
Heute im Fitnessstudio – da muss man ja manchmal hingehen, um was von der Welt mitzubekommen – lief der neue Werbespot von Skoda. Ich hatte keinen Ton, und die tollen Autos mit den glücklichen Familien drin wären wahrscheinlich einfach so an mir vorbei gerauscht, wenn nicht der Claim am Ende als Text gekommen wäre: „Jede Familie ist anders“.
Das war nämlich recht skurril, denn faktisch waren alle dargestellten Familien lächerlich gleich. Ein Mann, eine Frau, zwei Kinder, jung, weiß, mittelständisch wohlhabend, wirklich krampfhaft absurdes Klischee. In allen Autos kackte dann das kleinste Kind in die Hose, die Männer hielten sich angeekelt die Nase zu, und die Frauen hatten natürlich vergessen, die Windeln mitzunehmen.
Ich will mich gar darüber aufregen, dass hier wieder mal das große Mann-Frau-Paar inszeniert wird (das hab ich gestern schon gemacht), und auch nicht darüber, wie selbstverständlich die Frauen für die Beseitigung der Scheiße zuständig sind.
Worüber ich die folgende halbe Stunde Crosstrainer nachdachte, war vielmehr die Tatsache, dass in allen Autos der Mann am Steuer saß und die Frau daneben. Die Langlebigkeit dieser Aufteilung auch nach mehreren Jahrzehnten Gleichstellungs- und Emanzipationsbemühen ist mir schon lange ein Rätsel (ich fahre nämlich gerne Auto, sehr zur Freude gewisser Beifahrer übrigens). Gibt es irgendwo eine Studie, die erforscht hat, in wie vielen gemischtgeschlechtlich besetzten Automobilen die Männer hinter dem Lenkrad sitzen und die Frauen daneben? Ich tippe auf so 90 Prozent.
Mein Rant hier richtet sich nicht gegen Skoda oder andere Autofirmen, die in ihrer Werbung ja nur klischeehaft zuspitzen, was tatsächlich Realität ist. Ich richte mich an die Frauen, die ihren Männern standardisierterweise das Lenkrad überlassen. Hey, Frauen: Hört damit auf! Das kann so nicht weitergehen! Ihr richtet damit die Welt zugrunde!
Das meine ich nur halb spaßig. Denn das ist tatsächlich ein grundlegendes Dilemma unserer post-gleichgestellten Gesellschaften: Dass die große Mehrheit von Frauen in eine ungebrochene Selbstinszenierung des männlichen Imaginären einwilligt. Das Autolenkrad ist dafür nur ein Beispiel. (Ein anderes ist, dass die meisten Frauen nach der Heirat den Namen des Mannes annehmen, oder doch spätestens für die gemeinsamen Kinder).
Was genau ist mein Problem? Mein Problem ist, dass die Sitzverteilung im Auto und die Namensverteilung in der Familie nicht einfach privates Arrangement sind, sondern Ausdruck einer symbolischen Ordnung:
In dieser Ordnung konstituiert sich Männlichkeit wesentlich über den Zugang zu Macht und Kontrolle. Historisch ist das eindeutig – einflussreiche Positionen sind von ihrem Ursprung her als männliche Positionen konstituiert, Frauen waren davon explizit ausgeschlossen und werden bis heute nur notgedrungen „zugelassen“, vorausgesetzt, sie akzeptieren die Spielregeln. Diese symbolische „Männlichkeit“ von öffentlichen, einflussreichen Positionen erschwert nicht nur den Zugang von Frauen dazu, sondern – und das ist der wichtigere Punkt – sie verunmöglicht es auch, dass öffentlicher Einfluss sachgemäß und zum Wohle aller ausgeübt wird.
Am Beispiel „Mann am Steuer“ lässt sich das gut nachvollziehen: Männer machen viel mehr schwere Unfälle. Denn sie fahren nicht einfach Auto, um von hier nach dort zu kommen, wie es vernünftige Menschen tun würden, sondern sie fahren auch Auto, um zu zeigen, wer den längeren, größeren, schnelleren hat. Natürlich nicht alle Männer. Aber eben doch viele – immer noch. Immer dann, wenn Männer politischen (oder wirtschaftlichen) Einfluss mit einer Bestätigung ihrer Männlichkeit verknüpfen, wird es gefährlich. Denn es werden falsche Entscheidungen getroffen und falsche Weichen gestellt.
Mich interessiert aber nicht, was die Männer machen, sondern was die Frauen machen: Sie lassen das zu. Natürlich haben sie dafür gute Argumente. Wenn er doch unbedingt fahren will, soll er doch. Wieso soll ich mich auf langwierige Diskussionen einlassen, es ist doch ganz bequem auf dem Beifahrersitz. Es genügt mir, zu wissen: Wenn ich fahren wollte, dann könnte ich.
Alles richtig. Es hat sich ja auch schon einiges verbessert. Wenn der Mann betrunken ist, lässt er heute die Frau nach Hause fahren. Oder wenn die Strecke so weit ist, dass man es beim besten Willen nicht alleine schaffen kann. Oder wenn die Frau unbedingt fahren will und das deutlich sagt – normalerweise tut er ihr dann den Gefallen. Wir sind ja schließlich nicht in Saudi-Arabien, wo Frauen das Autofahren verboten ist. Das meine ich gar nicht sarkastisch, es ist wirklich eine Verbesserung, wenn man sich vor Augen führt, dass es vor ein paar Jahrzehnten eben noch anders war.
Außerdem sind die Zeiten vorbei, als die Frauenbewegung aus der Frage, wer am Steuer sitzt, eine Prinzipienfrage gemacht hat. Auf dem Fahrersitz zu bestehen, nur um des Prinzips willen, wirkt verknöchert und emanzenhaft, wer will das schon?
Kaum eine, und zu Recht. Es kann ja in der Tat nicht darum gehen, in den Wettkampf mit den Männern um den längsten, stärksten und schnellsten einzusteigen. Ich verstehe sehr gut, wenn Frauen darauf keine Lust haben – weder im Auto, noch auf der Karriereleiter. Ich habe darauf auch keine Lust.
Aber es ist eben auch keine Alternative, sich mit der theoretischen Möglichkeit, ans Steuer kommen zu können, wenn man denn nur wollte, zufrieden zu geben. Denn auf diese Weise wird die Verknüpfung von einflussreicher Position und Männlichkeit immer weiter wiederholt und befestigt. Und das schadet nicht den Frauen, es schadet der Welt!
Die italienische Philosophin Annarosa Buttarelli schreibt in einem Text, den ich gerade übersetze, dass wir heute eine zweite Revolution der Frauen brauchen. Sie fordert die Frauen zu einer „Übernahme von Verantwortung gegenüber unserer Differenz und gegenüber der Welt, die wir lieben“ auf.
Mit dieser Differenz ist nicht eine angeblich natürliche Überlegenheit oder Andersheit der Frauen gemeint, sondern eben jene Position, in der wir uns historisch befinden, die Männer aber nicht: Wir sind diejenigen, deren Geschlecht frei ist von imaginären Überladungen, die die Machtinstitutionen unserer Gesellschaft enthalten. Und deshalb haben wir ungleich bessere Möglichkeiten, diese Institutionen und Ordnungen zu verändern, was angesichts des Zustandes der Welt dringend nötig ist.
Am banalen Beispiel Auto: Weiblichkeit ist nicht symbolisch mit Autofahren verknüpft, wir bekräftigen damit nicht unsere Identität, daher können wir uns darauf beschränken, einfach nur gut Auto zu fahren. Oder auch nicht, weil der Zug eh ökologischer und bequemer ist. Wir laufen nicht Gefahr, uns kastriert vorzukommen, wenn man uns das Auto wegnimmt, oder wenn das Auto, in dem wir grade sitzen, eine lahme Krücke ist.
Natürlich gibt es auch Männer, die sich inzwischen von dieser imaginären Aufladung befreit haben, das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass diese imaginäre Aufladung trotz dieser dissidenten Männer immer noch besteht und die symbolische Ordnung prägt. Sodass Männer, die sich nicht bewusst davon befreien und andere Verknüpfungen eingehen, einfach zu leicht in die Versuchung geraten, sich wie Macker zu verhalten. Zu glauben, sie seien nur ganze Kerle, wenn sie am Steuer sitzen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.
Klar, wir – die Frauen und die bewusst reflektierenden Männer – wissen, dass das Quatsch ist, lächerlich, eine symbolische Unordnung. Aber diese Unordnung ist eben dennoch real. Und sie wird immer und immer wieder festgezurrt, zum Beispiel jedes Mal, wenn eine Frau es zulässt, dass der Mann sich wie selbstverständlich ans Steuer setzt, weil er, ohne darüber auch nur nachzudenken, der Überzeugung ist, das sei der natürliche angestammte Platz für Wesen seines Geschlechtes.
Deshalb, liebe Frauen: Schaut da nicht länger einfach nur zu. Willigt nicht laufend in diese Selbstinszenierung von symbolischer Männlichkeit ein.
Und wenn es nur ist, damit uns in Zukunft solche Werbespots erspart bleiben.
Update: Am Samstag vor Pfingsten haben wir auf der Autobahn (zwischen Camberg und Montabaur auf der A3) mal gezählt: Unter den Autos, wo vorne ein Mann und eine Frau saßen, war 48 Mal der Mann, 5 Mal die Frau am Steuer.


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