenreformation zu verdanken haben, ohne dass da ein einziger Christ sich heute über Luthers frappierende Juden- und Frauenfeindlichkeit „entsetzt“.

    Es könnte sein, dass so zu Proudhon anstelle der ahistorischen wissenschaftlich längst nicht voll belegten Abschreiberei aus dem seltsamen „Anarchist“ auch etwas mehr Substanz zugebilligt wird, als die Reduzierung auf Antisemitismus und Antifemitismus?

    Eventuell möchtest du diese Kombinationen nochmal aus diesem Aspekt durchdenken und dein Entsetzen etwas mässigen, dem Stand der Wissenschaft, die sich dazu noch streitet etwas mehr Rechnung tragend?

    Erbsenzählerei zu negativen zeitgebundenen Erscheinungen und deren vordergründiges Aufbauschen bin ich von dir bisher an keiner Stelle gewohnt.
    Sorry, aber naives Übernehmen ohne zu hinterfragen oder alles NUR durch fundamentalfeministische Brillen betrachtet irritiert mich bei dir.

    Übrigens:
    Wer mal einen echten „heissen“ Antisemitisten aus dieser Zeit kennenlernen möchte, der schau mal bei Karl Marx vorbei, was der zum „jiddischen Nigger“ Lassalle und dergleichen von sich gibt …
    Da bin ich mir nicht sicher, ob der Proudhon auch – wie übrigens Luther – diese persönlich isistierte Juden- und Frauenfeindlichkeit in sich trug und von sich gab …

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