Gerade habe ich das Buch „Hammerstein oder Der Eigensinn“ von Hans Magnus Enzensberger ausgelesen. Es ist ein sehr interessantes Buch, es geht um den Chef des Deutschen Heeres, General Kurt von Hammerstein-Equord, der ein Gegner des Nationalsozialismus war und 1934 deshalb zurückgetreten ist. Es geht um die ambivalenten Diskussionen im Militär und unter Adligen darüber, was man von Hitler halten sollte (die meisten hielten nichts von ihm) und ob man aktiv was gehen ihn unternehmen sollte (dabei waren die meisten bekanntlich zu zögerlich – Hammerstein starb 1943 an Krebs, also vor dem Attentat vom 20. Juli 1944).
Das alles ist höchst interessant und gut gefiel mir auch, wie Enzensberger das aufschreibt (mit verschiedenen Formen, u.a. fiktiven Interviews mit den Protagonistinnen und Protagonisten). Was mich aber am meisten frappiert hat, das war die große Anzahl von Frauen, die hier eine aktive Rolle gespielt haben. Man könnte fast sagen, das Buch wimmelt nur so von ihnen. Und das bei so einem Thema: Militär und „harte“ Politik, weit vor den Zeiten der Emanzipation.

Da wären zunächst einmal die drei ältesten Töchter Hammersteins, Marie Luise, Maria Therese und Helga. Ihre vielfältigen Aktivitäten im Widerstand, ihre Mitarbeit in kommunistischen Kreisen, ihre Beziehungen zum jüdischen Widerstand und so weiter. Aber auch zum Beispiel Ruth von Mayenburg, eine deutsche Adlige, die für die Rote Armee spionierte. Und noch zahlreiche andere, nicht nur Frauen, die im Widerstand aktiv waren, sondern auch Hitler-Anhängerinnen oder Denunziantinnen.
Mir hat die Lektüre wieder mal klar gemacht, wie falsch es ist, anzunehmen, dass Emanzipation und Gleichberechtigung Vorbedingungen für ein freies weibliches Engagement in der Welt sind. Manchmal habe ich, wenn ich mich auf solche geschichtlichen Ausflüge in voremanzipatorische Zeiten begebe, sogar den Eindruck, dass weibliche Subjektivität sich damals (zumindest im Einzelfall) besser entfalten konnte, weil Frauen, die sich engagierten, noch nicht mit dem Stigma des Opferseins behaftet waren.
Allerdings ist es andererseits auch so, dass erst die Frauenbewegung solche Bücher ermöglicht hat: In voremanzipatorischen Zeiten tendierten die Geschichtsschreiber ja im Allgemeinen dazu, aktive Frauen zu übersehen. Sie kamen deshalb früher in solchen Büchern nicht vor. Von daher ist es gut, dass es die Frauenbewegung gegeben hat und mit ihr das Bewusstsein für die vielfältigen Benachteiligungen, denen Frauen in einer männerzentrierten Realität ausgesetzt sind. Dieses Bewusstsein (und der Kampf für die Abschaffung der Diskriminierungen) darf uns aber nicht dazu verleiten, zu glauben, dass es vor der Emanzipation politisch engagierte Frauen nur im Einzelfall gegeben hätte. Es waren auch damals schon ganz viele.
Hans Magnus Enzensberger: Hammerstein oder Der Eigensinn, Suhrkamp 2009 (Taschenbuchausgabe), 9,90 Euro.
Hier eine ausführliche Rezension von Frank Raudszus
Das klingt nach interessanter Lektüre, die zum Nachdenken anregt. Aber die Rede von „voremanzipatorischen“ Zeiten finde ich doch ein bisschen problematisch. Was ist mit der 1. Frauenbewegung, die das Wahlrecht erkämpft hat? Die Verfassung der Weimarer Republik ist auch eine der ersten, in der Frauen und Männern „grundsätzlich“ gleiche Rechte zugestanden werden. Ich denke, gerade deshalb gibt es in den 1920ern und zu Beginn der 1930er so coole Frauen wie auf dem Foto oben.
Natürlich ist politisches Engagement auch ohne feministisches Bewusstsein möglich, aber der Umgang mit und die Wahrnehmung von aktiven Frauen hängt immer auch davon ab, welche Vorstellungen vom Geschlechterverhältnis zeitgenössisch vorhanden sind. Da entsteht dann schnell der Eindruck, nur ‚Ausnahmefrauen‘ handelten historisch relevant: Jeanne d’Arc, Elisabeth I., Katharina II. usw.
Dabei ist es doch einleuchtend, dass alle Menschen, die zu einer bestimmten Zeit leben, in die herrschenden politischen Verhältnisse eingebunden sind und sich auf irgendeine Weise zu diesen verhalten. Das Spannende ist, dass bei der nicht ganz so fernen Vergangenheit die Möglichkeit besteht, genau diese ‚kleinen‘ Politiken zu rekonstruieren. Sie zeichnen ein differenziertes Bild historischer Prozesse, die nicht nur durch die große Politik beeinflusst werden, sondern im Alltäglichen ermöglicht werden.
Und da schließt sich der Kreis, denn es ist tatsächlich auch der Frauengeschichte zuzuschreiben, dass Geschichte inzwischen nicht mehr nur die Erzählung großer Namen und politischer Ereignisse ist. Frauengeschichte ist eng mit der 2. Frauenbewegung seit den 1970ern verbunden. Insofern sollten wohl eher die Sichtweisen auf historische Prozesse als die Lebensweisen vor 80/90 Jahren „voremanzipatorisch“ (kein schönes Wort, wie ich finde) genannt werden.
PS: Ich habe gestern einen schon etwas älteren Post beim Mädchenblog gelesen und mir gedacht: ja bei anderen Feminist_innen kommentieren – gute Idee. Und jetzt merke ich, dass ich genau wie beschrieben verfahre: ich habe was zu kritisieren, weil ich mich mit dem Thema auskenne. Zugleich habe ich beim Schreiben gut weiterdenken können und hoffe, es interessiert dich vielleicht, zu welchen Gedanken dein Post mich inspiriert hat.
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Ja, du hast recht, „voremanzipatorisch“ ist vielleicht kein gutes Wort, und in diesem Fall müsste es wohl genauer auch „vor-gleichgestellt“ heißen, weil du natürlich recht hast, dass zumindest im Hinblick auf das Wahlrecht – allerdings nicht im Hinblick auf andere Rechte – die Frauenemanzipation schon da war.
Was ich ausdrücken wollte, ist vor allem mein Unbehagen darüber, das Handeln oder Nicht-Handeln von Frauen in einen direkten kausalen Zusammenhang mit dem Stand der Gleichstellung bzw. Emanzipation zu bringen, wie es heute oft geschieht.
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Ja, da meinen wir dann tatsächlich das gleiche. Denn es ist eben NICHT so, dass Frauen sich erst ‚heute‘ trauen, sich zu engagieren. Es ist nur sichtbarer. Und das ist gut so.
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