
Vergangenen Samstag starb die kapverdianische Sängerin Cesaria Evora. Obwohl ich ihre Musik seit langem mag, hätte mich die Nachricht wahrscheinlich nur so nebenbei berührt, wäre ich nicht zu dieser Zeit selbst in Mindelo gewesen, der kleinen Stadt, in der Cesaria Evora lebte. Stundenlange Hupkonzerte, Evoras Lieder aus allen Lautsprechern, überall Betroffenheit und Trauer und überhaupt die Vorstellung, dass das alles nur ein paarhundert Meter von mir selbst passiert war.
Zwei Tage Staatstrauer wurden ausgerufen. Am Dienstag war die Beerdigung, die gesamte Prominenz des kleinen Landes reiste an, der Sarg mit Nationalflagge wurde im Volkspalast aufgebahrt. Der Staatspräsident hielt eine lange Rede (die ich im Fernsehen verfolgte), militärische Ehren, Gottesdienst mit Bischof, Prozession auf den Straßen.
Das, dachte ich, ist doch ziemlich interessant. Nationale Trauertage und Staatsbegräbnis – für eine Sängerin?
Sicher, Kapverden ist ein kleines Land, es hat weniger Einwohner_innen als Frankfurt. Und vermutlich war Cesaria Evora tatsächlich die einzige Kapverdianerin mit einigermaßen internationaler Bekanntheit. Aber trotzdem. Zwei Tage Staatstrauer und solch ein Begräbnisakt, das ist schon erklärungsbedürftig.
Das Fernsehen feierte Evora als „die größte Botschafterin Kapverden in der Welt.“ Aber Botschafter werden normalerweise auch nicht mit Staatstrauer beerdigt. Der Präsident bemühte in seiner Rede den Begriff der „Heldin“, denn ja, Helden werden schon mit militärischen Ehren zu Grabe getragen. Aber er merkte selber, dass der Begriff auf Cesaria Evora überhaupt nicht passt. Denn was bitte soll an dieser alten Frau heldenhaft sein, die erst mit knapp 50 ihren ersten Plattenvertrag unterschrieben hatte und einfach nur ihre Lieder sang? Deren schlichte, fast schüchterne Art auf den großen Bühnen dieser Welt immer etwas fehl am Platz gewirkt hatte?
Eine bessere Erklärung fand die Straßenreporterin, die, nachdem sie verschiedene Leute ihre Trauer ins Mikrofon hatte sprechen lassen, resümierte: „Sie war unsere Königin.“
Dabei fiel mir der Artikel „Souveräninnen“ von Annarosa Buttarelli ein, den ich gerade für die deutsche Ausgabe des neuen Diotima-Buches „Macht und Politik sind nicht dasselbe“ übersetzt habe. Denn tatsächlich ist Cesaria Evora ein gutes Beispiel dafür, was Buttarelli meint, wenn sie sich mit weiblicher Souveränität, Regentschaft und Königinnentum beschäftigt.
Eine Königin ist nämlich nicht dasselbe wie ein König. Ihre Souveränität hängt zum Beispiel nicht davon ab, dass sie die Einzige ist, sie ist keine Alleinherrscherin, keine Monarchin. Sondern ihre Souveränität zeigt sich in der Entschiedenheit und Eigenwilligkeit ihres Handelns. Eine Königin folgt nicht den Strömungen der Zeit, sondern ihrem eigenen Begehren, und das bringt ihr Respekt und Bewunderung ein, natürlich auch Feinde und Neid. Eine Königin „repräsentiert“ auch nicht ihr Volk, sie repräsentiert nur sich selbst. Aber dadurch, wie sie sie selbst ist, bietet sie Anknüpfungspunkte für andere, gibt ihnen Orientierung, Zuversicht, Inspiration.
Fast alle Königinnen, so zeigt Buttarelli an historischen Beispielen, werden, anders als die meisten Könige, nicht schon mit Krone geboren (außer ganz neuerdings in Schweden). Wenn Frauen institutionelle Macht und Regentschaften zufallen, dann meist zufällig – weil es zum Beispiel keine männlichen Thronfolger gibt oder weil sich Krisen so zuspitzen, dass sich im geregelten Ablauf männlicher Herrschaft Lücken auftun (das war bei Cesaria Evora nicht anders als bei Queen Victoria oder Kanzlerin Merkel).
Buttarelli ist der Ansicht – und ich stimme ihr zu – dass gerade diese Zufälligkeit hilfreich ist, um von der althergebrachten symbolischen Ordnung unabhängig zu werden, also Dinge wirklich zu verändern und positiv zu gestalten anstatt sie bloß zu reproduzieren. Weil diese nämlich in so einer Situation ohnehin schon Risse bekommen hat.
Souveränität, Königinnentum also, bedeutet, dass eine Frau, der – aus welchen Gründen auch immer, ob selbst erarbeitet oder aufgrund günstiger Gelegenheit – Macht und Einfluss zufallen, dies dann konsequent und verantwortungsbewusst und in Freiheit nutzt. Also nicht einfach nur die herkömmliche Nummer abzieht und versucht, möglichst „genauso gut“ zu regieren wie ein Mann, sondern so, wie sie es selbst für richtig hält. Souverän eben.
Eine Königin ist nicht der Mehrheitsmeinung verpflichtet, sie hat keine demokratischen Verpflichtungen. Sie kann zum Beispiel darauf bestehen, während ihrer Konzerte auf der Bühne in aller Ruhe eine Zigarette zu rauchen. Königinnenhafte Souveränität bedeutet aber auch, die mit dem öffentlichen Einfluss einhergehende Verantwortung anzunehmen, also nicht die Macht nicht zur Selbstbeweihräucherung zu missbrauchen, sondern das allgemeine Gute dabei zum Maßstab zu machen.
Cesaria Evora zum Beispiel ist immer barfuß aufgetreten, um trotz allen Weltstar-Glamours eine symbolische Verbindung zu ihrer Herkunft aus armen Verhältnissen zu bewahren. Ich hatte das immer für einen etwas schlichten Marketinggag gehalten. Letzte Woche ist mir klargeworden, dass das arrogant von mir war, weil ich nämlich völlig zu Unrecht davon ausgegangen bin, ich selbst wäre die Adressatin dieser Geste. Nein, die Geste galt den Menschen in Kapverden, denen, die tatsächlich barfuß laufen. Und sie haben sie auch genau so verstanden, wie sie gemeint war.
„Afrikanische Frauen unterschiedlichster Herkunft sind sich darüber bewusst, dass es notwendig ist, Königin zu sein, um eine Frau mit Autorität zu sein“, schreibt Annarosa Buttarelli am Ende ihres Textes. „Ich habe einige afrikanische Schriftstellerinnen gesehen, die durch meine Stadt gingen und auf ihren bunten Kleidern einen Button trugen mit der Aufschrift ‚Ich bin eine Königin‘. Ich besitze einen davon, ich hüte ihn wie meinen Augapfel, und ich würde gerne Tausende davon herstellen, um sie zu verschenken und all den Mut und all die Kraft zu verbreiten, die ich in jenem Gestus erblickt habe.“
Jede Frau kann eine Königin sein, denn keine einzige von uns ist völlig ohne Einfluss. Weibliche Souveränität bedeutet, das, was eine an Einfluss und Macht hat (sei es viel oder wenig), im oben beschriebenen Sinn zu nutzen. Und in diesem Sinn ist es völlig zutreffend, die Staatstrauer für Cesaria Evora als Folge davon zu interpretieren, dass sie eine Königin war.
Ich finde übrigens, es spräche nichts dagegen, wenn sich auch Männer an alldem ein Beispiel nehmen würden. Denn „weiblich“ ist das Königinnentum nicht, weil es ein exklusives Privileg von Frauen wäre, sondern deshalb, weil es vor allem Frauen waren und sind, die es praktizieren. Prinzipiell ist diese politische Haltung aber für alle Menschen zu empfehlen.
Und vielleicht ist das ja auch eine Alternative zu dem unfruchtbaren Gegenüber von „absoluter Monarchie“ und „repräsentativer (populismusanfälliger) Demokratie“, in dem das männliche Verständnis von Politik nun schon seit ein paar Jahrhunderten zappelt.

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