
Der dritte Band von Georg Seeßlens Reihe „Sex-Fantasien in der Hightech-Welt“ liegt noch ungelesen auf meinem Stapel, da kommt schon die nächste Serie von Büchern mit Analysen zur Popkultur. Der Autor, dessen Blog den schönsten aller Blogtitel hat und dem man hier auf dem Sofa von Elke Brüns beim druckreifen Sprechen von Schachtelsätzen zuschauen kann, hat sich diesmal dem „Dritten Reich“ gewidmet und untersucht, wie der Faschismus mit der populären Kultur verworben war, vorher, mittendrin und vor allem auch nachher noch, in den fünfziger und sechziger Jahren.
Dabei geht es ausführlich um Filme, um Comics, um Fortsetzungsromane. Interessant finde ich Seeßlens Grundthese, die letztlich den Faschismus als Konsequenz eines vergangenen Patriarchats interpretiert, an dessen Stelle dessen die pure Inszenierung des Führertums tritt:
Der Führer ist so etwas wie eine kollektive Projektion des Königsmordes, der den gespenstischen Meta-König kürt, in dem alles Böse der Macht zu sich kommen muss. Die faschistische Revolte hat die Doppelfunktion der Macht, ihre materielle Unterdrückung von Untertanen und Opfern und ihre metaphysische Verpflichtung, ihr Beschützendes und Göttliches, zugunsten der vollkommen eindeutigen Inszenierung abgeschafft. Aus dem Widersprüchlichen der „väterlichen“ Autorität ist das eindeutig Böse seines Wesens getreten, mit dem sich freilich seine Untertanen vollständig identifizieren dürfen.
So ist der faschistische Führer zunächst stets der Mann, der den Vater umgebracht oder verjagt und die Mutter zum asketisch-lustvollen Kniefall gebracht hat; … nicht einer, der alle Herrschafts- und Erlösungsmythen in sich vereinigt, sondern einer, der alle Repräsentanten von Herrschafts- und Erlösungsmythen ermorden ließ, um sie als leere Formen ins Maßlose zu steigern. … Er ermordet alles, was Nicht-Macht ist. (S. 18f)
Diese Grundidee wird dann durch die verschiedenen Genres der Popkultur hindurch entwickelt. Leni Riefenstahl zum Beispiel hat genau dieses Verhältnis zwischen „Führer und Volk“ mit der Kamera eingefangen, zum Beispiel in „Triumph des Willens“, ihrem Film über den Nürnberger Reichsparteitag von 1935:
Zwischen Totale (die Masse) und Nahaufnahme (der Repräsentant) gibt es keine Vermittlung, sondern nur den Sprung; keine Beziehung, sondern nur die Verwandlung wird akzeptiert. (S. 104)
Es ist diese Identifizierung mit dem „Einen“, die Auslöschung des Pluralität (der Nicht-Macht also), die eine der Grundlagen für den verschwurbelten Umgang mit den Verbrechen des Faschismus auch nach 1945 ausmacht: Das Zusammenwirken zwischen Identifizierung (der Massen mit dem Führer) und Repräsentanz (der Führer IST das Volk) unterwirft einerseits die Einzelnen mit ihrer Individualität, garantiert ihnen aber gleichzeitig auch Anteil an der Größe und Überlegenheit, die immer durch Abgrenzung von „den anderen“ erreicht wird.
Dieses System der absoluten Identifizierung/Repräsentanz wurde im Nationalsozialismus sicher auf die Spitze getrieben, aber ich denke, dass es nicht spezifisch für diesen ist. Das Thema beschäftigt mich derzeit auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel haben wir auch in der letzten Folge von „Besondere Umstände“, dem Podcast, den ich zusammen mit Benni Bärmann mache, ausführlich über den Unterschied zwischen Repräsentanz und Herrschaft gesprochen – am Beispiel vom Papst nämlich.
Darin stelle ich die steile These auf, dass das Papsttum die älteste institutionalisierte Form dieses „Einer spricht an Stelle der Vielen“ sei, die ihren Eingang auch in die Ideen des Parlamentarismus, der patriarchalen Familie und so weiter gefunden hat. Und es scheint mir sehr plausibel zu sein, dass in einer Kultur, die sich so an den Gedanken der Repräsentation als gesellschaftliche Organsiationsform gewöhnt hat – und also verlernt, wirklichen Pluralismus auszuhalten und die Zumutung der Anwesenheit von Fremden, von Anderen – so etwas wie Hitler herauskommt, wenn die Konflikte zwischen „Papa“ und „Volk“ aufbrechen. Wenn sich die Einheit nicht mehr behaupten lässt (so wie es mit den Krisen am Anfang des 20. Jahrhunderts offensichtlich wurde), dann entsteht eine Leere. Und diese Leere füllt dann ein Führer, der nicht mehr herrscht, sondern Identifikation verlangt und Auslöschung des „Anderen“ befiehlt.
Interessant auch, wie diese Denkfigur dann in populärer Literatur – etwa Abenteueromanen – immer wieder inszeniert wurde.
Der Held hat durch eine schurkischen, dämonischen Mann und seine Leute das elterliche Erbe verloren und muss nun umherziehen, schließlich das Land schöner und größer als je zuvor wieder errichten. Unschwer zu erkennen ist darin das „nationale Trauma“, Verlust und Wiedererrichtung des Reiches, Vernichtung des Usurpators, der wahlweise Jude, Demokrat oder Bolschewik ist. … Aber vielleicht steckt ja in dieser manischen Wiederholung vom schicksalhaften Tod des Vaters und der verbesserten Rekonstruktion des Reiches noch einmal jene Mythologie von Schuld und Schuldabwehr, die im Nebel der ursprünglichen Faschisierung zu finden war. (S. 181f)
Ich bin jedenfalls gespannt auf die zwei weiteren Bände der Reihe, die noch folgen.
Georg Seeßlen: Das zweite Leben des „Dritten Reichs“. (Post)nazismus und populäre Kultur. Teil 1. Bertz und Fischer, Berlin 2013, 9,90 Euro.

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