Heute bin ich zum Thema Netzfeminismus vom dradio Breitband interviewt worden (wird morgen zwischen 14 und 15 Uhr gesendet), und dabei fiel mir auf, dass bei diesem Thema zwei völlig unterschiedliche Bedeutungen nebeneinander bestehen oder miteinander vermengt werden, und zwar:
1. Feminismus, der das Internet als Medium nutzt, und
2. Netzpolitik aus feministischer Perspektive
Es gibt sicherlich eine Schnittmenge zwischen beidem, aber die ist klein. Ich zum Beispiel gehöre klar zu Variante 1 – mein Thema ist politische Ideengeschichte von Frauen, und das Internet ist lediglich eines der Medien, die ich dabei nutze (neben vielen anderen) – und dann mache ich mir natürlich ab und zu auch darüber mal Gedanken.
Ich würde sagen, die meisten unter „Netzfeminismus“ firmierenden Namen und Blogs gehören eher zu dieser ersten Kategorie, wenn auch manche, zum Beispiel die Mädchenmannschaft, vorwiegend das Internet als Plattform haben. Aber die meisten Bloggerinnen, die ich kenne, beschäftigen sich mit allen möglichen Themen, und nicht speziell mit dem Thema Netzpolitik.
Etwas ganz anderes ist Netzpolitik aus feministischer Perspektive. Darunter könnte man am ehesten einige Piratinnen fassen, oder Blogs wie Femgeeks. Aber insgesamt besteht innerhalb der „netzpolitischen Szene“, wenn man das mal so nennen will, doch noch ein gewisser Mangel an feministischen Perspektiven.
Ich glaube, es ist hilfreich, diese beiden Bedeutungen von „Netzfeminismus“ zu unterscheiden.
Gerade auch, wenn es um unterschiedliche feministische Richtungen geht. „Der Feminismus“ hat keine einheitliche Meinung, schon immer gab es nicht nur verschiedene Strömungen, sondern auch geradeheraus gegensätzliche und unvereinbare, wie zum Beispiel zwischen „Matriarchatsfrauen“ und „Gleichstellungsfrauen“. Es ist absurd, vom „Netzfeminismus“ (Variante 1) eine einheitliche Meinung oder gemeinsame Überzeugungen zu verlangen, denn Politik besteht ja gerade darin, dass Konflikte über das, wie die Welt sein soll, ausgetragen und verhandelt werden.
Etwas anders ist es mit „Netzfeminismus“ (Variante 2), also insofern es um feministische Perspektiven auf dieses spezielle Thema Internet geht. Da könnte man durchaus zu einigen inhaltlichen Aussagen kommen, wie zum Beispiel, dass Sexismus in Kommentardiskussionen bekämpft gehört oder es nicht sein kann, dass netzpolitische Themen nur immer unter lauter Männern diskutiert werden.
Auch für eine Bewertung der laufenden Klage über die Abwesenheit von Frauen aus der „Netzdiskussion“ ist eine Unterscheidung dieser Varianten sinnvoll. Denn für eine Feministin im Netz (Variante 1) ist diese Abwesenheit keine große Sache, es gibt ja sehr viele Dinge, für die sich deutlich mehr Männer als Frauen interessieren, zum Beispiel Formel 1-Rennen. Die Überrepräsentanz von Männern im Bereich „Netzpolitik“ relativiert sich doch erheblich, wenn man bedenkt, dass das Internet ja ihr genuines Thema ist. Und es liegt ja irgendwie in der Natur der Sache, dass alle Menschen, die sich für Netzpolitik interessieren, auch im Netz präsent und aktiv sind.
Das kann man jedoch (leider, wie ich finde) bei weitem nicht für – nur so zum Beispiel – alle Menschen sagen, die sich für weibliche politische Ideengeschichte interessieren. Es wird zwar momentan oft davon gesprochen, dass die digitale Spaltung ihrem Ende entgegen geht, aber ich glaube das nicht. Auch wenn nach neuesten Erhebungen inzwischen 80 Prozent der Deutschen „drin“ sind, so nutzen doch die allermeisten, die ich kenne, das Netz ziemlich passiv – sie mailen, recherchieren, und Ende. Würden alle Feministinnen so häufig und ausgiebig ins Internet schreiben, wie das die Menschen tun, die sich für Netzpolitik interessieren, sähe das Kräfteverhältnis ganz anders aus.
Das heißt: Wenn man – was, glaube ich, keine allzu steile These ist – davon ausgeht, dass Netzpolitik ein Thema ist, für das sich mehr Männer als Frauen interessieren, muss man sich keine Haare über die Männerdominanz im Netz ausraufen (es sei denn, man ist feministische Netzaktivistin, also Variante 2, denn dann betrifft es ja das eigene Herzensthema).
Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist das Thema Netzpolitik im Internet, was die Bandbreite möglicher politischer und gesellschaftlicher Themen betrifft, vollkommen überrepräsentiert, was bedeutet, der Raum, den das Ganze hier im Netz einnimmt, sagt gar nichts darüber aus, wie die allgemeingesellschaftliche Relevanz dieses Diskurses ist. Nur ein Beispiel: Ich habe gerade das neue Buch von Kathrin Passig und Sascha Lobo gelesen, und weil ich es toll finde, erzähle ich das überall herum. In neun von zehn Fällen fragen die Leute: Wer ist Kathrin Passig? Wer ist Sascha Lobo?
Neun von zehn Menschen, die ich kenne, wissen nicht, was ein Feedreader ist, lesen nur zufällig mal Blogs, geschweige denn, dass sie welche schreiben würden, haben noch nie was von netzpolitik.org gehört und auch nichts von der Republica. Das Höchste der Gefühle ist ein Facebook-Account.
Wie die Relevanzverhältnisse im gesellschaftlichen Diskurs wirklich sind, das werden wir im Internet erst dann abgebildet sehen, wenn die aktive und virtuose Nutzung der Möglichkeiten, die das Internet bietet, allen Menschen selbstverständlich in Fleisch und Blut übergegangen ist – und zwar unabhängig davon, für welche Inhalte und Themen sie sich speziell interessieren.
Ich glaube aber, das wird noch so zwanzig Jahre dauern.
Update: Das oben erwähnte Interview gibt es jetzt auch hübsch kompakt zum Anhören.

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