Momentan scheinen sich alle darüber einig zu sein, dass wir die Modalitäten des Fehlermachens und wie es danach weiter gehen kann im Bereich der Öffentlichkeit neu zu überdenken haben. Es sieht so aus, als müsste es neben dem üblichen Verfahren der Rechtsstaatlichkeit (etwas ist per Gesetz verboten oder erlaubt) noch weitere Kriterien geben, um mit menschlichen Schwächen auch im Bereich von öffentlichen Ämtern umzugehen (in privaten Beziehungen praktizieren wir das meistens sowieso schon).
Aber wie soll das gehen, das Fehlermachen öffentlicher Personen und der anschließende Umgang damit? Vorab möchte ich vor allem betonen, dass ich darin nicht eine moralische Frage sehe oder ein persönliches Vergehen einzelner Personen. Das Problem ist, dass die Strukturen unserer öffentlichen Institutionen mit ihren bürokratisierten Abläufen und ihrem formalen Gerechtigkeitsverständnis so eine Haltung gar nicht vorsehen. Dazu hat Dorothee Markert schon einmal Lesenswertes gebloggt.
Wenn man innerhalb der darin geltenden Machtlogiken bleibt, ist es deshalb vielleicht sogar kontraproduktiv, sich an meine Vorschläge zu halten. Die folgenden Punkte verstehe ich also nicht als Forderungen, sondern eher als eine Beschreibung von Notwendigkeiten, die erfüllt sein müssten, damit eine andere „Fehlerkultur“ entstehen kann.
Ich beschreibe sie hier aus der Perspektive der Person, die einen Fehler gemacht hat. Es gehört aber nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass dazu auch eine Gegenseite gehört, die ein entsprechendes Verhalten honorieren würde, anstatt nachzutreten oder die Fehler der anderen für die eigenen instrumentellen Zwecke auszuschlachten. Also:
Erstens: Man muss den Fehler einsehen, und er muss einer Leid tun – und zwar nicht nur Leid tun in dem Sinn, dass man sich in den Arsch beißen könnte, weil man jetzt dadurch so einen Ärger am Bein hat, sondern Leid tun in dem Sinn, dass man es wirklich bereut, dass man sich in gewisser Weise für das, was man getan hat, schämt. Weil man verstanden hat, dass es falsch war. Man muss auch wissen, dass man sich nicht mehr im Bereich der Rechtsstaatlichkeit befindet (und es also in dem Zusammenhang kein Argument ist, dass man nicht gegen Gesetze verstoßen hat).
Zweitens: Man muss die Kontrolle über das weitere Verfahren aus der Hand geben. Das bedeutet: Um Entschuldigung bitten. Nicht: Sich entschuldigen. Ob eine Ent-Schuldigung stattfindet, das entscheidet nicht man selbst, sondern die anderen. Und zwar – und das ist das Schwierige – nicht nach objektiven, einklagbaren und transparenten Maßstäben wie bei einem Gerichtsverfahren, sondern, tja, mehr oder weniger unvorhersehbar. Man hat keinen Anspruch darauf, dass die eigene Bitte um Entschuldigung angenommen wird. Man kann es nur hoffen.
Drittens: Man muss natürlich auch die richtigen Leute um Entschuldigung bitten. Um es an einem derzeit viel diskutierten Beispiel zu sagen: Wenn ein Bundespräsident unliebsame Berichterstattung mittels Drohungen am Telefon unterbinden will, dann schädigt er damit nicht den betreffenden Chefredakteur, sondern die Zivilgesellschaft, in der Pressefreiheit als hohes Gut gilt. Er müsste also auch diese Zivilgesellschaft um Entschuldigung bitten, die Meinung des Chefredakteurs ist hierbei eher unerheblich.
Viertens: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man da nicht ungeschoren herauskommt, egal wie es ausgeht. Man wird immer der- oder diejenige mit dem damaligen Fehler sein, auch wenn er verziehen wurde. Entschuldigungen machen das Geschehene nicht rückgängig, sie ermöglichen lediglich einen neuen Anfang – nun eben auf einer neuen Grundlage. Ein Zurück auf Null gibt es im Leben nicht.
Fünftens: Wenn die anderen zu der Auffassung kommen, dass man nicht weitermachen kann, muss man das akzeptieren. Zumindest sollte man sich im Klaren darüber sein, dass dies ein möglicher Ausgang ist. Die Möglichkeit eines Rücktritts zum Beispiel gar nicht in Erwägung zu ziehen (oder das zumindest zu behaupten), ist in so einem Fall entweder ignorant oder gelogen.
Sechstens: Wenn man hingegen die Möglichkeit bekommt, trotz des begangenen Fehlers weitermachen zu können, ist Dankbarkeit angebracht. Dankbarkeit dafür, dass man eine Möglichkeit bekommen hat, die man sich nicht selbst verdient hat. (Man kann sich aber ein bisschen damit trösten, dass es den meisten anderen Leuten genauso geht.)

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