
Heute möchte ich mal ein weiteres Nonsens-Argument unter die Lupe nehmen (sozusagen als Sequel zu der Sache mit den „verletzten Gefühlen“), das in politischen Debatten immer wieder vorgebracht wird, nämlich der Hinweis „Ich bin kein Sexist!“ Also zum Beispiel „Ich bin kein Sexist“, wenn ich Podien nur mit Männern besetze, wenn ich männliche Bezeichnungen für gemischte Gruppen verwende, etcetera pp.
Und zwar geht es mir jetzt nicht darum, zu zeigen, dass manche Leute, die sowas sagen, möglicherweise doch sexistisch sind, sondern darum, zu zeigen, wie unsinnig das Argument auch dann ist, wenn der Sachverhalt stimmt.
Denn in was für einer Diskurswelt bewegt man sich eigentlich, wenn man „Ich bin kein Sexist“ für ein relevantes Argument hält? Doch wohl in einer, in der Sexist sein eine mögliche Option ist, nur dass man sich selbst davon eben abgrenzt.
Ich gehe eigentlich davon aus, dass „kein Sexist zu sein“ selbstverständlich ist. Wie kann man nur auf die Idee kommen, sich damit Kekse verdienen zu können? Sexist ist jemand, der absichtlich Frauen diskriminiert, der von einer prinzipiellen männlichen Überlegenheit ausgeht, der Frauen unterdrücken möchte und dazu steht. Ich meine: Solche Leute gibt es. Aber mit ihnen eine politische Diskussion über weibliche Freiheit zu führen, ist relativ sinnlos, weil sie ja eingestandenermaßen daran überhaupt nicht interessiert sind.
Debatten über Wege zu einer anderen symbolischen Ordnung des Geschlechterverhältnisses setzen voraus, dass die Beteiligten auch daran interessiert sind, die Verhältnisse zu verbessern – wenn sie auch unterschiedliche Ansichten dazu haben, wie sich das bewerkstelligen ließe. Die Geschlechterverhältnisse, in denen wir leben, betreffen uns alle. Jede und jeder ist auf die eine oder andere Weise von ihnen betroffen und arbeitet daran mit, sie zu stabilisieren, oder bemüht sich, sie zu verändern. Es gibt keine „neutrale“ Position. Kein Sexist zu sein ist die selbstverständliche Voraussetzung, wenn man ernsthaft bei dem Thema mitdiskutieren will.
Natürlich kann ich auch mit Sexisten diskutieren, aber dann ist das Thema ein völlig anderes. Das Thema wäre dann die Frage, ob Sexismus denn überhaupt etwas Schlimmes ist und warum: Ob Männer Frauen unterdrücken dürfen, ob das Patriarchat nicht vielleicht eine tolle Sache ist. Es muss jede selbst für sich entscheiden, ob sie Lust auf solche Debatten hat, und es kommt auch auf den Kontext an – wenn ich zum Beispiel in einer offen patriarchalen Gesellschaft lebe, werde ich nicht darum herumkommen, so etwas zu diskutieren. Wenn ich in einer Gesellschaft lebe, in der Frauen kein Wahlrecht haben, in der es allgemein akzeptiert ist, dass Männer Frauen schlagen und vergewaltigen, wo Frauen kein Recht auf eigenes Einkommen haben und so weiter – ja, dann muss ich wohl oder übel mit Sexisten diskutieren.
Wir hier leben aber in einer Gesellschaft, in der Frauen bereits Rechte haben, in der es nicht allgemein akzeptiert ist, dass Männer vergewaltigen, und so weiter. Zu sagen „Ich bin kein Sexist“ bedeutet letztlich, dass man immerhin darauf verzichtet, wieder hinter diesen erreichten Zustand zurückzugehen. Dass man netterweise bereit ist, sich in den Stand der Dinge zu fügen und nicht aktiv für eine Rückkehr zu patriarchalen Verhältnissen eintritt. Toll.
In dem Zusammenhang wird von Frauen gerne auch mal Dankbarkeit dafür eingefordert, dass sich die Verhältnisse gebessert haben. „Seid doch dankbar dafür, dass Ihr wählen dürft, dass Vergewaltigung per Gesetz verboten ist, dass wir uns nicht mehr aktiv bemühen, Frauen zu benachteiligen.“
Aber ich bin nicht dankbar für Selbstverständlichkeiten. Dass ich wählen darf und dass es in unserem Land verboten ist, mich zu vergewaltigen, ist ja wohl das Mindeste. Dafür gibt’s keine Kekse. (Beziehungsweise: Ich bin für all das schon dankbar, aber nicht den Männern, die netterweise heute auf Sexismus verzichten, sondern den Frauen und Männern, die das unter großen persönlichen Risiken und mit viel Mut und Engagement erkämpft haben).
Dass ich kein Mensch zweiter Klasse bin, davon gehe ich mal aus. Dafür gibt es kein Lob für niemanden. Das Thema, über das ich diskutieren möchte, lautet vielmehr: „Wie verbessern wir das Verhältnis der Geschlechter?“ Denn es zeigt sich an vielen Stellen, dass die bloße Abwesenheit von offener Frauendiskriminierung noch nicht für gute Verhältnisse sorgt. Ich bin – ebenso wie viele andere Frauen und auch manche Männer – mit dem Status Quo noch nicht zufrieden. Deshalb stoßen wir aus allen möglichen Anlässen Debatten an.
Und dabei kann „Ich bin kein Sexist“ kein sinnvolles Argument sein. Oder anders: Wer dieses Argument vorbringt, beweist dadurch nur, dass er eben gerade nicht daran interessiert ist, das Verhältnis von Frauen und Männern zu verbessern. Sondern dass er glaubt, wenn ihm nur kein Sexismus nachgewiesen werden kann, habe er ein Recht darauf, mit „Genderthemen“ in Ruhe gelassen zu werden.
Zu sagen „Ich bin kein Sexist“ ist also ein Zeichen von Ignoranz. Es gibt keinen Grund, sich darauf was einzubilden.
PS: Ähnliches gilt auch für andere Nonsens-Aussagen wie „Ich bin keine Rassistin“ oder „Ich bin kein Nazi“.
PPS: Wenn mir das Argument „Ich bin kein Sexist“ begegnet, verzichte ich inzwischen darauf, auf diese Vorlage einzugehen und etwa zu argumentieren, warum XY eventuell doch ein Sexist ist. Ich erwidere dann einfach: „Das wäre ja auch noch schöner.“

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