Elinor Ostrom: Es gibt keine Allheilmittel

Elinor Ostrom bei ihrem Vortrag in Frankfurt. Foto: Antje Schrupp

Bei einer Gastvorlesung am vergangenen Mittwoch (23. Juni) an der Frankfurt School for Finance and Management stellte Elinor Ostrom ihre Forschungsergebnisse vor. In mehrjährigen Feldstudien in Afrika, Asien und Lateinamerika hat die 76 Jahre alte Professorin der Indiana University zusammen mit Kollegen und Kolleginnen untersucht, wie, wo und warum sich Menschen für den Schutz und den Erhalt natürlicher Ressourcen einsetzen – und wo nicht. Die Ergebnisse der aufwändigen Untersuchungen sind letzten Endes eigentlich banal, umso erschreckender aber ist, dass sie quer stehen zu gängigen ökonomischen Theorien und auch zu dem, was der internationalen Politik in Sachen Klimaschutz einfällt.

Ihre Thesen, kurz zusammengefasst:

1. Es gibt keine Allheilmittel. Was in dem einen Fall funktionieren kann, funktioniert woanders vielleicht nicht. Es gibt im Hinblick auf Klimaschutz kein spezielles „set of rules“, das man „anwenden“ kann.

2. Es ist eine falsche Alternative, die Frage zu stellen, ob nun staatliche oder privatwirtschaftliche Organisation die richtige ist. Beides kann funktionieren, beides kann versagen, außerdem gibt es daneben eben auch noch andere mögliche Organisationsformen wie etwa die der Gemeingüter, also gemeinschaftliches Besitzrecht.

3. Was auf dem Papier steht – etwa Verträge zum Naturschutz – steht eben nur auf dem Papier. Er wird viel zu viel (politische) Aufmerksamkeit darauf gerichtet, was in Verträgen und Regelungen ausgehandelt wird und viel zu wenig Aufmerksamkeit darauf, was davon dann im konkreten Fall auch umgesetzt wird und was nicht. „Rules on paper“ und „Rules in use“ sind zwei grundverschiedene Sachen.

4. Wenn man versucht, am grünen Tisch (etwa zwischen Staaten oder auch zwischen NGOs und Regierungen) ausgehandelte Regeln zum Naturschutz auf ein konkretes Gebiet anzuwenden, funktioniert das in der Regel nicht. Regeln werden nur eingehalten, wenn alle relevanten Akteure und Akteurinnen (die Politiker, die Menschen, die in dem Gebiet wohnen usw.) sie selbst erarbeitet haben.

5. Es ist wichtiger zu beobachten, ob eine Regel funktioniert, als zu untersuchen, warum sie funktioniert. Regeln können funktionieren, auch wenn man sozialwissenschaftlich nicht versteht oder erklären kann, warum. Sie können aber nicht von einem Ort an einen anderen einfach übertragen werden.

6. Wir brauchen eine Vielfalt der Institutionen genauso wie biologische und kulturelle Vielfalt. Institutionelle Monokulturen sind nicht robust.

7. Akteure von außen (Regierungen, NGOs) tun gut daran, das Wissen der ansässigen Bevölkerung um die komplexen Strukturen an dem jeweiligen Ort einzubeziehen. Komplexität ist zu akzeptieren und nicht zurückzuweisen.

8. Es ist zwar durchaus möglich, Abkommen zum Naturschutz von außen durchzusetzen (etwa den Schutz der Grenzen von Naturschutzgebieten), aber nur, wenn man dem Wachpersonal sehr viel Geld bezahlt. Nachhaltiger ist es, die örtliche Bevölkerung selbst dafür zu gewinnen, solche Abkommen zu respektieren und ihre Einhaltung selbst zu überwachen. Erfahrungsgemäß funktioniert das besser, wenn man ihnen eine teilweise Nutzung der zu schützenden Ressourcen ermöglicht.

9. Bei der Ausarbeitung von Regeln zum Naturschutz ist es wichtiger, darauf zu achten, dass sie robust sind, als wie effektiv sie sind. Wenn man sich an größtmöglicher Effektivität orientiert, sind die Maßnahmen meist nicht von langer Dauer. Wenn man die Regeln auf bestimmte Problemsituationen zuschneidet, werden sie anfälliger für andere Problemsituationen. Hier sieht Ostrom Forschungsbedarf in zeitlicher Hinsicht: Wie werden Klimaschutzmaßnahmen in der Region von Generation zu Generation weitergegeben?

Eigentlich sind diese Ergebnisse nicht wirklich überraschend, sondern bestätigen sich im normalen Lebensalltag. Umso erstaunlicher, dass über Ostroms Vortrag – so etwa im Börsenblatt – unter Titeln wie „Nobelpreisträgerin fordert Ökonomie heraus“ berichtet wird. Vor allem aber fordert sie eigentlich die Politik heraus, denn die sieht ja noch mehr als die Privatwirtschaft ihre eigene Aufgabe darin, möglichst hieb- und stichfeste internationale Regeln und Abkommen zu formulieren, meist mit heftigen Debatten um die minimalsten Details.

Dass Ostrom im Oktober 2009 zusammen mit Oliver Williamson den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften gewonnen hat, bringt sie – und ihre Forschungen – nun mehr ins Rampenlicht. Sie werde zunehmend als Beraterin angefragt, in letzter Zeit auch im Hinblick auf Gesundheitsversorgung, die ja ebenfalls idealerweise als Gemeingut organisiert wird.

Allerdings werde sie auch häufig noch gefragt, welche „Antwort“ sie denn für dieses oder jenes Problem hätte. Ihre Antwort ist: Dass es eben keine allgemeine Antwort geben kann. Sondern dass man sich vor Ort, in die konkrete Situation begeben muss, um zusammen mit den dort ansässigen und beteiligten Menschen Antworten zu finden. „Dabei sollte man mehr Fragen stellen als Vorgaben machen“, rät sie den internationalen Organisationen.


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Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

2 Gedanken zu “Elinor Ostrom: Es gibt keine Allheilmittel

  1. Wissenschaft und Politik sind – allein – sicherlich keine Allheilmittel.
    Auch die Kunst mag für viele vordergründig keine Antwort auf die Frage nach dem Allheilmittel bieten. Doch einen Versuch ist es jedenfalls wert:

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