Corona mal wieder: Warum ich die nächsten Monate extra vorsichtig sein werde

Hier mal wieder ein kleiner Update zur Corona-Lage, weil wir momentan in einer schwierigen Phase sind und auch unter denen, die nicht schwurbeln und verharmlosen, zurzeit ein paar Irrtümer kursieren.

Es deutet einiges darauf hin, dass es in Deutschland trotz aller Unwägbarkeiten (vor allem bezüglich der Mutationen und der Dauer der Impfungen) weiterhin keine Zero-Covid oder auch No-Covid-Strategie geben wird, sondern so viel wie möglich geöffnet wird, sobald die Intensivstationen wieder etwas mehr Kapazitäten haben.

Das heißt, man will mehr Inzidenzen und Neuinfektionen zulassen und sich bei Maßnahmen eher nach schweren Erkrankungen und freien Intensivbetten richten. Zum Beispiel Hessens Ministerpräsident Bouffier, der die Lockerungen ab März begründet mit: „Die Inzidenzwerte sollen an Bedeutung zur Beurteilung der Lage verlieren, weil Altenheime vor allem durch Impfungen besser geschützt und die Kliniken nicht überlastet sind.“

Was sich jedoch viele nicht klar machen, ist, dass das auf deutsch heißt: Wir lassen dann jetzt halt 50-70-Jährige sterben.

Denn es stimmt: Wenn die über-80-Jährigen geimpft sind, sinkt die Mortalitätsrate. Aber wenn man deshalb dann im gleichen Maße Inzidenzen ansteigen lässt – wenn man also zum Beispiel nicht bei 50 die Reißleine zieht, sondern erst bei 100 oder 200 – dann hat man am Ende trotzdem dieselbe Menge an Toten, nur sind die eben nicht mehr über 80. Sondern jünger.

Im Winter war es so, dass die Auslastung der Krankenhäuser bei ungefähr 20.000 Neuinfektionen am Tag prekär wurde und ungefähr 1000 Menschen am Tag an Covid-19 gestorben sind. Wenn wir davon ausgehen, dass die Sterberate bei 50-70-Jährigen nur ein Fünftel der Sterberate von Über-80-Jährigen beträgt (was so ungefähr die Größenordnung ist), dann bedeutet das, dass wir bei 100.000 Neuinfektionen am Tag auf genauso viele Tote kommen.

Nun sagen manche: Ja, aber von 100.000 Neuinfektionen sind wir doch weit weg, das ist doch unrealistisch. Der Punkt ist nur: bei einem exponentiellen Anstieg eben nicht. So ein Sprung geht sehr schnell, sobald die Dynamik erstmal da ist (behaltet dafür den R-Wert im Auge, sobald der mehr als nur zwei, drei Tage über 1 liegt, ist diese Gefahr groß). Das haben wir ja im vergangenen September gesehen. Ganz abgesehen davon, dass auch, wenn wir nur wieder auf die 20.000 Neuinfektionen kommen, zwar nicht 1000, aber immerhin 200 Menschen am Tag sterben werden. Unter Siebzigjährige.

Ich persönlich werde jedenfalls in den kommenden Wochen und Monaten so vorsichtig sein wie noch nie in dieser Pandemie, jedenfalls solange die Vorgabe der Politik bleibt, das Virus bei einer irgendwie definierten Größenordnung zirkulieren zu lassen. Weil die Wahrscheinlichkeit, dass man sich irgendwo ansteckt, noch nie so groß war – selbst dann, wenn wir mit Lockerungen und so weiter „nur“ auf 20.000 Neuinfektionen zielen, aber erst recht, wenn es darüber gehen sollte.

Es kommt nämlich noch ein Faktor hinzu: Im Winter waren zwei Drittel bis drei Viertel der Infizierten alte Menschen über 80, sehr viele davon lebten in Pflegeheimen. Es war also ziemlich unwahrscheinlich, beim Einkaufen zufällig neben ihnen an der Kasse zu stehen oder mit ihnen im Straßenbahnabteil zu sein. Die Neuinfektionen in den kommenden Wochen und Monaten sind aber nun genau nicht diese Alten – weil diese größtenteils ja geimpft sind – sondern, um es mal so zu sagen: Leute wie du und ich.

Das heißt, selbst wenn die Inzidenzen, also Neuinfektionen, ungefähr so wie im Winter sind, wird ihr Anteil an normalen Alltagssituationen größer und damit natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken.

Hinzu kommen wird vermutlich ein gewisser sozialer Druck, der sich durch das Gefühl „Der Sommer kommt, bald sind wir durch“ noch verbreitet. Ebenso wie durch die dauernde Propaganda, dass Corona, wenn erstmal die Risikogruppen „geschützt“ sind, irgendwie nicht mehr so schlimm wäre. Es entsteht ein Gefühl, dass man jetzt doch nicht mehr so arg aufpassen muss.

Im Grunde genommen ist es eine ähnliche Dynamik, wie ich sie bei meinem Vergleich von Corona und Ebola beschrieben habe: Je niedriger das Risiko für die einzelne Person, desto höher sind bei einer Pandemie ohne Grundimmunität und Impfung die Todesraten insgesamt – weil gesellschaftlich einfach eine sehr hohe Zahl an Infektionen für akzeptabel gehalten wird. Am Ende sind dann sehr viele Leute tot.

Von den Mutanten und den Unwägbarkeiten, die das mit sich bringt, ist da noch gar nicht die Rede gewesen. Denn je mehr das Virus zirkuliert, desto mehr Gelegenheiten hat es auch, zu mutieren. In diesem Sinne!

PS. Ich schreibe von den unter 70-jährigen, weil die Altersgruppe 70-80 möglicherweise bald schon geimpft sein könnte. Falls das nicht so ist, sind diese natürlich auch höchst gefährdet.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

5 Gedanken zu “Corona mal wieder: Warum ich die nächsten Monate extra vorsichtig sein werde

  1. Ist wohl so. Solange man keine 60 ist und gesund, werden auch 58-jaehrige in die gleiche Prioritaets-Gruppe wie 18-jaehrige gesteckt. Also Impfung freuhestens im Herbst, eher spaeter. Und ich wuerde wetten, dass die juengeren beim Wettlauf um Impftermine schneller sind.

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  2. Danke für den Beitrag. Ich empfinde die Situation im Moment auch viel beängstigender obwohl man ja glauben könnte man sei schon etwas abgestupft… Zu ergänzen wäre für mich dass es nicht nur ums sterben geht sondern ich auch keine Lust auf fiese und zudem noch unerforschte Langzeitfolgen habe. Das reicht mir schon als Gruselvorstellung.

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