Manche Themen verfolgt man ja nur so nebenbei, und dabei kann man dann schonmal was falsch verstehen. Mir ging es so bei der Änderung des Personenstandsrechts, zu dem der Bundestag Ende Januar eine Änderung beschlossen hat, die ich zunächst eigentlich ganz gut fand, die aber wohl doch eher schlecht ist, wie ich jetzt einem Artikel von Gabriele Bischoff aus der aktuellen Ausgabe von Wir Frauen entnahm. Weil ich vermute, dass das anderen vielleicht auch so gegangen ist, verblogge ich das hier mal schnell.
In diesem Gesetz wurde die Möglichkeit eingeführt, bei intersexuellen Kindern, also solchen, die ohne eindeutig männliche oder weibliche Geschlechtsmerkmale geboren werden, auf einen Geschlechtseintrag zu verzichten. War es bis dato zwingend, Kinder nach der Geburt entweder als weiblich oder männlich einzusortieren, so kann dies jetzt offen bleiben. Klingt ja erstmal ganz gut.
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org hat nun aber darauf hingewiesen, dass das Gesetz nicht als optionale Kann-Bestimmung, sondern als obligatorische Muss-Bestimmung formuliert ist. Der neue Paragraf 22 des Personenstandsrechts lautet:
Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.
Das Problematische daran ist, dass nun, wenn die Ärzte und Ärztinnen befinden, das Geschlecht sei nicht eindeutig*, die Eltern keine Möglichkeit haben, dennoch ihr Kind als weiblich oder männlich eintragen zu lassen. Zwischengeschlecht.org befürchtet, dass dadurch der Druck, eine geschlechtsvereindeutigende Operation vornehmen zu lassen, steigt – denn schließlich sind geschlechtlich nicht eindeutig zugeordnete Menschen noch längst nicht gesellschaftlich akzeptiert. Viele Eltern werden sich damit überfordert sehen, ein solches Kind ins Leben zu begleiten und sich (und noch mehr das Kind selbst) den entsprechenden Irritationen oder sogar Anfeindungen der Umwelt auszusetzen.
So wie es jetzt formuliert ist, erzwingt das Gesetz ein Zwangsouting intersexueller Kinder. Oft ist es aber besser, das Kind auch bei geschlechtlich uneindeutigen Körpermerkmalen sozusagen vorläufig einem Geschlecht zuzuordnen, dabei aber offen für die individuelle Entwicklung des Kindes zu sein und eventuell später das Geschlecht zu wechseln bzw. diese Entscheidung dem Kind, wenn es größer ist, selbst zu überlassen.
Gerade in Bezug auf die Hauptforderung der Betroffenenverbände, dass nämlich Babies nicht an den Genitalien operiert werden sollten, wenn das medizinisch nicht notwendig ist, wirkt das neue Gesetz in der Praxis höchstwahrscheinlich kontraproduktiv. Denn trotz aller Kritik daran ist das die gängige Praxis. Nach Angaben von Zwischengeschlecht.org werden nach wie vor 90 Prozent aller betroffenen Babies einer solchen Operation unterzogen, um ein eindeutiges Geschlecht kosmetisch „herzustellen“, obwohl viele Überlebende berichten, dass sie ein Leben lang unter den Folgen leiden. Und genau dies wird durch das neue Gesetz verschärft.
*PS: Über Twitter wies mich grade jemand darauf hin, dass manche Intersexuelle sich durchaus als „eindeutig geschlechtlich bestimmt“ verstehen, nämlich als „eindeutig intersexuell“.

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