Gerade lese ich diese Geschichte in der FAZ und raufe mir die Haare: Eine Reporterin hat sich in für Kinder konzipierten Chats und Foren als Mädchen ausgegeben und war ausnahmslos nach wenigen Minuten mit sexuellen Belästigungen und Übergriffen konfrontiert. Was kann man dagegen machen? Na klar, das Internet kontrollieren, Vorratsdatenspeicherung, trallala. Schuld daran, dass man den Bösewichten nicht beikommen kann, sind die Internetaktivisten, die allen, die da etwas unternehmen möchten, gleich mit einem Shitstorm drohen.
Kein Wort hingegen darüber, was für eine Kultur und Gesellschaft das ist, die massenweise Leute (Männer) hervorbringt, die ihre Freiheit damit verbringen, Kinder sexuell zu belästigen. Kein Wort darüber, dass es sich hier ja ganz offensichtlich nicht um eine winzige Gruppe von Einzeltätern handelt, sondern um ein verbreitetes Phänomen, das eingebettet ist in eine Kultur, in der Sexualität mit Macht verwoben ist, in der Frauen überall auf Plakaten und im Fernsehen als Objekte sexueller Männerphantasien dargestellt werden. Nicht das Internet, sondern diese Kultur ist das Problem.
Ich habe grade keine Zeit, das ausführlicher zu verbloggen. Aber was hier mehr hilft als Versuche, diese angeblichen Einzeltäter durch eine Kontrolle des Internets aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen, was ohnehin nicht besonders aussichtsreich ist, ist ein realistischer Umgang mit dieser Situation:
Wir müssen benennen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die leider sexuelle Belästigung als weithin akzeptiertes Verhalten hervorbringt. Und wir müssen wohl auch schon mit Kindern darüber sprechen und sie darauf vorbereiten, dass sie mit ziemlicher Sicherheit solchen Typen begegnen werden, im Internet auf jeden Fall, aber leider allzu oft auch außerhalb.
Wir müssen zunächst einmal uns selbst eingestehen, dass wir nicht in der Lage sind, unsere Kinder vor sexuellen Belästigungen zu schützen, jedenfalls nicht, solange sexuelle Belästigungen in unserer Kultur so normal und weit verbreitet sind, wie es derzeit eben der Fall ist. Zu behaupten, mit ein bisschen Vorratsdatenspeicherei würden wir das schon in den Griff kriegen, ist hingegen zynisch.
Wir werden das nicht in den Griff kriegen, solange sich unsere gesellschaftliche Mentalität nicht ändert, solange nicht sexuelle Belästigung überall und in allen Bereichen des Lebens ganz klar als inakzeptables Verhalten geächtet und unterbunden wird. Und, leider, wird das realistischerweise wohl noch eine ganze Weile dauern.
Solange es ist, wie es ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Gefahr offen auch mit Kindern zu besprechen. Damit sie wissen, was sie in solchen Fällen tun können: Diese Belästigungen Erwachsenen zeigen, mit anderen darüber reden, die Typen blockieren, sich auf keinerlei Konversation einlassen.
Wichtig ist, dass die Kinder nicht glauben, dass das etwas ist, was nur ihnen passiert und niemandem sonst, sondern dass sie wissen, dass das leider nun einmal ganz weit verbreitet ist und nicht auf sie persönlich zielt. Wir müssen mit ihnen üben, wie man auf sexuelle Belästigung reagieren kann, wir müssen sie aufklären, damit sie nicht an sich selbst zweifeln, wenn ihnen so etwas begegnet, und wir müssen eine Atmosphäre schaffen, die sie souverän genug macht, die Situation zu durchschauen und sich davor zu schützen.
Das gilt übrigens bei sexueller Anmache generell, im Internet genauso wie anderswo.

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