Optimismus und Visionen statt „Klasseninteresse“

Im Juni habe ich in Paris an einem Kolloquium zum 150. Jahrestag der Gründung der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) 1864 teilgenommen – zusammen mit etwa 25 Forschern und einer anderen Forscherin aus verschiedenen Ländern, die alle kurze Vorträge hielten, plus noch einmal zehn oder zwanzig Personen „Publikum“. Es war also ein eher intimer Kreis… Thema war die Frage, ob man aus der Internationale etwas für aktuelle politische Bewegungen lernen kann und in welchem Austausch sie mit anderen sozialen Bewegungen stand.

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Interessant fand ich vor allem den Beitrag von Marcel Van der Linden vom Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam. Er widersprach zum Beispiel dem Mythos, dass die IAA die erste internationale Zusammenarbeit von Arbeitergruppen gewesen sei und verwies etwa auf die schon viel ältere Solidarität zwischen Seeleuten und in die Sklaverei verschleppten Afrikanerinnen und Afrikanern bei Meutereien.

Die Internationale habe hingegen die Gruppe der legitimen sozialrevolutionären Akteure stark eingrenzt, und zwar auf diejenigen Personen, die Marx und Engels (im Auftrag des Bundes der Kommunisten) bereits im Kommunistischen Manifest definiert hatten: „Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse.“ Dieses Proletariat sollte sich laut Manifest sorgfältig sowohl nach „oben“ abgrenzen („Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer sind nicht revolutionär, sondern konservativ. Noch mehr, sie sind reaktionär“) als auch nach unten („Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft…“).

Die Internationale war also keine Organisation, in der sich „die Arbeiter“ zusammenschlossen im Sinne von Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen mussten, um überleben zu können. Sondern hier organisierte sich eine bestimmte Gruppe, nämlich männliche, weiße, vor allem qualifizierte Arbeiter. Obwohl zum Beispiel Frauen damals rund ein Drittel der Fabrikbelegschaften stellten, waren sie an der Gründung der IAA nicht beteiligt, wurden teilweise sogar explizit ausgeschlossen. In den USA definierte sich die Internationale (teilweise) durch den Ausschluss von Schwarzen, und so weiter.

Dieser Hintergrund ist interessant zu wissen, weil es die Kern-Botschaft der IAA betrifft, nämlich dass alle Arbeiter gemeinsame Interessen hätten, die andere Unterschiede (zum Beispiel Nationalität) in den Hintergrund treten lasse. Die „Vereinigung“ aller Arbeiter gegen „das Kapital“ war Ziel, Versprechen, Strategie der IAA – und damit setzte sie tatsächlich eine Denktradition in Gang, an der sozialrevolutionäre Bewegungen bis heute oft gemessen werden.

Doch dieses Konstrukt einer einigen Arbeiterschaft mit gemeinsamen Interessen ist leider bloß eine Illusion. Ein Vortrag beim Kolloquium in Paris beschäftigte sich zum Beispiel mit der transnationalen Solidarität von Zigarrenarbeitern: Während eines Streiks in England, wo die Zigarrenarbeiter starke Gewerkschaften und relativ hohe Löhne hatten, warben die Unternehmer belgische und niederländische Zigarrenarbeiter an, die dort viel schlechtere Arbeitsbedingungen hatten. Die Internationale intervenierte, um diesen „Import“ von Streikbrechern zu verhindern. Denn das Versprechen, die Zufuhr von „Fremdarbeitern“ verhindern zu können, war das, was die Internationale vor allem bei Arbeitern in relativ guten Arbeitsverhältnissen attraktiv machte. So reisten also während dieses Zigarrenarbeiterstreiks Abgeordnete der Internationale nach Belgien und in die Niederlanden um die Arbeiter dort davon abzuhalten, die englischen Jobangebote anzunehmen.

Das klingt natürlich gut, aber warum eigentlich sollte ein belgischer Zigarrenarbeiter ein gutes Jobangebot in England ablehnen, obwohl das doch ein Ausweg aus existenzieller Not für ihn, seine Frau, seine Kinder wäre? Offensichtlich gibt es hier einen Interessenskonflikt zwischen den englischen und den belgischen Arbeitern.

Das Argument der Internationale nun war: Ihr belgischen Arbeiter müsst selbst in eurem Land für eure eigenen Lohnerhöhungen kämpfen, und vielleicht bekommt ihr davon etwas Geld aus unserer Streikkasse (wobei die finanziellen Möglichkeiten der Internationale sehr überschätzt wurden). Aber wie überzeugend ist diese Vertröstung auf die Zukunft für jemanden, der für einen Hungerlohn arbeitet oder arbeitslos ist? Ich fragte hinterher den Referenten, ob die Internationale denn mit dieser Argumentation Erfolg gehabt hätte, und er antwortete: Nicht so wirklich. Teilweise seien Arbeiter, die die englischen Jobangebote annehmen wollten, regelrecht bedroht worden, oder man habe gedroht, den zurückbleibenden Frauen und Kindern solcher „Verräter“ würde es schlecht ergehen. Nun ja, not my revolution.

Mich interessiert das natürlich vor allem deshalb, weil es einen ganz ähnlich gelagerten Konflikt zwischen Frauen und männlichen Arbeitern gab: Streiks waren eine Gelegenheit für Frauen, nicht nur Arbeit zu finden, sondern sich auch in Berufen zu qualifizieren, aus denen die Männer sie eigentlich heraushalten wollten, in Druckereien zum Beispiel oder als Vorarbeiterinnen. Das Pochen auf ein angeblich objektives Klasseninteresse erlegte den ohnehin Benachteiligten auf, für die „gute Sache“, den in ferner Zukunft zu erwartenden Kommunismus zum Beispiel, in der Gegenwart zurückzustecken. Aber von dem Versprechen, dass die Zukunft für alle gemeinsam rosig sein werde, kann man sich heute nun mal leider kein Brot kaufen.

Die Behauptung, alle Arbeiter hätten dieselben Interessen und sie dürften sich nicht spalten lassen, ist letztlich ist eben nur ein moralischer Appell, der überhaupt nur halbwegs plausibel erscheinen konnte, weil das „richtige“ Proletariat eben auf die eng definierte Gruppe des weißen, männlichen, qualifizierten Arbeiters beschränkt worden war. Dies wurde dann letztlich zur Grundlage dessen, was man „Arbeiterbewegung“ nannte: Arbeiterparteien und Gewerkschaften, die mit Staat und Unternehmern über höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und so weiter verhandeln.

Während die Internationale durch ihre Organisationsform die von ihr so verachteten „subproletarischen“ Kräfte des „Lumpenproletariats“ effektiv ausschließen konnte, gelang das hingegen für die „kleinbürgerlichen“ Kräfte nicht. Mehrere Referate des Kolloquiums schilderten den faktisch großen Einfluss von „radikalen“ oder „republikanischen“ Aktivisten (und Aktivistinnen) auf die Sektionen. Es war dies ein Milieu von Menschen, die die Welt verändern und sozialere Verhältnisse herbeiführen wollten. Diese Leute engagierten sich keineswegs nur in der Internationale, sondern auch (vorher, nachher, gleichzeitig) in ganz unterschiedlichen Vereinigungen und Zirkeln, betrieben jede Menge unterschiedlicher Themen von der Einführung einer universalen Sprache bis zum Spiritismus, von freier Liebe bis alternativer Geldpolitik. Und sie trugen diese Ideen auch in die Internationale hinein – Victoria Woodhull ist dafür ein gutes Beispiel.

Was diese Aktivistinnen und Aktivisten antrieb war nicht ihr „Klasseninteresse“, sondern so etwas wie „Spirit“, eine Geisteshaltung, eine Vision. Allerdings verwendeten die Protagonisten der Internationale (und an dem Punkt zogen Marx und Bakunin, die angeblichen Kontrahenten, völlig an einem Strang) viel Kraft darauf, diese Kräfte und Personen auszuschließen und sich von ihnen abzugrenzen, oder zumindest deren Einfluss kleinzuhalten. Das führte dazu, dass die Internationale sich kaum mit anderen zeitgenössischen Protest- und Reformbewegungen verbündete.

Mehrfach wurde während der Konferenz angemerkt, dass die heutigen Verhältnisse der Zeit der Internationale eigentlich näher sind als die vor fünfzig Jahren (als es zum 100. Jubiläum schon einmal eine große Konferenz gab). Während 1964 noch die beiden Blöcke Ost und West einander gegenüberstanden und im Westen Gewerkschaften und Arbeiterparteien großen Einfluss hatten, sind heute die Arbeitsverhältnisse wieder viel fließender und ungewisser. Kommunistische Parteien gibt es praktisch nicht mehr, die sozialdemokratischen verlieren kontinuierlich an Stimmen, die Gewerkschaften an Mitgliedern. Von den weltweit knapp drei Milliarden Menschen, die sich auf dem Arbeitsmarkt bewegen, sind nur sieben Prozent (200 Millionen) gewerkschaftlich organisiert, und von denen wiederum zahlen nur zwei Drittel Mitgliedsbeiträge, wie Marcel van der Linden in seinem Vortrag deutlich machte.

Für die emanzipatorischen gesellschaftlichen Errungenschaften in Europa und USA, so ein Referent, seien aber ohnehin Liberalismus und Radikalismus wichtiger gewesen als der Sozialismus, beziehungsweise Gewerkschaften oder Arbeiterparteien. Es gibt also vielleicht trotz des Niedergangs der klassischen Arbeiterbewegung noch Hoffnung.

Dabei wäre aus der Internationale zu lernen, dass man bestimmte Fehler nicht wiederholen sollte. Eine soziale Bewegung, die die widerstreitenden Interessenslagen der Ausgebeuteten ignoriert (durch die Proklamation eines fernen gemeinsamen Zieles), ist meiner Ansicht nach nicht in der Lage, langfristige gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, sondern sie dient letztlich nur dazu, einer bestimmten Gruppe der Ausgebeuteten gewisse Privilegien innerhalb des Systems zu verschaffen.

Wer eine internationale revolutionäre Bewegung will (und eine solche bräuchten wir eigentlich dringend wieder, da sich das Problem des Nationalismus und Populismus auch im Milieu benachteiligter und armer Menschen immer stärker stellt) müsste sich eingestehen, dass es unter den „Ausgebeuteten“ unterschiedliche Auffassungen und Interessenslagen gibt, die nicht nur verschiedene Facetten von etwas sind, das als „internationale Solidarität“ eingeklagt werden kann, sondern die tatsächlich unvereinbar sind. Jedenfalls im Hier und Jetzt, das unser Handeln verlangt.

Die Frage ist also: Wie ist internationale Solidarität unter Gruppen und Menschen mit unterschiedlichen Interessen möglich? Wie ließe sich das befördern oder organisieren?

Der erste Schritt müsste dabei meiner Ansicht nach sein, klarzumachen, dass es bei Politik NICHT in erster Linie darum geht, die eigenen Interessen zu vertreten. Nicht ein (notwendigerweise auf Ausschlüssen beruhendes) proletarisches „Klassenbewusstsein“ ist für internationale Solidarität erforderlich, sondern vielmehr tatsächlich so etwas „kleinbürgerliches“ wie Spirit, Utopie und Vision.

Die komplexen Ansichten und Bedürfnisse des wirklich gesamten „Proletariats“ können halt schlicht und ergreifend nicht in einer allgemeinen Theorie sortiert, kategorisiert und hierarchisiert werden. Sie müssen miteinander leben, so wie auch Feministinnen mit ganz unterschiedlichen und teilweise widerstreitenden Ansichten und Interessen miteinander leben (und es trotzdem so etwas wie „Feminismus“ gibt, als gemeinsamen Referenzpunkt, aber ohne einheitliche Forderungen und Pläne).

Ich vermute übrigens auch, dass die tief eingewurzelte Denkfolie, die Arbeiterbewegung sei eine einheitliche Truppe mit gemeinsamen Interessen und Forderungen (oder müsse das zumindest sein) der Grund dafür ist, warum der Feminismus in der politischen Theorie wie in der öffentlichen Debatte so wenig verstanden wird, teilweise sogar von Feministinnen selbst. Wir haben als Musterbeispiel für eine politische Bewegung immer so was wie die Internationale im Kopf.

Was also stattdessen?

Eine Strategie könnte vielleicht das sein, was ich in meinem Konferenzbeitrag als „Politik verkörpern“ beschrieben habe. Eine Strategie, die ich bei den von mir untersuchten feministischen Sozialistinnen, die sich in der Internationale engagiert haben, identifiziert habe: Nicht theoretische Standpunkte auszuarbeiten, sondern mit den anderen reden, vertrauensvolle Beziehungen aufbauen, Konflikte offen austragen, und aushalten, dass man auch mal nicht einig ist. Also einfach: Hingehen und mit den anderen reden, ohne die Absicht, am Ende ein gemeinsames Papier verfasst zu haben. Erstmal verstehen, was der_die andere überhaupt für ein Problem hat, erstmal fragen statt gleich Antworten parat zu haben.

Ein Referent sagte dazu, soziale Bewegungen bräuchten vor allem „optimism about the human race“. Ja, so ist das wohl.

(Diese These ist dazu da, weitergedacht und diskutiert zu werden)

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

21 Gedanken zu “Optimismus und Visionen statt „Klasseninteresse“

  1. Finde ich gerade alles sehr spannend, da ich in einem Seminar zum Thema „Globalisierung von unten“ bin, wo wir uns mit dem Weltsozialforum auseinandergesetzt haben und wo ich mich demnächst mit Occupy auseinandersetzen soll. An diese Weltsozialforen und auch an Occupy fühlte ich mich erinnert: Auch dort geht es schließlich darum, allen zuzuhören, alle Gruppen erst einmal wahrzunehmen, zu akzeptieren, dass diese Gruppen unterschiedliche Interessen haben. Andererseits gibt es auf diesen Weltsozialforen eben doch Ausschlüsse: nicht alle sind willkommen. Wie wird das entschieden? Manchmal befürchte ich, dass Antiimperialismus und die beiden schlimmeren Varianten, Antizionismus und Antiamerikanismus als kleinster gemeinsamer Nenner übrig bleiben. (Oder vielleicht auch die Gegnerschaft gegen den weißen, heterosexuellen Mann, der das Sinnbild der Privilegierung darstellt.)

    Das Problem mit den unterschiedlichen Interessen von Arbeitern aus unterschiedlichen Ländern ist mittlerweile ja im Mainstream angelangt. Einerseits wollen Arbeiter das, was sie erreicht haben, nicht an „Billigkonkurrenz“ aus anderen Ländern verlieren, was man ja verstehen kann, andererseits haben auch die Arbeiter aus anderen Ländern ein Interesse daran, Geld zu verdienen und ihre Familien zu ernähren. Auf diese Weise wird Stimmung gegen Einwanderung gemacht und werden die Arbeiter eines Landes gegen die eines anderen Landes ausgespielt.

    Hatte nicht auch der Marxismus eine Vision, nämlich die, dass mit dem Sieg des Kommunismus die Klassenkämpfe beendet wären, dass der Kommunismus also mehr als eine weitere Version einer von einem Gegensatz beherrschten Gesellschaft sei?

    Was ich spannend finde: dass der Liberalismus mehr erreicht haben soll als der Sozialismus. Ich würde mich noch nicht zu einer Meinung aufschwingen, ob das stimmt, aber seit einer Weile bin ich neugierig geworden auf einen Liberalismus, der mehr ist als der Wirtschaftsliberalismus à la FDP.

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  2. Mal stichwortartig ein paar Punkte, vielleicht für jemanden von Interesse:

    Optimismus in die Menschen als solche ist eine gewisse Vorleistung. Diese ist bei sozialen Bewegungen, die relativ (aber hoffentlich? keine absoluten) allgemeine Ziele haben, vermutlich eine der Voraussetzungen.

    Eine vielleicht ideologisch relativ säkulare strukturelle Utopie (Utopie hier als: Noch-nicht-Ort, der potenziell möglich ist) wäre z.B. eine res publica. Im Sinne einer dauerhaften, jeweils von den Generationen der Lebenden zu erhaltenden, Inklusion aller in die politische Gestaltung von allem, was politisch (und ggf. ökonomisch, wiederum nicht künstlerisch) gestaltet wird (ob notwendig oder nicht ist eine weitere Frage). Die Occupy-Idee, die susanna14 assoziiert hat, war teilweise eine solche.

    Der Avantgarde-Weg bei sozialen Veränderungen ist ambivalent. Einerseits ist es im Nachhinein immer so gewesen, dass zunächst eine bestimmte Gruppe so lebt wie später dann immer mehr, bishin zur gesellschaftlichen „Normalität“. Aber wenn es um bewusste Veränderungen geht, bergen Avantgarden erstens die Gefahr des Paternalismus, der elitären Anmaßung und Ignoranz gegenüber denen, die „in die bessere Zukunft geführt werden sollen“. Zweitens ist die Zukunft dann oft von der Gegenwart so deutlich getrennt, dass in der Gegenwart nur die Führungsrolle der Avantgarde betont wird – und damit Status für deren Mitglieder konstruiert und reproduziert wird. Allein schon der Versuch der praktischen Veränderung verbleibt dann in einer unbestimmten Zukunft.
    Es spricht das meiste dafür, Avantgarden (selbsternannte, von Veränderungssuchenden so wahrgenommene oder sozialstrukturell sich ergeben habende) kein größeres Gewicht zu geben als (grundsätzlich) jedem anderen Menschen in der jeweiligen Zeit. Jedoch können bestimmte privilegierte Gruppen die Aufgabe haben/annehmen, ihre Vorteile zu nutzen, um für andere Gehör zu schaffen, bisher ignorierte/unbekannte Themen in die öffentliche Debatte einzubringen etc. Dabei ohne sich zu verselbständigen als Elite, die ihre Privilegien als individuelles oder gruppenbezogenes Verdienst internalisiert.

    Eine bottom-up-Gestaltung sozialer Verhältnisse ist grundsätzlich erstrebenswert, wenn dabei alle Menschen effektiv gleich berechtigt sind. Das schließt Menschenrechte per Mehrheitsentscheid und andere Dinge aus. Das Feld von und zwischen Konstitution und Demokratie ist ein grundlegendes.
    In der jeweiligen Gegenwart bestehende Gruppen sind bereits über irgendeine Verbindung (sozialstrukurell, kulturell, Interesse o.a.) miteinander temporär verbunden. Sie sind nicht-intentional/strukturell etc. oder aktiv handelnd eine mehr oder weniger enge Gruppe geworden. Wenn man über solche Gruppen hinaus gesellschaftliche Veränderungen anstrebt, ist (beides als Tun-Wörter:) das Inkludieren und das Zusammensetzen (am bildlichen Tisch von Hannah Arendt) von unterschiedlichen Menschen wichtig. Vermutlich oft anstrengend, aber gerade deshalb, weil mensch dabei die eigene theoretische Position zur Debatte stellt und sich auf eine deliberative Gespräche mit Anderem (Menschen- und Weltbildern, Erfahrungen, Rollen, u.a.) einlässt. Das bringt mindestens neue individuelle Erfahrungen. Darüber hinaus ist, optimistisch gesagt, offen – weil es nicht vollkommen unmöglich ist, dass sich Sachen auch durch Kommunikation ändern lassen und nicht nur durch unsteuerbare strukturelle Veränderungen.

    Der Liberalismus (im Sinne Heines als Gegensatz zum vereinfacht so unterschiedenen Servilismus) hat viele Potenziale des Menschen angesprochen. Der Radikalismus bzw. tiefergehende Sozialliberalismus und der Sozialismus sind Utopien die bisher weiterhin unverwirklicht blieben. Im modernisierten Korporatismus von heute fühlen sich allerdings auch viele wohl und ein gewisses Maß an Reformen und zeitlich induzierten Anpassungen erhält die Gesamtstruktur. Der Hyper-Brocken Gesamtstruktur kann jedoch wieder rekonstruiert werden als aus Teilbereichen bestehend. Teilbereiche mit historisch unterschiedlichem dialektischem Konflikt- und damit vielleicht auch teilweise menschlich bewusstem Veränderungspotenzial. Dazu fiel mi gerade Rudi Dutschkes Hoffnung ein, dass wir nicht hoffnungslos der Geschichte ausgeliefert seien. Seine Worte dazu aus der rekonstruktiv und interpretativ für mich vielfach nicht so unterschiedlichen Vergangenheit: https://www.youtube.com/watch?v=AmEWpYZrz-Y .

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  3. Danke Antje Schrupp.
    Mit dem Wissen, daß es dir bei deiner Teilnahme sicher nicht so sehr um die „heutige Erscheinung einer einheitlichen Arbeiterklasse“ oder was auch immer sich Einige zum Thema IAA I. für Vorstellungen gegenseitig (wie schon immer) vergaukeln, ging, sondern eher um die von dir so sehr vetretenen „Spezialinteressen“, die deine Texte nicht nur für uns immer wieder interessant werden lassen, ist es beachtlich, wie du uns diesen recht stimmigen Überblick hier anbietest, könnte nun fast meinen, ich sei auch dabei gewesen.

    Nebenher:
    Man sollte meinen, es ging nicht um die sozialen Bewegungen des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, sondern eher um die des 20. Jahrhunderts, die ewig eingeschweißten gegenseitigen Abneigungen „benachbarter Denker und Aktivisten“ darin,.
    Noch besser:
    Es ging so betrachtet leztlich nur um den gegenwärtigen Zustand der nicht (mehr als Klasse) existenten Arbeiterklasse, der lang tradierten Ausschließeritis und Abgrenzerei zu allem auch nur etwas „Andersartigem“ (Frauen, Farbige, Ausländer, abhängige Handwerker und Kleinunternehmer, Streikbrecher und Arbeitslose als „Lumpen des Proletariats“).
    Warum?
    Nun, weil deine Berichtung von diesem Kongress direkt zugleich auch auf die gegenwärtig (noch immer oder schon wieder) „tradierten“ Potentialschwächungen der eigentlich fast Gleiches vertretenden engagierten Bürger zutrifft.
    So warte ich auf den, der heute (noch immer) meint (wie seinerzeit Karl Marx sicherlich damals zutreffend), daß das „Proletariat die einzig revolutionäre Klasse sei, die etwas verändern könne“ – es käme mir ziemlich wie walt disney-Welt vor, diese Vorstellung mal konkret heute zuende gedacht.
    Warum?
    Wer will heute schon Proletarier sein und (als solcher) die Welt retten? Wieviele kämen da zusammen – eine recht alberne Vorstellung.
    (Tschuldigung, Rudi Dutschke, aber das hast du schon zu deiner Zeit nicht erfasst, im Besonderen auch die erforderlichen Bündnisse nicht)
    Es wäre zu überlegen, warum seinerzeit Marx, der NIE Arbeiterklasse war, derjenige war, der willkürlich die Menschheit in KLassen einteilte, etwa ähnlich hilflos, wie seinerzeit die scheidenden Kolonialmächte in der arabischen Welt und in Afrika Länder abgrenzten, Völker ungefragt separierten, indem sie mit dem Lineal Linien auf der Landkarte als Landesgrenzen zogen….,
    als ob es nicht auch unter den „anderen Klassen“ ausreichend vernunftbegabte und deshalb sozial revolutionär fähige und -willige Protagonisten gab und gibt.

    Und wieso hat diese Theorie zur Gesundung der Menschheit ein Marx, der als Revolutionär aus eigener Festlegung (als nicht revolutionär-fähig) nie infrage kam bzw. nicht vertrauenswürdig zu sein hatte dafür, und nicht etwa, wie er doch meint, ein Vertreter der „einzig revolutionär handlungsfähigen“ Arbeiter(Klasse) entwickelt?
    Also Vorsicht, eine noch heute lehrfähige weil exorbitante Analyse der Funktionszwänge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist noch lange kein Gesellschaftskonzept dagegen und erst recht keine („revolutionäre“) „Handlungsanleitung“ für „Klassen gegen Klassen“, bei aller guten Absicht und bestem Willen nicht.

    Markant finde ich da diese Einschätzung von dir, die einiges (!!) auf den Punkt bringt, die du beschrieben hast als
    „Politik verkörpern“,
    und zwar auf den eigentlichen Punkt, für damals wie für heute, und nicht nur auf den Arbeiter-Assoziations-Punkt …:
    „Eine Strategie, die ich bei den von mir untersuchten feministischen Sozialistinnen, die sich in der Internationale engagiert haben, identifiziert habe: Nicht theoretische Standpunkte auszuarbeiten, sondern mit den anderen reden, vertrauensvolle Beziehungen aufbauen, Konflikte offen austragen, und aushalten, dass man auch mal nicht einig ist. Also einfach: Hingehen und mit den anderen reden, ohne die Absicht, am Ende ein gemeinsames Papier verfasst zu haben („zu müssen“ / Lu.). Erstmal verstehen, was der_die andere überhaupt für ein Problem hat, erstmal fragen statt gleich Antworten parat zu haben.“ –
    Was mich allerdings auch äußerst direkt – wie sollte es auch anders sein – mit der Nase auf eine andereDiskussion bei dir (Thema -Was ist „Frau“, wann ist Frau eine Frau …) stößt, deine hiesige Empfehlung könnte evtl. auch dort nutzbar sein?

    So kommt uns auch dies reichlich als symptomatisch bekannt vor:
    „Das Problem mit den unterschiedlichen Interessen von Arbeitern aus unterschiedlichen Ländern ist mittlerweile ja im Mainstream angelangt. Einerseits wollen Arbeiter das, was sie erreicht haben, nicht an “Billigkonkurrenz” aus anderen Ländern verlieren, was man ja verstehen kann, andererseits haben auch die Arbeiter aus anderen Ländern ein Interesse daran, Geld zu verdienen und ihre Familien zu ernähren.“

    Wie bringt man das nur zusammen?
    Eventuell sollten wir heute (gemäß deiner „zuhör“ – und Gesprächsmethodik) sehr vorsichtig mit den historisch wie fachlich immer wieder unterschiedlich bis gegenteilig verstandenen pauschalisierten und so zum Schlagwort verkommenen Begriffen zu den IDEEN des Marxismus, Sozialismus. Kommunismus, Anarchismus, Liberalismus und Kapitalismus umgehen.
    Sollten wir diese Begriffe nicht blank“ (weilö so nur „roh“) verwenden, sonder nur das, was jeweils darunter verstanden werden soll.
    Gesellschaftspolitik und Gesellschaftsgestaltung, soziale Interessenvertretung, ist weder Pfandhaus noch Apotheke, wo die Substanzen fein säuberlich voneinander getrennt von der Apothekerwaage / Goldwaage in ihr jeweiliges Schublädchen gesteckt und dort zu verweilen haben …
    Das wäre meine „Klasseninteresse“ (wenn es das real gäbe), als meine Vision, die es gilt mit Optimismus und offensiv wie geduldig gemeinsam zu (er)leben – und auch hier:
    Nicht immer gleich wieder betoniert als „(an)statt“, denn der „gemeinsamen Interesse“ geht es wie der Conchita:
    Es ist ihr „Wurst“, ob sie eine „Klasseninteresse sein soll oder nicht, so sie sich beschreiben läßt ohne „Klassenbuch“ …

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  4. Wer eine internationale revolutionäre Bewegung will (und eine solche bräuchten wir eigentlich dringend wieder, da sich das Problem des Nationalismus und Populismus auch im Milieu benachteiligter und armer Menschen immer stärker stellt)

    vs.

    Nicht ein (notwendigerweise auf Ausschlüssen beruhendes) proletarisches „Klassenbewusstsein“ ist für internationale Solidarität erforderlich, sondern vielmehr tatsächlich so etwas „kleinbürgerliches“ wie Spirit, Utopie und Vision.

    Ich wittere Dünkel.

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  5. Dünkel als zunächst-Gefühl gibt es ja überall. Nett wäre es, die Dünkel nicht zu verfestigten Konstruktionen aufzustellen, sondern zu erhellen. Eine dialektische oder gegenseitige Aufklärung gegenüber ‚dem Anderen‘ zu versuchen – zunächst basierend auf allgemeiner Achtung des Menschen. Und in manchen Fällen vielleicht persönlich Respekt aufbauend vor der konkreten Andersartigkeit. Politisch und strukturell ist der Pluralismus und eine offene Gesellschaft eine schwierige Sache. Dies ist, so meine derzeitige Vermutung, nur dialektisch-prozesshaft (ein Ideal als Orienterung) zu erreichen, aber ein Status (eine relative Stabilität innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts), hat immer eine gewisse Verteilung von Rollen – Hierarchien, Moden etc.
    Das hieße: Praktiziert gegenseitige Aufklärung (über Individuelles und Strukturelles). Rechnet nicht mit dem Erreichen eines Zustandes, der von selbst aufgeklärt ist und bleibt.

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  6. Was ist Populismus? Antje hat es in Verbindung mit Nationalismus genannt. Aber stimmt das?

    Es gibt doch auch links allerhand Sprüche ohne Substanz: „Niemand verlässt ohne Not seine Heimat“ zum Beispiel. Das suggeriert, dass alle Menschen, die südlich von Rom leben, irgendwie archaisch an die Scholle gebunden sind, nichts von der Welt sehen wollen und unfähig sind, rationale Entscheidungen zur Verbesserung ihrer Situation zu treffen.

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  7. @Antje – “Die Frage ist also: Wie ist internationale Solidarität unter Gruppen und Menschen mit unterschiedlichen Interessen möglich? Wie ließe sich das befördern oder organisieren?”

    Indem, wie du sagst: „Hingehen und mit den anderen reden, ohne die Absicht, am Ende ein gemeinsames Papier verfasst zu haben. Erstmal verstehen, was der_die andere überhaupt für ein Problem hat, erstmal fragen statt gleich Antworten parat zu haben.“
    Klingt einfach und einleuchtend. Dass dieses Aufeinanderzugehen und Miteinandersprechen nicht zuhauf
    praktiziert wird mag an dem liegen, was du hier weiter schreibst:

    „Der erste Schritt müsste dabei meiner Ansicht nach sein klarzumachen, dass es bei Politik NICHT in erster Linie darum geht, die eigenen Interessen zu vertreten.”

    „…nicht die eigenen Interessen zu vertreten“, sondern?

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  8. @Ute Plass – Sondern Wege zu einem guten Leben für alle 🙂 _ Das ist ja das mit der Vision und der Utopie. Politik ist gemeinsames Suchen nach dem guten Leben, es gibt keine „unsichtbare Hand“ (weder auf dem Markt noch in der Politik), die für ein gutes Ende sorgt, wenn alle für ihre eigenen Interessen eintreten.

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  9. @Irene (@irene_muc) schreibt: 8. Juli 2014 um 12:15
    Wie du „Dünkel witterst“ könnte doch auch selber bereits ein (nicht so seltener) Dünkel sein, um Abgrenzungen sicherzustellen, oder? Ein ebenfalls unbewußter?

    Populismus
    tritt in allen Parteien, Religionen, Verbänden, Kirchen, Vereinigungen usw. auf, wenn unsauber und oberflächlich nach dem Prinzip der dekorativen Bauernfängerei versucht wird, gewissermaßen im Schnellgang halbinformierte oder noch desinteressierte Menschen für angeblich große wichtige Ideen zu gewinnen.
    Wer meint, da sei eine menschliche Gemeinschaft gefeit davor, sollte diese hier benennen.
    Populismus ist kein Merkmal von politisch „rechts“ sondern nur von politisch (propagandistisch) unfähig, oft zugleich auch unehrlich, da sehr oft wider besseren Wissens praktiziert.
    Daß sich Derartiges gern etwas öfter bei rechtsradikalen Leuten äußert, liegt wohl eher nicht am Populismus.
    Daß Populismus allerding schneller einfache Gemüter verführen kann, da er sich dort mangels Wissen und Erfahrungen damit leichter verhakelt, liegt meist auch nicht an dem Populismus….
    War jetzt von einem Dünkel die Rede?
    Eher nicht.
    Allerdings gibt es da einen Dünkel, der sich eingeschlichen hat in die PC:
    „Alles was mit Natio- beginnt, ist „i „, ist pfui, außer bei Weltmeisterschaften, Raumfahrtunternehmen, Rohstoffinteressen, Sprachen, Kulturen, Flaggen, Staatsbürgerschaften, Währungen, Territorien usw. usw. –
    Was da wohl übrig bleibt?
    Dieses „i“ auf den Begriff „Nation“ ist ein Irrläufer der PC, der gern von POPULISTEN benutzt wird, die darauf bauen können, daß ihr (!) Publikum auf diesem Gebiet nicht sattelfest und daher (entweder linksradikal oder rechtsradikal) manipulierbar sind.
    Solange es jedoch in allen o.g. Gebieten die amtlichen und Sinn gebenden Begriffre der Nation als unverzichtbar gibt, ist auch „national“ eine saubere politische Bezeichnung, ob das jemandem paßt oder nicht.
    Erst die populistisch und extremistische Verballhornung und Übertreibung weil Bevorzugung des „Nationalen“, das „Nationalistische“, ist das gesellschaftsgefährdende Extrem, das wir nicht haben wollen, jedoch die Populisten aller Richtungen operieren mit dem wahllosen Gleichsetzen und Durcheinanderschmeißen von „national“ und „nationalistisch“ und konstruieren damit nutzlose Kampffelder.
    Die größte verzweifeltste populistische Fehlleistung dieses Jahrhunderts war damit die MIllionen Menschen in Kriege stürzende wissentlich falsche und nur populistische Behauptung, der Irak mit Sadam Hussein hätte atomare und chemische Massenvernichtungswaffen und hätte mit alQueida (!) die Twintowers zum Einsturz gebracht, was „im NATIONALEN INTERESSE“ (richtiger: im nationalistischem) „nicht hinnehmbar sei“ – die größte öffentliche weltweite Volksverdummung und politische Schande, die ein Außenminister sich im Auftrag von G.W.Bush antun mußte, nicht um ein Attentat zu sühnen, sondern um völlig andere Interessen im nationalistischen Führungs- und Eroberungsdrang zu verfolgen, und dann noch alleseitere in der gleichen unerträglich miesen Qualität so verwerkelt, daß die nicht mehr behebbaren Schäden im Land Irak bis heute gtefährliche Folgen entstehen lassen.
    So eng können sich Populistik und Nationalismus verbünden, ohne daß das eine das andere bedingte oder voraussetzte.

    Und ja, Irene, nicht nur zu diesem Beispiel gibt es „allerhand Sprüche ohne Substanz“, ich würde besser sagen: Mit gefährlicher Substanz, zum Beispiel soetwas: Die Arbeiterklasse muß die Führung der Revolution übernehmen“, obwohl wir doch gerade erst dankbar sind, daß wir solche (so gemeinte) „Arbeiterregierungen“ wie z.B. die des Dachdeckers Erich Honnecker, nach 40 Jahren des „Deckens von Dächern“ als Staatskunst, wieder friedlich los geworden sind.
    Es gab also schon immer wichtige geschichtsträchtige Erkenntnisse und Aussagen, und manche davon landeten nicht einmal als populistischer Bettvorleger oder stifteten Unordnung.
    Sollten allerdings Interessen von Mensch gelungen weil wahrhaftig dargestellt werden, werden sich neben der Arbeiterklasse auch andere sogenannte „Klassen“ angesprochen fühlen, das einzige Tor zur Veränderung.

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  10. Ja und wer weiß, was gut für alle ist? Das Bildungsbürgertum, das die ganze Welt retten will, aber nie aus seinem Milieu rauskommt? Das für mehr Zuwanderung und Multikulti ist, aber selbst unter Deutschen und Assimilierten im besseren Altbauviertel lebt?

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  11. Ja – das ist auch mein Interesse (im Unterschied zu Einzelinteressen für einzelne Gruppen):
    Die Vision u. Utopie eines gutes Lebens für alle. 🙂
    Bisher habe ich noch niemand getroffen, der sich dagegen ausgesprochen hat, jedoch rasch die alte Leier hervorkramt, dass das zwar eine schöne, edle Vision sei, doch leider unerreichbar, weil ja der Mensch von Natur aus egoistisch und auf seinen eigenen Vorteil bedacht sei. Das ist für mich nicht die schlechteste Ausgangsbasis für ein oft gutes Gespräch, in dem ich mit Geduld und Spucke (davon braucht es meistens recht viel) die eigenen Ängste und Vor-urteile von Mensch zu Mensch mit betrachte und verstehen lerne.:-)

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  12. @Ute Plass schreibt: 8. Juli 2014 um 17:25
    Wieder mal Bienchen für Ute Plass:
    Warum sollte jemand „Interessen vertreten“, wenn nicht „seine“?
    Ohne an dem dazu von Antje Schrupp Erwähntem etwas ändern zu wollen, bedarf dieser letzte Aspekt dennoch der berechtigten Nachfrage.
    Es dürfte die große Kunst von Politik sein, vielen auch unterschiedlichen Menschen gleichzeitig deren Gemeinsames in einer Interessenlage zu verdeutlichen.
    Dieses „Gemeinsame“ ist natürlich nicht (nur) „eigene Interesse“, sondern etwas mehr, auch das von Anderen. – ohne das eigene dabei aufzugeben.
    Es ist das Wichtigste für Aktivierungen überhaupt: Das ureigenste Interesse des Anzusprechenden muß erkennbar, enthalten und wiedererkennbar sein, ansonsten findet Aktivierung nicht oder zögerlich statt.
    Doch nirgendwo steht geschrieben, daß es NUR das eigene Interesse sein muß, was Menschen aktiviert, anders gesagt:
    Die Tatsache, daß Mensch von NATUR aus (!!) bereits biologisch nicht egoistisch sondern mutualistisch, als ausschließlich sozial lebensfähig (in Gemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen) „installiert“ ist, muß in den „übergeordneten Interessen“ einer Gemeinschaft ihren Ausdruck finden.
    Wird bereits dort das Gegenteil vorausgesetzt, fehlt die Kupplungsstelle für das natürliche Element der Mutualisation, das sich immer dann am besten einstellt, wenn die rechtzeitige Beteiligung bereits an der Interessenbestimmung herbeigeführt oder verdeutlicht wird …
    Das muß man nicht nur als natürliche Forderung betrachten, es sollte auch – angesichts häufiger unwissenschaftlicher (egoistischer) Vorurteile – als Vision „durchgehen“ und Platz ergreifen.
    Wer daran zweifelt und einer gewissen unwissenschaftlichen Sicht eines gewissen „Dawkin / Das egoistische Gen“ noch anhängt, mag sich den Joachim Bauer besorgen:
    „Prinzip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus kooperieren“ und „Das kooperative Gen“ (das ich im Gegensatz zum Autor nicht als „Abschied vom Darwinismus“ sondern als dessen progressive Bestätigung sehe, es sei denn, der Autor meint den „Abschied vom“ oft anzutreffenden „Vulgärdarwinismus“, auch als „Sozialdarwinismus“ bekannt geworden

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  13. @Michaela Lusru – gute Denkanstöße und auch @kosinsky – Danke dafür 🙂

    Wenn ich Politik als gemeinsame Suche nach dem guten Leben aller verstehe, dann verbinde ich damit auch die Vorstellung von offenen Sprechorten, in denen alle Interessen artikuliert werden können. Diese Sprechorte hier und heute mit zu ermöglichen halte ich für sehr wesentlich und notwendig, da in diesen das passieren kann, was Antje formuliert: Nicht theoretische Standpunkte auszuarbeiten, sondern mit den anderen reden, vertrauensvolle Beziehungen aufbauen, Konflikte offen austragen, und aushalten, dass man auch mal nicht einig ist.
    Und wenn wir uns gegenseitig zu einer solchen Haltung animieren und inspirieren, dann dürfte das Wirklichkeit werden, was Michaela ‘die große Kunst von Politik’ bezeichnet.

    So bin und bleibe ich doch gerne Optimistin. 😀

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  14. optimismus-und-visionen-statt-klasseninteresse:

    Hallo Optimistin Ute und die, die es nicht sein lassen können oder noch werden möchten:
    Wer mehr zum realen Hintergrund zum Mutualismus in der Praxis erfahren möchte, hat hier ein Schmankerl:

    Klicke, um auf a-u-gsm.pdf zuzugreifen

    mit z.B.
    „der historische Liberalismus versagte nicht, weil er zuviel, sondern weil er zuwenig Freiheit verwirklichte.“
    >Dr. Ernst Winkler („Theorie der Natürlichen Wirtschaftsordnung“, 1952) <

    und.
    "Allein dafür, dass der Zinsgeld-Kreislauf nicht sofort zusammenbricht,
    müssen 38 Millionen (noch) arbeitende Zinsverlierer in Deutschland auf einen durchschnittlichen Nettolohn von 980 € monatlich verzichten, damit eine Minderheit von Zinsgewinnern um 450 Milliarden € pro Jahr reicher wird, ohne dafür eine Arbeitsleistung – in welcher Form auch immer – zu erbringen."

    und
    "Der "Sozialstaat" kann immer nur eine Zwangsrückverteilung von den verdienten Arbeitseinkommen zu den kapitalismusbedingt Arbeitslosen vornehmen, aber nicht
    die unverdienten Kapitaleinkommen der Eigentümer antasten, welche die Massenarbeitslosigkeit ursächlich bewirken. Daher ist es immer nur eine Frage der Zeit, bis
    der "Sozialstaat" in einer Zinsgeld-Ökonomie nicht mehr finanzierbar ist."

    und schließlich:
    "… lässt die bisher kaum bedachte Tatsache erahnen, dass nichts anderes als das Geld die elementarste zwischenmenschliche Beziehung in einer arbeitsteiligen
    Zivilisation darstellt.
    … In einer Volkswirtschaft ist das Geld die Kommunikation."

    Was zu interpretieren ist ?
    "Das Geld wird so umgestaltet, dass alle Wirtschaftsteilnehmer nicht mehr im Sparen konkurrieren, sondern in ihrer echten marktwirtschaftlichen Leistung!"
    weil
    "Es wird Ihnen kaum gelingen, sich diesen größten denkbaren Unterschied einmal vorzustellen, bevor die ideale Makroökonomie verwirklicht ist:
    Heute arbeiten über sechs Milliarden Menschen
    gegeneinander.
    Morgen wirtschaften über sechs Milliarden Menschen
    miteinander."

    "Die echte Soziale Marktwirtschaft, die auch als Marktwirtschaft ohne Kapitalismus oder Natürliche Wirtschaftsordnung bezeichnet wird, ist allen anderen Wirtschaftsformen generell überlegen und entspricht dem, was schon Ludwig Erhard verwirklichen wollte, aber aufgrund des verheerenden Einflusses der so genannten "katholischen Soziallehre" politisch noch nicht durchsetzen konnte. Die freie (ausbeutungsfreie) Marktwirtschaft ohne Kapitalismus wurde zu einer kapitalistischen Marktwirtschaft mit angehängtem "Sozialstaat", einer "sozial gesteuerten Marktwirtschaft", für die sich der Begriff "soziale Marktwirtschaft" einbürgerte, und die nur solange Vollbeschäftigung erhalten konnte, wie aufgrund der zuvor durch den zweiten Weltkrieg verursachten umfassenden Sachkapitalzerstörung ein exponentielles Wirtschaftswachstum von mindestens 5 % pro Jahr generiert wurde…..
    © ANWW 2010"

    Als ob es auch einen Markt gäbe, der nicht "sozial", unter den Menschen, existieren und wirken könnte, wie auch "die Wirtschaft", womit die "soziale Marktwirtschaft" (unbesehen der dorthineingelesenen Ziele) nur eine doppelte Tautologie zur Verschleierung ihrer NIchterfüllbarkeit darstellt:
    Markt und Wirtschaft sind ausschließlich sozial, soziale Kategorien, die außerhalb der sozialen Welt der menschlichen Gemeinschaft keinerlei Wirkungsbasis entfalten könnhen.

    Soviel zu einigen Hintergründen für derzeit noch unwirksame gesamtwirtschaftliche Mutualität, die der althergebrachten Klassendefinitionen nicht bedürfen, ja nicht bedürfen dürfen.
    gefunden in dieser pdf:

    Klicke, um auf a-u-gsm.pdf zuzugreifen

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  15. @Lusru – in dem von dir verlinkten Beitrag heißt es u.a.
    “Die echte Soziale Marktwirtschaft, die auch als Marktwirtschaft ohne Kapitalismus oder Natürliche Wirtschaftsordnung bezeichnet wird, ist allen anderen Wirtschaftsformen
    generell überlegen und entspricht dem, was schon Ludwig Erhard verwirklichen wollte, aber aufgrund des verheerenden Einflusses der so genannten „katholischen Soziallehre“ politisch noch nicht durchsetzen konnte.“

    Ludwig Erhard und die „Natürliche Wirtschaftsordnung“??
    Ehrlich gesagt verstehe ich gar nicht, was das sein soll:
    „Natürliche Wirtschaftsordnung“?
    Und woher wissen diejenigen, die von einer „Überlegenheit“
    gegenüber allen anderen Wirtschaftsordnungen sprechen, dass dem so ist?

    Von einem ‚verheerenden Einfluss der ‚kath. Soziallehre‘
    habe ich noch nichts mit bekommen.
    Der Wirtschaft- und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach
    (Jesuit), dessen Anschauungen sich mit auf die Kath. Soziallehre gründen, ist ein vehementer Kapitalismuskritiker
    und entschiedener Gegner neoliberaler Doktrin.

    Trotz allem: *Seid realistisch – verlangt das Unmögliche* (André Gorz) – 🙂

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  16. @Ute Plass schreibt: 11. Juli 2014 um 12:01
    „@Lusru – klingt nach Garten Eden und als Optimistin schätze ich die Paradies-Sehnsucht. :-)“

    Nun Ute, es ist schon ein Unterschied, von welcher Seite man sich einem „Garten“ nähert:
    „Ra“dies oder „Para“dies
    Entweder vom Wunschdenken her (Märchen für „Große“), oder von der Funktiosweise dessen was (immer) ist , was uns umgibt, wie das – und wir – funktionieren (müssen, um sein zu können).

    Mich interessiert Letzteres, das Erstere verschiebe ich kommentarlos in die Kinderbuchhandlung, damit es nicht ganz verloren geht und gelegentlich wenigstens pädagogische (Sehnsuchts)Streiche erfüllen kann.

    Auch versuche ich nicht, (z.B. damit) die „Welt zu verbessern“.
    Vielmehr interessiert mich, wie sie und damit auch wir und eigentlich und letztlich alles funktioniert.
    Dabei gefundene Erklärungen, abgeprüft und durchgewalkt, erlauben, Vorgänge, Verhältnisse, Prozesse und Zustände zu verstehen, gelegentlich auch recht komplexe, wenn auch nicht (nie!) alle oder vollständig, und manches nur symbolisch bzw. systemisch ohne Detail.

    Also – was meine persönliche Sicht betrifft, jedoch nicht unbedingt und in allem die Entwicklungen des ANWW 2010 zum Problem des Zinses von http://www.deweles.de – nichts von „Paradies“, eher etwas von mächtig viel zu tun.
    Denn:
    Auch das Para-dies kann nur so „funktionieren“, wie alle andere Systeme funktionieren:
    Jede „Ganzheit“ ist ein System, eine Erscheinung, die aus Teilen und Strukturen mit Energie- und Masseflüssen, mit Informations- und Steuerungs- bzw. Regelungsmechanismen besteht, die alle gemeinsam zur Sicherstellung der Identität des jeweiligen Systems beizutragen haben und das nur bewältigen, wenn diese Elemente und Komponenten, sich mit einem hohen treffsicherem sensorischen Vermögen gegenseitig dabei stützend und zuarbeitend, dieser Systemidentität als „Ganzheit“ dienen, bezogen auf innere und äußere Einflüsse und Bewegungen.
    Störungen darunter bzw: dabei führen mit Gewißheit zur Veränderung dieser Ganzheiten, der inneren oder äußeren Abgrenzungen und Strukturen oder zum Reagieren des Systems auf die (stets direkt angrenzenden) benachbarten Systeme, sofern das jeweilige Sytem allein oder in Austausch mit anderen Systemen die Störung nicht sebständig (systemisch) kompensieren kann.
    Was dabei als „Störung“ (jede Bewegung und damit jede Veränderung!) daherkommt, kann das betr. System je nach eigener Fähigkeit unterschiedlich be- und verwerten: als willkommener, unbedingt erforderlicher, oder als zerstörender bzw. sogar vernichtender Impuls – wonach die Ganzheit die ihr mögliche systemische Reaktion veranlaßt , sich dabei verändert oder zugrunde geht
    Da für alle diese Systeme die Voraussetzung der permanenten inneren Bewegung (und Veränderung) im Prozess der permanenten Erfassung von Veränderungen, von UNTERSCHIEDEN, als systemgemäße Reaktion darauf besteht, sind wir mit permanenten „Störungen“ aufgrund von Bewegungen und Unterschieden konfrontiert, wie das dynanische Systeme auszeichnet.
    Jede Einschränkung dieser (Eigen!)Dynamik, jede Fehlreaktion führt zur Veränderung des Systems, einfach zu prüfen anhand der Nahrungsaufnahmen von Lebewesen …
    Folgt man dieser erkannten NATürlichkeit, könnte man sie unterstützen, jedoch nicht erzwingen.
    Also:
    Von Pa Ra dies_chen aus Eden keine Rede, eher von Aufmerksamkeit, Sensibilität, Sorgsamkeit und Fleis für das Vorhandene und offen für sich Entwickelndes …
    Was natürlich nicht nur eine Sehnsucht, eine völlig andere, schafft, sondern auch erfordert, als die nach einer „Klasseninteresse“.

    Andersherum es wohl kaum ein Klasseninteresse gibt, das sich zurecht über diese pragmatisch er- und vermittelte Sehnsucht stellen kann
    Das sich optimistischer oder visionärer als diese Sicht beweisen könnte.
    Das völlig ohne „statt“ auskommt und Alle mitnehmen und in Verantwortung stellen möchte, allein aus der mutualistischen System-Natur der Spezies Mensch heraus muß.

    Bekannte Umwege sollen angeblich trotz lauten Verkündungen bisher nicht so viele Pa oder Radieschen der Marke „Eden“ gebracht haben, wohl aber Krieg, immer wieder, stets als letztes Aufbäumen des zum Untergang geweihten

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  17. @Ute Plass schreibt: 11. Juli 2014 um 14:40
    Ja, bei diesen beiden von dir „herausgepickten“ (Sollbruchstellen?) Fragilitäten schluckte ich auch beim ersten Lesen:
    „Erhard / Natürliche Wirtschaftsordnung ?“
    und
    „verheerender Einfluß der katholischen Soziallehre“

    Zu ersterem dürften wir uns viel Arbeit machen müssen, denn das was von Erhard und der von ihm in Regierungsverantwortung LETZTLICH durchgeführten Wirtschaft wissen viele fast alles, zu dem was davor und dahinter den Mann bewegte, überhaupt tätig zu werden (und das ohne nur auf Gegebenheiten der Nachkriegszeit und des Gängelbandes der Alierten-Wirtschaft zu müssen) – davon weiß fast keiner von uns etwas – ließ ich mich vorerst belehren, nehmen wir es mal als möglich. Als Randbemerkung bestimmt es ja nicht den Sinn der Ausführungen.

    Zum zweiten, dem „verheerenden … der kath. Soziallehre“ versuchte ich bisher vfergeblich, näheren Aufschluß zu erhalten, man kommt so schnell an diese Gruppe bzw an den Autor nicht ran.
    Eine andere Variante wäre, sich dieser bisher in diesem Text recht spreizenden (scheinbar unpassenden) unbewiesenen Behauptung von dieser Lehre her zu „nähern“, was ich mal hiermit versucht habe:

    Klicke, um auf katholische_soziallehre_kritik.pdf zuzugreifen

    Der U n i v e r s i t ä t s p r o f e s s o r D r . G e r h a r d
    M e r k , S i e g e n
    referiert zur
    „Zur Kritik an der katholischen Soziallehre“
    in einer aus meiner Sicht nicht nur seriösen sondern auch höchst interessanten und bemerkenswert klaren Weise, so auch zu bestimmten Verwechslungen diesbezüglicher Protagonisten und Gegner gleichermaßen, was wohl etwas aufschlußreicher darin schließt:
    „… trennt auch hier nicht Aussagen der empirisch-realistisch
    bestimmten Sozialtheorie von Urteilen der christlichen Soteriologie. Dabei muß man ihm aber zugute halten, daß einige Autoren aus der Gruppe der Katholischen Sozialtheorie durch unzulässige Grenzüberschreitung und Ver
    mengung beider Argumentationsebenen tatsächlich für
    Verwirrung Anlaß bieten. Daher sollte die Kritik von
    Rolf Kramer eine Mahnung an alle Vertreter der
    Katholischen Sozialtheorie sein, die erkenntnistheoretischen Grenzlinien genauer zu beachten. Philosophie und Theologie, Ethik (als natürliche Sittenlehre, als ontologische Werturteile) und Moral (als aus dem Glauben fließender
    Sittenlehre, als transzendente Werturteile) gilt es in der Sozial
    theorie (anders als in der Sozialverkündigung der Kirche) füglich auseinanderzuhalten.“

    Eventuell siedelt sich das Problem hier an, könnte man meinen.
    Beachtenswert bei Merk die sehr saubere Herausstellung der Rolle der Aspekte dieser Sozialtheorie für die Gesellschaft, ob mit oder ohne Religion.

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  18. @ Ute Plass schreibt: 12. Juli 2014 um 10:17
    „Chandran Nairs“ – Danke, hervorragend

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