Gute Zeiten, schlechte Zeiten und Social Media

Wanderschuhe
Da war der Fuß noch nicht verknackst.

Eine häufige Kritik an Social Media und vor allem an Facebook ist, dass die Menschen dort vor allem ihre positiven Seiten präsentieren würden, sich selbst in ein gutes Licht rücken, und dass das zu Neid bei den anderen Nutzer_innen führen würde. Irgendwas an dieser Darstellung hat mich schon immer gestört, aber ich konnte es nicht recht fassen. Jetzt habe ich aber eine Idee.

Vergangene Woche war ich Wandern im Elsass und am Freitag knickte ich dabei um und verstauchte mir leicht den Knöchel. Das postete ich auf meiner Facebook-Pinnwand, wobei tatsächlich auch sacht leise im Hinterkopf die Mahnung pochte: Schreib doch nicht immer die tollen Sachen dahin, die du machst, sondern auch mal was Negatives.

Der Post bescherte mir kaum Likes (wem sollte es denn auch gefallen, dass ich mir den Knöchel verknackse), aber ein paar besorgte Mails und Ratschläge, was nun zu tun sei. Und das gab mir zu denken: Wenn Aufmerksamkeit das rare Gut im Internet ist, wieso habe ich die Aufmerksamkeit meiner Kontakte mit meinem popeligen verknacksten Knöchel in Anspruch genommen? So sehr, dass manche sich sogar Sorgen um mich machten? Ist Facebook für so was ein sinnvolles Medium?

Darüber fiel mir auf, dass ich eigentlich auch nicht so gerne „negative“ Postings von anderen lese, und zwar genau aus dem Grund, dass ich mir dann überlegen muss, ob und was ich eventuell darauf antworte. Denn auch wenn es sich bei Social-Media-Plattformen nicht um Medien für ausschließlich enge Freund_innen handelt, sondern eher um die Organisation von „schwachen Kontakten“, so handelt es sich aber doch letztlich um Beziehungen.

Es ist also ein Unterschied, ob ich in der Zeitung lese, dass sich irgend eine Promi beim Wandern den Knöchel verknackst hat, oder ob ich das bei Facebook von einer alten Schulfreundin, einem Arbeitskollegen oder auch nur von jemandem lese, mit dem ich schon regelmäßig in Kommentarspalten unserer Blogs diskutiert habe. Bei der Promi in der Zeitung sind keinerlei Beziehungen involviert, ich kann ihr Unglück voyeuristisch zur Kenntnis nehmen, vielleicht beruhigt es sogar meinen Neid darauf, dass sie zu den Schönen und Reichen gehört, denn immerhin verknackst sie sich ja auch den Knöchel.

Eine solche Haltung kann ich aber nicht Leuten gegenüber einnehmen, die ich persönlich „kenne“, auch wenn das Kennen nur sehr lose und sporadisch sein mag. Andererseits wäre ich aber auch emotional überlastet, wenn ich die verknacksten Knöchel all meiner Facebook- und Twitter-Kontakte auch nur zur Kenntnis nehmen wollte – von ihren wirklich ernsthaften Problemen ganz zu schweigen.

Und deshalb glaube ich, dass die intuitive Praxis der Nutzer_innen von Sozialen Medien, dort eher die positiven Aspekte ihres Lebens zu veröffentlichen, aber nicht die negativen, eine sehr sinnvolle ist: Sie vermeiden damit, ihrer Timeline zuviel „Beziehungskapazitäten“ abzuverlangen. Natürlich kommt dabei unterm Strich ein geschöntes Gesamtbild ihrer Existenz heraus, aber warum sollte das ein Problem sein?

Ja, der Neid, den das angeblich bei den anderen auslöst. Das Argument überzeugt mich aber nicht wirklich. Denn erstens gleicht es sich unterm Strich wieder aus (wenn ich selber nur die positiven Aspekte poste, dann gehe ich doch wohl davon aus, dass die anderen das eher auch so handhaben). Und zweitens ist Neid nur unter einer bestimmten kulturellen Perspektive etwas Schlechtes. Man kann ihn auch als Ausdruck eines Begehrens sehen, also als eine produktive Kraft: Wenn ich bei einer anderen etwas sehe, das ich auch gerne hätte, dann hilft mir das selbst bei der Orientierung, ich komme dadurch unter Umständen auf Ideen, kann mich ermutigt fühlen oder inspiriert. (Über das Verhältnis von Neid und Begehren habe ich früher schonmal was geschrieben.)

Positive Postings über eigene Erlebnisse und Erfahrungen haben, so meine These, in Sozialen Medien eine produktive Energie, sie machen eher glücklich als depressiv, und zwar nicht nur diejenigen, die sie posten, sondern auch diejenigen, die sie lesen. Und zwar auch dann, wenn der erste Impuls der Lesenden vielleicht „Neid“ sein mag.

Postings über persönliche Unglücke oder Probleme hingegen sind im Kontext von Sozialen Medien eher unproduktiv, sie verbreiten sozusagen „negative vibrations“. Sie setzen die Lesenden unter einen gewissen Druck, sich zu überlegen, ob sie nun reagieren sollen und wie: Beileid aussprechen, Hilfe anbieten, whatever. Sie erfordern also „Beziehungsarbeit“, und die wird zwar häufig unterschätzt, ist aber anstrengend und kräftezehrend.

Von daher machen wir es, entgegen allen Unkenrufen, genau richtig, wenn wir in Sozialen Medien ein geschöntes Bild unserer eigenen Existenz malen und über Probleme, Sorgen, Unglücke und so weiter nur in Ausnahmefällen etwas posten. Hier ist es besser, sich direkt an denjenigen Kreis von Freund_innen zu wenden, von denen man sich wirklich Hilfe oder Unterstützung erhofft oder erbittet, aber sie nicht einfach unadressiert zu veröffentlichen.

Please discuss.

PS: Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel.

PPS: Anders verhält es sich mit „politischen“ Problem-Postings, also mit Nachrichten und Hinweisen auf Unglücke oder Problematisches, das nicht mich persönlich betrifft, sondern eine politische, gesellschaftliche Dimension hat. Der Unterschied liegt eben genau darin, dass solche Posts Informationscharakter haben und nicht eine Reaktion auf der Beziehungsebene erfordern.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

30 Gedanken zu “Gute Zeiten, schlechte Zeiten und Social Media

  1. Ich stimme nicht zu. Die sozialen Netzwerke beanspruchen unser ganzes Leben begleiten zu wollen. Die rein positive Darstellung des Lebens ist einfach nicht „das Leben“. Und es gibt zuviel Gefahren, dass die Menschen in meinem Netzwerk alles für bahre Münze nehmen und glauben, ihr Leben müsste auch so sein. Es ist ähnlich wie Pornos für junge Menschen: „So soll Sex sein?“, ist es dann aber nicht in der eigenen Erfahrung. Falsche Erwartungen und Aspekte werden propagiert. Dieses Benehmen grenzt Krankheit, Tod oder einfach nur Kummer noch weiter aus dem gesellschaftlichn Leben aus und stigmatisieren es noch mehr. Seit dem einführen von „Gruppen“ oder „Kreisen“ ist es auch nicht mehr notwendig. Der Alltag ist manchmal zu schnell, wie wir alle wissen – da ist ein Knöchelbruch schnell an die „enge Freunde Gruppe“ gepostet, und für die Freunde, die man nicht demnächst sieht, ist es eine Gelegenheit für die „get well soon“ (e)-Karte. Jedes reale soziale Netzerk lebt von seiner Empathie, seinem „Commitment“. Das unterstelle ich auch den eNetzwerken. Probleme und Sorgen außer acht zu lassen, bei den Leuten die es angeht, wäre nur ein Schönwetter-Gute-Laune-Netzwerk. Das ist nichts an dem ich persönlich, außer aus gesellschaftlicher Verpflichtung, teilhaben will, und daher Zeitverschwendung. Es geht nicht nur im die Verarbeitung und Bereitstellung von Informationen. Es geht um die Ausdehnung sozialer Beziehungen weltweit in ein eNetwork. Dieses ohne Mitgefühl und Sorge für Andere ist technokratische Gefühlsarmut, und bedeutet noch mehr soziale Kälte.

    Like

  2. Ich bin vollkommen einverstanden, würde gern eine weiterführende Frage stellen: Warum präsentieren so viele Leute von sich selbst ein übertrieben positives, von der Welt aber ein (meiner Wahrnehmung nach) übertrieben negatives Bild? Ich meine jetzt nicht, dass ich auf Twitter etc. nur „positive News“ lesen will. Aber könnte es vielleicht sein, dass zum positiven Selbstbild vieler Menschen gehört, die Welt möglichst clever so zu präsentieren, dass am Schluss eine Art Katastrophen-Castingshow rauskommt? Und Sieger sind dabei natürlich die Verschwörungstheoretiker, denn die wissen ja sogar schon, wie fürchterlich die Welt in 5/20/50/100 Jahren aussehen wird weil etc. etc.

    Like

  3. @Sven: „Die sozialen Netzwerke beanspruchen unser ganzes Leben begleiten zu wollen.“ Echt? Wo hast du das denn gelesen? Das heisst ja nun im Klartext, dass PRISM „unser ganze Leben begleitet“, oder?

    Like

  4. @ inabea: Naja sie beanspruchen es, wenn Du ihre Eigenwerbung ansiehst. Und, zumindest in meinem sozialen Netzwerk, leben es auch viele so. Mir ist #prism in diesem Diskussionsansatz auch egal und liegt sowas von neben der Sache zum eigentlichen Posting. Wenn das Dein Ansatz ist, muss Deine Meinung natülich lauten, dass nur die Dinge gepostet werden dürfen, die auch Dein Nachbar von Dir mitbekommen darf, nichteinmal die Dinge, die er beim Grillen auf der Terasse mitgehört habn könnte.

    Like

  5. VOLLE ZUSTIMMUNG politische ungereimtheiten, wie das snowden oder erwin pelzig tun, müssen aufgedeckt werden, persönlich negative erlebnisse können den schwächen, der dadurch persönlich betroffen wird, also der mitleidet, weil er nur an seine eigene ungelöste situation erinnert wird. NEID kann jedoch auch widerstand hervorrufen, weil er trotz der positiven darstellung seiner situation nicht entfliehen kann. so ist zwar der neid der motor für kapitalistisches system, was uns in konkurrenz halten kann, doch er liefert nicht die lösung zu mehr gemeinsamkeit. wenn ich einem menschen liebe, und sehe was er positives bewirkt, so ist da kein neid, der mich anregt sein verhalten anzunehmen, sondern emotionale intelligenz. begehrlichkeit schafft keinen frieden, wenn ich es nicht erreichen kann, sondern krieg, wo ich es mir einfach erobern möchte, und somit wäre das nicht sozial. doch wie kann ich das für einen anderen behaupten?

    Like

  6. Interessante Gedanken. Stimme auch im Grundsatz zu. Intuitiv poste ich auch nichts Negtives auf FB. Stoßseufzer gibt es eher auf Twitter.
    Ich beobachte aber auch, dass viele Menschen auf FB negatives posten und dafür Aufmerksamkeit bekommen. Insbesondere bei jungen Müttern mit kleinen Kindern stelle ich das fest. Kind ist krank, fünfzehn Streicheleiheiten kommen in Kürze zusammen. Ich vermute, dass so die „Einsamkeit“ durchbrochen und Solidartät geübt wird, Es könnte also sein, dass es sich hier um millieu- und alterspszifische Eigenarten geht.
    P.S. Ich hab´s gar nicht gesehen, dein FB-Knöchel-Posting…

    Like

  7. @Sven – Will – Das „ganze Leben“ kann sowieso nirgendwo abgebildet werden, alles was wir kommunizieren und wahrnehmen ist nur eine Auswahl. Ja, es geht um die Ausweitung sozialer Beziehungen, aber dann ist die Frage der Menge eben auch eine der Kapazitäten. Wenn ich zehn oder zwanzig Freund_innen habe, kann ich mich um den verstauchten Knöchel jeder einzelnen angemessen kümmern, bei fünfhunderten geht das aber schlicht nicht mehr. Und das hat nichts mit Gefühlsarmut zu tun. Wir müssen da ein Zwischending finden, meine ich.

    Like

  8. @Sven: ich gehe tatsächlich davon aus, dass in Socialmedia alles öffentlich ist. Das spricht natürlich nicht dagegen, auch mal was Nicht-so-Schönes über sich selbst zu schreiben, im Gegenteil. Ja sicher schreibe ich „nur“, was auch meine Nachbarin wissen darf. Einige meiner Nachbarinnen sind nämlich auch meine Facebook-Freundinnen, und die anderen sind auch nett. Für mich ist Socialmedia je länger je mehr eine experimentelle Kunstform, die durchaus „das Leben“ darstellt, aber nie „das ganze Leben“. @Antje sagte es bereits: „Das ganze leben“ ist so komplex, dass es nirgends abgebildet werden kann, ausser vielleicht bei GOTT 🙂 Der Witz ist, dass ich es bin, die wählt, was dargestellt wird. Womit wir wieder beim Thema wären.

    Like

  9. Mit „ganzem Leben“ meine ich eher, Ereignisse die man tatsächlich mit andren TEILEN will, nicht die z.B. mitbekommen könnten. Geschmäcker sind da ja unterschiedlich, aber Statusmeldungen über Stuhlgang oder vollzogenen Geschlechtsverkehr sind mir dann auch eher unangenehm. Frau Schrupp ich denke das Zwischending ist Toleranz. Es poste etwas Negatives und ein „Freund“ reagiert nicht? Macht nix, anstatt von „ist dem ja egal“. Sie unterstelle mal ganz böse, dass Sie ihr „ungutes Gefühl“ bei allem immer reageren zu müssen eher an ihrer Einstellung liegt, ihrer eigenen Erwartugshaltung an sich, dass ein „Freund“ reagieren muss. Nein muss er nicht. Ein Freund muss reagieren wenn ich ihn um Hilfe bitte, dann muss er da sein. Aber das liegt sicher an der Definiton von Freundschaft. Ich möchte z.B. wissen, wenn es bei meinen Freunden und auch Bekannten mal wieder nicht so rund läuft. Dann habe ich zumindest die Chance, die mangelnde Ressource Zeit neu zu priorisieren. Nur so halte ich auch einen etwas größeren Freundeskreis über ganz D-Land und weltweit verteilt zu korrdieren und zu erhalten. Wobei ich 500 Freunde für nicht realistisch halte.

    Meines Erachtens ist der falsche Ansatz, davon auszugehen, dass man Andere mit etwas Negativem belästigt und nicht bereichert oder teilhaben lässt.

    Like

  10. @alexschnapper – Ja, sowas kann gut tun, Stichwort #flausch. Allerdings gibt es da manchmal auch unerwünschte Effekte, über die im Internet auch häufig geklagt wird, nämlich wenn man dann gutgemeinten aber danebenliegende Ratschlägen bekommt. Es ist jedenfalls ein Thema, das wir weiter beobachten sollten.

    Like

  11. Dass es bei Facebook nur die Funktion „Gefällt mir“ gibt um Zustimmung zu äußern finde ich eh ungut, ist aber vielleicht dem schlechten Übersetzen geschuldet könnte ich mir vorstellen. Dann wenn einer schreibt, dass zum Beipiel das Flüchtlingscamp in München gewaltsam geräumt wurde und er das für eine Sauerei hält, dann stimme ich zu, aber die Vorgänge gefallen mir absolut gar nicht!

    Like

  12. Ich lerne gerade noch „Social media“. Und mache viele Fehler. Z.b. habe ich gepostet, dass ich grade traurig bin. Fb ist nicht Twitter. Aber ich vermisse bei FB oft die Persönlichkeit. Das Private. Angeblich sieht man das ja da. Ich sehe nur schöne Fotos, Meldungen, was die Leute grade machen. Immer was Tolles. Schöne neue Welt. Interessiert mich jetzt nicht so.
    Ist aber vielleicht die Funktion von FB. Oberflächlich in Kontakt bleiben. Das muss ich nur verstehen. Ich habe nichts wirklich dagegen zu sagen oder einzuwenden.
    Also, ich denke, ich muss das lernen. Nicht die anderen.
    Aber ich mag die Blogs, auf denen die Leute privat Dinge reflektierten und erzählen. Ich mag Twitter, da kann man auch mal sagen, dass man schlecht drauf ist…
    Offensichtlich ist FB nicht mein optimales Social Medium.

    Like

  13. @Christl Klein – Das kommt ja auch immer darauf an, wie man die Tools nutzt, da gibt es ja keine allgemeinen Regeln. Manche haben bei Facebook zehn Kontakte, andere tausend, mir ging es nur um diese pauschale Kritik an der allzu positiven Selbstdarstellung, und ich meine eben, es ist durchaus sinnvoll, sich bei der Schilderung von persönlichen Problemen das genauer zu überlegen als beim Posten von netten Katzenfotos. Privat Dinge reflektieren und erzählen ist aber nochmal was anderes, das finde ich auch interessanter als Leute, die nur politische Propaganda posten.

    Like

  14. Ein wirklich schöner Blogbeitrag, Antje Schrupp!

    Und so wahr. Allerdings gibt es Situationen (und die sollten nicht häufig vorkommen, sonst betäubt man sein Netzwerk und überfordert es), da ist es völlig ok, wenn man ein Notsignal schießt und noch nicht weiß, wer der Adressat und helfen kann.

    Manchmal sind es eben nicht diejenigen, die ganz nah um einen herum sind (und doch so abgelenkt durch eigene Sorgen) sondern ganz unerwartet Menschen, die man ganz sicher nicht direkt angesprochen hätte, einem aber trotzdem eine wertvolle Stütze sein können.

    Allerdings ist es unabdingbar, sich mit den Privatsphäreeinstellungen (z.B. Listen) zu beschäftigen, mit denen man feintunen kann, wer was liest.

    Like

  15. Aber zeigt man denn wirklich eine negative Seite von sich, wenn man über einen verknacksten Knöchel schreibt? Ich glaube, dass in Social Media so wenig Negatives über die eigene Person vorkommt, weil es um Selbstinszenierungen geht. Pech gehabt, das geht immer. Aber wer schreibt, wenn es um die Inszenierung seines Selbst geht, schon gerne über wirkliche Fehler? Das Faszinierende ist ja, dass durch die Auswahl der Postings ein ( wünschenswertes) Bild entsteht. Manchmal kann das auch etwas Negatives enthalten, der ewige Looser wäre ja auch eine Inszenierung, aber sicher die seltenere.
    Ich habe übrigens einmal genau das Gegenteil gelesen: Menschen regen sich in Social Media eher über Schlechtes auf, als dass sie sich über Positives freuen. Das bezieht sich wohl eher auf Themen, die nichts mit der eigenen Persönlichkeit zu tun haben.
    Ich selbst unterscheide weniger zwischen negativ und positiv, eher zwischen persönlich und privat. Letzteres hat für mich in Social Media Kanälen eher nichts zu suchen. Denn das würde die Masse der Freunde überfordern – bzw. es würde mich überfordern, weil ich das Private damit nicht mehr in der Hand hätte.

    Like

  16. Zunächst: Ich bin mal wieder über den Begriff „Begehren“ gestolpert, @Antje, und habe auf ABC des guten Lebens über eure Definition gelesen. Ich kann mich dem nicht so ohne weiteres anschließen. Wie ich woanders schon einmal schrieb, ist der Begriff mit „Begierde“ und „Gier“ eng verwandt. Diese Begriffe sind für mich ausgesprochen negativ konnotiert, denn Gier ist für mich eine Eigenschaft, die zu Zerstörung führt, weil sie unersättlich ist. Ich kann darin also keine positive treibende Kraft sehen wie ihr es hier tut:

    http://abcdesgutenlebens.wordpress.com/category/begehren/

    Die positive treibende Kraft, die ihr dort meint, würde ich mit Sehnsucht oder Leidenschaft oder inneren Ruf oder Berufung oder Begeisterung umschreiben (nach Definition eines Autorenpaares (muss ich suchen) gibt es drei Triebe: Überlebenstrieb, Ruhetrieb und Begeisterungstrieb oder Spieltrieb). Ihr unterscheidet zum Bedürfnis, das die Kraft zum Überleben liefert und das befriedigt werden kann, nämlich dann, wenn es genug von dem gibt, was den Mangel beseitigt (Überlebenstrieb). Begehren aber würde nach dem Mehr, nach der „Fülle“ verlangen. Das tut der Begeisterungstrieb, doch wenn er einem Mangel enpringt, schlägt er in Gier um. Aber da die Gier unersättlich ist, wird sie niemals genug bekommen (z. B. von Geld oder Macht oder Pommes oder Eierlikör oder Glücksspiel), man kann sie nicht befriedigen. Deshalb ist Gier eine ausgeprochen zerstörerische Kraft, die mit gutem Leben gar nichts zu tun hat. Folglich auch nicht das Begehren. Die Gier auf irgend etwas hat auch oft auch gar nichts mit dem Mangel, unter dem der Mensch leidet, zu tun, siehe alle Suchtproblematiken.

    Zu den Darstellungen in den verschiedenen Social Media: Ich handhabe Facebook ganz anders als z. B. Twitter. Mein Facebookprofil ist nicht öffentlich (auch wenn Ina der Meinung ist, dass alles auf Facebook öffentlich ist, dennoch kann sie meine Postings nun nicht mehr lesen, nachdem sie mich entfreundet hat), und ich habe dort mit ganz anderen Menschen Kontakt als z. B. auf Twitter. Auf Facebook befreunde ich mich in der Regel mit Menschen, die ich persönlich kennen gelernt habe, obwohl ich da auch nicht ganz konsequent bin. Es kommen auch Leute hinzu, die mit Menschen befreundet sind, die ich mag und die mir eine Freundschaftsanfrage schicken. Kann auch schiefgehen, wie das Beispiel mit Ina zeigt.

    Auf Twitter bin ich gnadenlos öffentlich (bin oft sogar über mich selbst erschrocken). Manchmal teile ich das, was ich auf Twitter teile, auch auf Facebook, aber lange nicht alles. Das macht Antje z. B. ganz anders: Sehe ich einen Tweet von ihr, sehe ich ihn auch als Posting auf Facebook. Auf Twitter zwitschere ich überwiegend über andere Themen als auf Facebook. Facebook empfinde ich sowohl aufgrund meiner Einstellungen (nur Freunde können meine Postings sehen) als auch der Leute, mit denen ich befreundet bin, als viel privater. Trotz aller Öffentlichkeit, die letztendlich, da bin ich mit Ina auch wieder konform, ohnehin in allen Social-Media-Plattformen herrscht. Doch möchte ich mit Followern auf Twitter nichts zu tun haben, blocke ich sie.

    Achso, und zu den Positiv-Darstellungen: Auf Twitter teile ich z. B. mal mit, dass mich der Laubbläser draußen nervt. Dann kriege ich Beileidsbekundungen von Leidensgenoss_innen 😉

    Auf Facebook poste ich meine Aufnahmen und Bilder und kommentiere bei meinen Freunden. Dient mir aber auch sehr oft als direkte Kommunikationsplattform mit meinen Musikerkolleg_innen. Nur so war es z.B. möglich, einen Tag vor der Aufführung eines Weihnachtsoratoriums, in dem ich als Sopran engagiert war, was aber wegen einer akuten Halsentzündung absolut nicht ging, eine Einspringerin zu finden. Heute planen wir zusammen ein Projekt, das wir gemeinsam aufführen wollen. Social Media ist für mich also keineswegs nur Selbst- und Positivdarstellung, sondern Kontakt (und zwar keineswegs schwachen) zu anderen Menschen und gelebtes Leben.

    Like

  17. Ich glaub, es geht auch – und vielleicht vor allem – um das „wie“ – sowohl beim Posten als auch beim Reagieren. Wir haben mal darüber geredet, dass Social Media sowas wie eine neue Kulturtechnik sind bzw. verlangen. In diesem Licht gesehen, denke ich, dass es darum geht einen spezifischen Umgang, gerade auch mit „Negativem“, Unglück usw. zu entwickeln. Ich finde/fände es auch seltsam, das alles auszusparen, auch weil dann Ereignisse, die ohnehin eher tabuisiert sind (Krankheit, Sterben, Tod, Scheitern …) auch hier „draussen“ bleiben. Vielleicht und bestenfalls ergeben sich ja diesbezüglich dann neue Möglichkeiten des Umgangs gerade auch mit solchen Themen. Gerade auch, weil – für mich jedenfalls – Social Media Kontakte eine gewisse Leichtigkeit haben. Ich seh da Potential, aber es gilt noch einiges auszuprobieren – und genau dafür würde ich plädieren.

    Like

  18. @Michaela Moser – Ja, das ist eine gute Idee, weiter ausprobieren. Mein Post war ja auch nur eine erste Idee, weil mir diese inzwischen Mainstream gewordene „Analyse“, Facebook wäre schlecht, weil wir uns alle nur geschönt darstellen, suspekt ist. Ich denke wirklich, es geht darum, einen neue Kultur für diesen neuen Zustand zu entwickeln, der nämlich darin besteht, dass wir heute die technische Möglichkeit haben, mit sehr viel mehr Menschen als früher, mit hunderten oder tausenden, auf einer persönlichen Beziehungsebene zu kommunizieren. Da können weder die alten Regeln der „Freundschaft/Bekanntschaft“ gelten, noch die alten Regeln der „unpersönlichen Öffentlichkeit“. Und vermutlich ist das bei negativen/problematischen Themen schwieriger als bei positiven, weshalb die meisten sich damit mehr zurückhalten. Was momenten, wie ich finde, ganz sinnvoll ist, aber vielleicht in der Tat noch nicht das letzte Wort, vielleicht kommen wir da noch weiter.

    @Suedelbien – Das hast du falsch beobachtet, ich poste auf Twitter nämlich auch viel mehr als auf Facebook und oft auch hier und da sehr unterschiedliche Dinge. Bei mir ist es nämlich ganz ähnlich, dass ich bei Facebook mit viel mehr Menschen verbunden bin, die ich auch außerhalb vom Internet kenne. Das liegt aber einfach daran, dass Facebook derzeit das einzige Social Media Tool ist, das von einer breiten Bevölkerung genutzt wird, während man bei Twitter eher nur „Internetprofis“ findet. Also ich weiß nicht, ob es am Tool selber liegt oder einfach daran, dass da unterschiedliche Beziehungsstrukturen drunterliegen.

    Like

  19. @Antje: Das hast du falsch beobachtet […]
    sagen wir so, mir ist es so aufgefallen, aber es ist ja nur meine Wahrnehmung, danke für die Klarstellung 😉

    Zu der unterschiedlichen Nutzung: Die beiden Plattformen sind ja nicht so ohne weiteres miteinander vergleichbar. 140 Zeichen auf Twitter schreckt viele ab, die sich darauf nicht beschränken wollen. Und bestimmt unterliegen sie auch unterschiedlichen Beziehungsstrukturen. Ich war auch eine Zeitlang auf G+ aktiv, bin dort aber ausgestiegen, weil es mir dort zu viele Menschen, hauptsächlich Männer, gibt, die einfach bestimmte Sichtweisen nicht akzeptieren. Deshalb bin ich auch oft angegriffen worden, was mir dann einfach zuviel wurde. Außerdem rümpfen die User dort gern über Facebook die Nase, halten die Nutzer dort für dumm, kindisch, naiv. Das kommt nämlich auch noch hinzu: Bestimmte Plattformen sind bei bestimmten Usern en vogue, andere verpönt.

    Like

  20. Also ich folge bei Twitter vielen, die durchaus sehr offensiv mit negativem umgehen. Ich finde das sehr bereichernd.

    Like

  21. Könnte der geringere Anteil von „Negativ“-Postings nicht auch damit zusammenhängen, dass wir es bei Traurigkeit, Trauer, Leiden, (seelischem) Schmerz – also bei Zuständen, wo es nicht nur um ein sehr konkretes Zipperlein wie einen verknacksten Knöchel, Heuschnupfen, Grippe o.Ä. geht – eben oft mit dem persönlichsten und zugleich privatesten Bereich zu tun haben? Da geht es einerseits ganz stark um die eigene Persönlichkeit, den eigenen Charakter – und andererseits sind oft andere Menschen, und zwar gerade die Nächststehenden involviert. Da haben viele dann doch noch ein gutes Gespür für den Schutz ihrer Privatsphäre.

    Like

  22. „Sie setzen die Lesenden unter einen gewissen Druck, sich zu überlegen, ob sie nun reagieren sollen und wie: Beileid aussprechen, Hilfe anbieten, whatever. Sie erfordern also “Beziehungsarbeit”, und die wird zwar häufig unterschätzt, ist aber anstrengend und kräftezehrend.“

    Ich habe selten erlebt, dass diese Art von Beziehungsarbeit unterschätzt wurde. Meiner Erfahrung nach fühlen sich viele davon überfordert. Da tauchen Fragen auf, die hilflos machen: „Was ist, wenn er gar nicht will, dass ich ihm mein Beileid ausspreche? Wenn ihn das nur noch trauriger macht? Wenn ich selbst dabei anfange, zu weinen? Wenn ich was Falsches sage?“ Wenn ich nicht gelernt habe, trotz dieser Fragen handlungsfähig zu bleiben, ziehe ich mich verunsichert zurück. Lernen kann ich es, indem ich mich mutig solchen Situationen stelle. Sogar die verbreitete Angst, sich selbst emotional zu überfordern, sinkt im Normalfall mit der Erfahrung. Irgendwann kriege ich schon den Dreh raus und weiß, wie ich Anteilnahme zeigen kann, ohne mich zu überlasten. Ich kann mich sozusagen in Anteilnahme trainieren. Aber nur sehr langsam, wenn sich meine Begegnungen vorwiegend an einem Ort abspielen, an dem für persönliches Leid naturgemäß kein Platz ist.

    Like

Datenschutzhinweis: Die Kommentarangaben und die Mailadresse werden an Automattic, USA (die Wordpress-Entwickler) übermittelt. Details hierzu in der Datenschutzerklärung (Link links). Sie können gerne Pseudonyme und anonyme Angaben hinterlassen.