Übermorgen läuft im Kino der Dokumentarfilm „Maidan“ von Sergei Loznitsa an (eine niederländisch-ukrainische Koproduktion), der sich mit den Protesten in Kiew im Winter 2013/2014 beschäftigt, die schließlich zum Sturz des damaligen Präsidenten führten.
Ich habe den Film schon vor einigen Wochen gesehen, und er hat mich ein bisschen ratlos zurückgelassen, was den Stand revolutionärer Bewegungen im 21. Jahrhundert angeht. Dabei ist er interessant gemacht, nämlich so, dass man den Eindruck hat, dabei zu sein. Es gibt keine großartige Dramaturgie oder Kameraführung, sondern die Kamera steht immer für längere Zeit fix an einem Punkt und filmt ab, was vor ihr passiert: Leute, die vorbeilaufen und irgendwelche Dinge tun. Es sind verschiedene Stellen am Maidan-Platz, von denen gefilmt wird, die Bühne natürlich, aber auch Nebenstraßen, Schulen, in denen Aktivist_innen sich versammeln, die Küche, und so weiter. An verschiedenen Tagen über den ganzen Zeitraum der dortigen Proteste.
Ist es ein nationalistischer Propagandafilm oder ein Dokument sozialrevolutionärer Proteste? Das lässt sich erstaunlicherweise nicht so richtig sagen, denn die Symbolik vermischt und überlappt sich. Revolutionsansagen gegen „die da oben“, solidarische Proteste und Blockaden sowie eine Ästhetik, wie man sie auch bei Blockupy sieht, stehen neben strammstehendem Absingen der ukrainischen Nationalhymne (man hört sie im Film satte vier Mal in voller Länge, sie hat übrigens eine schöne Melodie), redenschwingenden Popen und einem Präsidenten in Spe, der auf der Bühne Kinder herzt.
Es gab einen Punkt in dem Film, wo diese Anspannung des „Wie soll ich das denn jetzt finden?“ von mir abfiel, und zwar, als es zum gewalttätigen Aufeinandertreffen zwischen Polizei und Protestierenden kommt und aus den Maidan-Lautsprechern die Aufforderung erfolgt: „Alle Frauen werden gebeten, sich von der Front zurückzuziehen.“ Ja, das machte ich dann mal und sank etwas entspannter in meinen Kinosessel.
Gewissermaßen von außen betrachtend, als eine, die ohnehin nur so halb beteiligt sein kann_soll_will_darf, kam ich zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich einfach keine eindeutige Weise gibt, diesen Film zu lesen: Er ist tatsächlich gleichzeitig ein Lob auf revolutionäre Proteste und eine Karikatur davon. Jedenfalls mit meinen Augen betrachtet ist das so. Ich weiß nicht, ob ich diese revoltierenden Leute, die da zu sehen sind, für ihren Mut und ihre Beharrlichkeit bewundern oder wegen ihrer Lächerlichkeit auslachen soll. Ich weiß nicht, ob eine solche „revolutionäre Dynamik“ mir Hoffnung macht oder Angst.
Letzten Endes weiß ich nicht, ob der Film ironisch gemeint ist oder ernst. Und damit ist er eigentlich sehr typisch für einen Großteil dessen, was heutzutage unter dem Label „Politik“ geschieht. Ob revolutionär oder nicht.
Im Trailer kommt übrigens ganz gut rüber, was ich meine. Interessanterweise haben sie sogar das Zitat mit den Frauen rausgesucht, obwohl es im Film selber nur eine ziemliche Nebensächlichkeit ist. Ich habe aber den Eindruck, es soll im Trailer etwas anderes belegen als bei mir, nämlich nicht die latente Männlichkeit des Geschehens, sondern die wirklich Ernsthaftigkeit der Sache. Das wissen wir ja, nech: So richtig zur Sache gehen kann es erst, wenn die Frauen weg sind. (Ihr könnt ja mal raten, ob ich das jetzt ironisch meine oder nicht.)

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