Wir sind keine Varianten

Wenn erst einmal eine Frau im Management einer Firma ist, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass dort noch eine andere Frau in eine ähnliche Position kommt, um ungefähr 50 Prozent. Das hat gerade eine Studie in den USA herausgefunden. 

Ein Ergebnis, das manche überraschen wird, denn es gibt im Gleichstellungsdiskurs ja die These, dass Frauen in Führungspositionen andere Geschlechtsgenossinnen „mitziehen“ würden, Stichwort Schneeballeffekt. So scheint es aber leider nicht zu sein.

Die Forscher_innen diskutieren verschiedene Gründe: Aktive Gleichstellungsbemühungen lassen nach, sobald man erstmal „eine hat“, männliche Platzhirsche verstärken ihren Widerstand gegen Frauen auf ihrer Statusebene, sobald es zu viele zu werden drohen und so weiter. (Die früher gerne mal vorgebrachte These, wonach erfolgreiche Frauen besonders „stutenbissig“ wären und keine weibliche Konkurrenz neben sich dulden, hat zumindest diese Studie nicht hergegeben: Die negativen Effekte stellen sich offenbar auch dann ein, wenn Führungsfrauen aktiv versuchen, Geschlechtsgenossinnen zu fördern.)

Die Erklärungen sind allesamt nicht befriedigend, beziehungsweise sie lassen die eigentlichen Gründe für die „eine Frau reicht ja wohl“-Haltung unausgesprochen. Wenn der Grund für die männliche Dominanz, wie oft behauptet, vor allem die Tradition ist, also die Gewohnheit des „das war schon immer so“, dann wäre nämlich in der Tat ein Schneeballeffekt zu erwarten: Man hat sich doch inzwischen daran gewöhnt, eine Bundeskanzlerin im Fernsehen zu sehen oder eine Managerin mit am Konferenztisch zu haben – warum ist denn dann der Damm nicht gebrochen, sondern wächst sogar noch höher?

Meiner Ansicht nach ist die tiefere Ursache die, dass Frauen – und auch andere „andere“ – eben nicht als Andere gedacht werden, sondern als Gleiche.

Ein schönes Beispiel dafür, was ich meine, ist die Anfangssequenz des George Lucas-Films THX1138 aus dem Jahr 1970 (darüber schrieb ich auch hier schon mal was). Dort werden vier Personen immer abwechselnd gezeigt: Ein weißer Mann, ein alter weißer Mann, ein Schwarzer Mann, eine weiße Frau. Als ich das das erste Mal sah, wurde mir klar, wo das Problem liegt: Die „anderen“ (also die Alten, die Frauen, die Schwarzen) sind lediglich Varianten des weißen Mannes. Es ist immer nur genau ein Attribut, das sich ändert – der weiße Mann kann sozusagen auch mal weiblich sein, oder er kann Schwarz sein, oder alt. Aber es gibt keine Schwarzen Frauen, keine alten weißen Frauen, keine alten Schwarzen Männer, von alten Schwarzen Frauen ganz zu schweigen.

Die Gleichheitsidee ist mit der unausgesprochenen Vorstellung behaftet, dass die „anderen“ den „Normalen“ in Wirklichkeit gleichen. Frauen sind doch gar nicht anders als Männer, wird beteuert, Schwarze sind doch irgendwie „genauso wie wir“, nicht wahr?

Dieses Phantasma, dass die anderen gar nicht anders sind, sondern in Wirklichkeit gleich, lässt sich natürlich nur so lange aufrechterhalten, wie es sich tatsächlich nur um Einzelfälle handelt, durch deren Anwesenheit die symbolische Ordnung des „Normalen“ zwar mit etwas Vielfalt und „Farbe“ bereichert, aber nicht aus den Angeln gehoben wird.

Und deshalb darf es von den anderen immer nur wenige geben. Gäbe es nämlich viele, dann bestünde die Gefahr, dass sie die Angelegenheit umkrempeln, dass das Normale nicht länger normal ist. Es würde offensichtlich, dass es nicht um Assimilation und Integration geht, sondern um Pluralität, um Differenz.

Genau das ist der Grund, warum das Gleichstellungsparadigma als feministische Strategie meiner Ansicht nach nichts taugt. Was jetzt ansteht ist, dass wir offensiv die Differenz, also unser „Anderssein“ stark machen. Worin genau dieses „Anderssein“ besteht, muss dabei gar nicht inhaltlich bestimmt werden, es wird sich von selber zeigen. Wichtig ist aber, dass wir uns und ihnen klar machen: Wir „anderen“ sind keine Varianten von euch „Normalen“. Wir sind wir selber, und wir machen uns unsere eigenen Maßstäbe.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

6 Gedanken zu “Wir sind keine Varianten

  1. Mir geht es in manchen Zusammenhängen eher umgekehrt: Wenn ich mich in einem Gespräch anstrengen muss, gehört zu werden, so liegt das daran, dass es den Männern in der Runde schwer fällt, zu akzeptieren, dass eine Frau von einem Thema mehr Ahnung haben könnte als sie. Ich muss noch lernen, mich nicht einschüchtern zu lassen: Ich bin so sozialisiert, dass ich erst einmal andere Ansichten ernst nehme und überlege, ob etwas dran sein könnte, und dann lasse ich mich von jemandem verunsichern, der behauptet, der Jupiter bestehe aus Kohlenstoff, wenn ich genau weiß, dass er aus Wasserstoff besteht, anstatt geradeheraus zu sagen: was ist das denn für ein Schwachsinn! Oder ich lasse mich von jemandem verunsichern, der sagt: „ganz wichtiges Buch, ganz wichtiger Film, musst du unbedingt gesehen/gelesen haben, wenn du mitreden willst!“ anstatt dass ich sagen würde: „Hör mal, was du da anpreist, ist ein Roman / Spielfilm, wenn du mitreden willst, solltest du anfangen, wissenschaftliche Literatur zu lesen, so wie ich.“ Kurz gesagt, ich glaube, dass die alte konventionelle Form der Frauenfeindlichkeit, dass Männer es eben nicht ertragen können, wenn Frauen mehr Ahnung haben, insbesondere in einer männlich konnotierten Domäne, noch längst nicht ausgestorben ist.

    Als ich jünger war, also vor zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren, habe ich Bücher wie „die friedfertige Frau“ von Margarete Mischerlich-Nielsen oder „in a Different Voice“ von Carol Gilligan gelesen. Beide gaben auch inhaltlich an, was das „andere“ von Frauen sein könnte, dem männliche Maßstäbe nicht gerecht werden können. Du verweigerst dich jeder inhaltlichen Bestimmung dessen, was an Frauen anders sein könnte, und das finde ich erst einmal sympathisch. Es hindert dich auch, in die Biologismusfalle zu fallen oder die typisch weibliche Sozialisation, die doch in erster Linie eine Sozialisation in eine Leben als Mitglied des „anderen Geschlechts“ ist, in irgendeiner Weise schön zu reden.

    Andererseits frage ich mich, ob diese Weigerung, irgendwelche inhaltlichen Kriterien aufzustellen, funktionieren kann. Menschen beurteilen sich nämlich ständig nach irgendwelchen Maßstäben, und das schließt ein, dass Frauen andere Frauen beurteilen (ich auch). Deine Vorstellung von einer Welt, in der es keine Maßstäbe der Normalität mehr gibt und in der alle Menschen erst einmal alles Mögliche ausprobieren können, bevor sie ihre persönliche Form der Freiheit finden, erscheint mir unrealistisch, und ich weiß noch nicht einmal, ob ich eine solche Welt für wünschenswert halten würde. Aber das größere Problem scheint mir, dass sie unrealistisch ist und dass die Behauptung von Freiheit erst einmal bedeutet, dass Maßstäbe nicht genannt werden und dadurch auch nicht kritisiert werden können.

    Aber auch die Vorstellung, dass nach einer gewissen Zeit, während derer Frauen ihre neugewonnene Freiheit auskundschaften und alles mögliche unabhängig von männlichen Maßstäben ausprobieren könnten, sich herausstellt, dass es typisch weibliche Maßstäbe gäbe, die von der männlichen Norm abweichen, finde ich eher abschreckend. Diese Maßstäbe wären doch nur dadurch gerechtfertigt, dass Frauen sie für andere Frauen aufstellen, sie sind also nur durch die Personen, nicht durch ihre Inhalte gerechtfertigt – so wie die angeblich weißen männlichen Normen dadurch delegitimiert sind, dass es die Normen weißer Männer sind.

    Als junge Frau fand ich das alles faszinierend und bin dabei ganz übel in die Esoterik-Falle hineingeraten. (Rationalität ist ja angeblich ein männlicher Wert…) Aufgewacht bin ich, als eine lesbische Bekannte, deren Partnerin auch in dieser Esoterikwelt drin steckte, mir von einem Matriarchatstreffen erzählte, auf dem Sätze fielen wie „Frauen müssen das Tötungs-Tabu in Frage stellen.“ Der Kommentar meiner Bekannten war nur: „äh – hallo?“, aber er reichte, mich aufwachen zu lassen. Es gibt noch schlimmere Fallen als die Esoterikfalle.

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  2. @Susanna14 – dein Beispiel ist gut, denn ich kann daran gut erklären, was ich meine. Wie in jeder Situation ist es gifteten und Gleichheit gleichzeitig, kann also unter beiden Perspektiven interpretiert werden. Unter der Gleichheitsperspektive wäre das: Frauen haben genauso Ahnung von Naturwissenschaft, also hört ihnen zu. In der Differenz Perspektive wäre das: Ich bedenke auch dann Argumente von anderen, wenn ich mich in einem Thema gut auskenne, und finde das auch prinzipiell richtig, merke aber, dass ich damit in eine schlechte Position komme, weil Männer (diese hier) das fälschlicherweise als Unsicherheit interpretieren.

    Je nachdem, wie du das Erlebnis deutest, ergeben sich daraus andere Handlungsansätze. Das meinte ich.

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  3. @Susanna14 – zu den Esofallen: ja, die gibt es, und ich halte diese Sehnsucht nach einer „weiblichen Identität“ auch für gefährlich. Deshalb mache ich in diesen Kontexten immer die Differenz unter Frauen stark. Ich glaube aber, dass es sich dabei auch um eine Reaktion darauf handelt, dass der Mainstream des Geschlechterdiskurses so assimilatorisch ist. Zwei Seiten derselben Medaille.

    Im übrigen ist „mein“ Konzept der weiblichen Freiheit nichts was erst in der Zukunft ist. Also kein Zustand, sondern eher eine Maxime, ein Maßstab für das Handeln jetzt.

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  4. Großartiger Artikel: Klare Analyse, klare Argumentation und neue Perspektive für den/die Leser_in. Nur schade, so was nicht in Zeitungen des Mainstreams steht.

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  5. Meiner Ansicht nach ist die tiefere Ursache die, dass Frauen – und auch andere „andere“ – eben nicht als Andere gedacht werden, sondern als Gleiche.

    Neulich ging es darum, dass es sexuelle Gewalt fördert, wenn Männer die Frauen nicht als eine von ihnen ansehen. Wie passt das jetzt zusammen? Du willst ja vermutlich nicht darauf hinaus, dass sexuelle Gewalt der Preis ist, den wir zahlen müssen, um die Differenz leben zu dürfen.

    Die Gleichheitsidee ist mit der unausgesprochenen Vorstellung behaftet, dass die „anderen“ den „Normalen“ in Wirklichkeit gleichen. Frauen sind doch gar nicht anders als Männer, wird beteuert, Schwarze sind doch irgendwie „genauso wie wir“, nicht wahr?

    Es ist doch eine feministische Binse, dass die Unterschiede innerhalb der Frauen größer sind als zwischen den Geschlechtern. Wieso soll ich mich jetzt pauschal in die Anders-Ecke stellen?

    Frauen werden vielleicht in irgendwelchen Programmen zur Frauenförderung pragmatisch als gleich definiert, aber im Alltag sind wir immer noch die Anderen, die von Männern leicht vergessen werden. Zum Beispiel wenn sie sich zu einem coolen Jungsding zusammentun und ein Podium, ein Startup, eine Arbeitsgruppe oder sonstwas ohne Frauen zusammenstellen. Wenn man dann fragt, wie das kommt, dann heißt es mal wieder, das ist uns gar nicht aufgefallen und hat sich so ergeben und ist nicht böse gemeint. Die angebliche Gleichheitsideologie ist doch ein Stubentiger, mit sowas haue ich mich nicht.

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  6. @Irene – Ja, aber das ist doch das Problem, dass Männer meinen, allen, die sie nicht als Gleiche ansehen, Gewalt zufügen zu dürfen. Wenn man sie nun dazu bringt, Frauen als Gleiche anzusehen, ändert das ja an dem Grundfehler nix, weil es immer irgendwelche „Anderen“ geben wird.

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