Angesichts der Tatsache, dass es inzwischen in einigen Krankenhäusern nicht mehr genug Intensivbetten gibt, um alle Menschen, die eines brauchen, zu behandeln, bin ich gestern zufällig auf diesen Text hier gestoßen. Er behandelt die ethische Frage, ob man ein verfügbares Bett eher einem 85-Jährigen oder einer 30-Jährigen Mutter geben soll. Der Autor des Artikels plädiert vehement dafür, dass man hier keine Prioritäten setzen darf, da jedes Leben gleich viel Wert sei (interessant zu lesen auch die verschiedenen Versionen von Triage, also Auswahl, er plädiert, ob es einen Unterschied macht, wann man die Wahl beziehungsweise Entscheidung trifft).
Solche ethischen Dilemmata hatten wir im Philosophiestudium immer als Aufgaben, und ich fand sie damals schon gagagaga und habe mich meistens auch geweigert bei diesen Spielchen mitzumachen. Wir hatten einen überzeugten Utilitaristen als Professor, er hätte vermutlich die entgegengesetzte Position des Autors oben vertreten, nämlich die junge Mutter zu retten.
Ich finde beides problematisch, denn: Es gibt in solchen Situationen keine richtigen Entscheidungen mehr, sondern nur falsche. Es ist falsch, den 85-Jährigen Opa vom Beatmungsgerät abzuhängen, um die 30-Jährige Mutter zu retten. Aber es ist genauso falsch, die 30-Jährige Mutter sterben zu lassen, weil man einen 85-jährigen Opa nicht vom Beatmungsgerät nehmen will.
Das ist nämlich genau das Problem an dieser Art von schein-moralischen Debatten, dass sie den Eindruck erwecken (so wie der Ethiker, der hier interviewt wird), es könnte eine moralisch richtige Entscheidung geben. Das einzig moralisch Richtige wäre es (gewesen), zu verhindern, dass Menschen in solche Entscheidungssituationen kommen, wo sie nur noch das Falsche tun können, anstatt jetzt so Rumzuargumentieren, als ob man da ethisch herauskommen könnte.
Wenn Triage-Situationen häufig vorkommen, und das ist in Deutschland leider in nächster Zeit nicht auszuschließen, wird es sich zwangsläufig dahin entwickeln, dass die Jüngeren/Gesünderen gerettet werden und die Älteren/Kränkeren nicht. Und viele werden sich in diesem Prozess schuldig machen, und sie werden lange daran leiden, wenn sie ein Gewissen haben. Und das kommt auf all das andere Leid dann noch mit oben drauf.
Aber die eigentliche Schuld tragen natürlich die, sechs Wochen vorher keine politischen Maßnahmen ergriffen, keine Masken getragen, kein Homeoffice angeordnet haben und so weiter. Weil es absehbar war, dass am Ende dies eine mögliche und sogar wahrscheinliche Konsequenz ihres Handeln ist.
Die einzige Möglichkeit, moralisch gut zu sein, ist, sich gar nicht erst in eine Situation zu bringen, in der es unmöglich ist, moralisch gut zu bleiben. Das gilt für Gesellschaften ganz genauso wie für Einzelne.

Was meinst du?