Die Crux ist, dass Putins Narrativ, wonach „westliche Werte“ keine universalen Werte seien, den Finger in die Wunde legt. Diese Idee ist gut, aber wir haben sie eben selbst nie umgesetzt. Freiheit etc. schön und gut, aber nicht für Schwarze. Demokratie schön und gut, aber Frauen dürfen nicht wählen. Menschenwürde schön und gut, aber für die Armen nicht unbedingt. Solidarität ja, aber nur wenn sie nicht zu viel kostet. Das macht das Konzept natürlich für alle außerhalb der „Mitgemeinten“ problematisch. Das Problem ist glaub ich, dass wir „im Westen“ in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten nicht nur unsere Infrastruktur haben verrotten lassen, sondern auch die Weiterentwicklung unserer kulturellen Werte, die wir in sinnlosen „Culture Wars“ verheizt haben, anstatt wirklich darüber konstruktiv zu debattieren.
Eine Möglichkeit, sich der diskursiven Logik von Culture Wars zu entziehen, ist, pro-con-Debatten zu verweigern. Sondern zu fragen, inwiefern etwas gut ist und inwiefern schlecht. Was daran ist problematisch, was daran ist nicht problematisch und vielleicht sogar bewahrenswert, und wie müsste man es also weiterentwickeln. Dafür gibt es viele Anlässe – Leihmutterschaft, Sexarbeit, Frauenquoten, Gleichstellungspolitik, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, gewaltloser Widerstand, militärischer Widerstand usw usw usw. Oder, aus aktuellem Anlass: Dreadlocks auf weißen Köpfen.
Und bei „was daran ist schlecht“ muss man wieder unterscheiden zwischen „was funktioniert nicht gut“ (ließe sich also beheben mit Maßnahmen) und „was daran ist vielleicht schon vom Konzept her ein Problem.“ Die Pro-Contra-Verkürzung ist aber nicht nur inhaltlich meistens daneben, sie führt auch formal zur Lagerbildung, sodass irgendwann nicht mehr das Argument zählt, sondern das Bekenntnis zu dieser oder jener Seite. Damit ist der Diskurs endgültig tot, und genau das haben ja Putins Trolle und ihre Gehilfen bei AfD und co. meisterhaft geschafft.
Zum Beispiel müssen wir auch verstehen, dass es einen grundlegenden Unterschied gibt zwischen Kritik und Kampf. Kritik ist schon rein logisch an dem, was die kritisierte Partei sagt, interessiert. Sie hat das Ziel, das Kritisierte zu verbessern. Kampf hingegen hat das Ziel, das Bekämpfte zu zerstören. Kritik und Kampf sieht manchmal ähnlich aus, sind aber völlig entgegengesetzte Handlungen.
Chantal Mouffes Scheidung von Agonis
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Sorry, nochmals. Mouffes Unterscheidung zwischen Agonismus (als Feindschaft) und Antagonismus (als Gegenerschaft) in der Auseinandersetzung zielt in die angedeutete Richtung.
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