Gestern habe ich auf Twitter eine kleine Umfrage gestartet zu der Frage „Wie viel Prozent deiner Follower kennst du persönlich?“ Die Idee dazu kam mir, als eine Kollegin, die sich gerade einen Account eingerichtet hatte, anfing, mir zu followen. Und ich dachte: Oh je, jetzt liest die im Büro nebenan alle meine Tweets. Das heißt, ich muss jetzt dauernd damit rechnen, dass ich auf meine Twitterei angesprochen werde. Ob das was ändert?
Es interessierte mich zu wissen, wie viele ihrer Follower die anderen Twitties so im Allgemeinen persönlich kennen, aber offensichtlich gibt es dazu noch keine Erhebung. Auf den entsprechenden Tweet haben aber manche gleich mit ihren Zahlen geantwortet, und daher retweetete ich die Frage noch zwei, drei Mal, und hier ist das Ergebnis:
Es haben 39 Personen geantwortet, fast gleich viel Frauen und Männer. Durchschnittlich kennen sie 1,04 Prozent ihrer Follower, von denen sie im Schnitt 373 haben (mit einer Bandbreite von 35 bis 2260, also relativ breit gestreut).
Natürlich ist das Ergebnis bei so einer kleinen Stichprobe überhaupt nicht repräsentativ, aber viel interessanter als Durchschnittwerte ist ja ohnehin, was sich ansonsten so an Einsichten ergibt. Vor allem war das die nicht wirklich überraschende Erkenntnis, dass Durchschnittswerte im Bezug auf Twitter nicht von Bedeutung sind. Denn offensichtlich nutzen die Leute diese Plattform sehr unterschiedlich, und das schlägt sich auch hier nieder.
Interessant finde ich zum Beispiel, dass es eine ganze Reihe von Twitties gibt, die nicht einen einzigen Follower persönlich kennen. Sie twittern also im Bezug auf die Leute, mit denen sie offline zu tun haben, sozusagen inkognito. Das finde ich aus zweierlei Gründen spannend. Wie sind sie überhaupt auf die Idee zum Twittern gekommen? Offenbar anders als ich, die ich nämlich von einer Freundin dazu angeregt wurde. Und: Haben sie nicht den Wunsch, ihre Offline-Beziehungen auch in Twitter wiederzutreffen? Ich jedenfalls habe den, und immerhin drei meiner sechs persönlich bekannten Follower habe ich selber dazu animiert, hier mitzumachen.
Eine andere Gruppe gibt relativ hohe persönlich bekannte Zahlen an, so um die 20 Prozent. Das sind jedoch Leute mit unter hundert, also relativ wenigen Followern. Sie sind vielleicht noch am nächsten dran an dem ursprünglichen Twitter-Projekt, das ja auf der Startseite immer noch postet: „Twitter is a service for friends, family, and co-workers to communicate and stay connected.“ Im Gegensatz dazu wird Twitter aber offenbar gerade nicht dazu genutzt, um mit Menschen in Kontakt zu bleiben, die man ohnehin kennt, sondern überwiegend dazu, neue Kontakte zu machen oder auch Botschaften an eine möglichst große Gruppe vollkommen Unbekannter zu senden.
Ebenfalls interessant waren die Diskussionen über die Frage: Was heißt es überhaupt, persönlich bekannt zu sein? Ich habe das eingegrenzt auf die körperliche Präsenz, also dass man sich tatsächlich schon einmal getroffen und miteinander gesprochen hat. Ich denke nämlich zurzeit über die Bedeutung persönlicher, körperlicher Anwesenheit für die Art und Weise von Kommunikation nach. Also über den Unterschied zwischen Worten, die mündlich in einer konkreten Situation zwischen zwei oder mehreren Menschen zirkulieren, und solchen, die schriftlich bzw. medial vermittelt sind (also auch von der konkreten Situation losgelöst).
Meine vorläufige These dazu ist, dass sich medial zwar gut Informationen verbreiten lassen, neue Ideen oder auch neuer Sinn hingegen nur entstehen können, wenn Sprache zirkuliert, wenn Worte wie Spielbälle hin und her fliegen können, Sätze vorläufig ausprobiert werden und so weiter. Manchmal sage ich zum Beispiel Sätze in einem Gespräch und beobachte, wie sie auf die anderen und mich selbst wirken. Dadurch kann ich ein Gefühl dafür bekommen, ob sie wahr sind und Sinn ergeben oder nicht. Wenn ich publiziere, geht das nicht, da muss ich meiner Meinung sozusagen vorher schon relativ sicher sein, weil sie losgelöst von meiner Person herumgeistern wird. Meine Idee ist, dass wenn via Internet die Verfügbarkeit und Verbreitung von Informationen nicht mehr beschränkt ist, diese persönliche Anwesenheit vielleicht bedeutsamer wird, weil wir ja alle Wege finden müssen, in die Flut an Informationen sozusagen „Sinnschneisen“ zu schlagen.
Aber das ist, wie gesagt, bisher nur eine Idee, die ich noch weiter untersuchen und verfolgen will. Dafür spricht vielleicht, dass manche Twitterer offenbar Lust haben, ihre Twitter-Kontakte auch offline zu treffen. Eine antwortete zum Beispiel, dass sie ihre ursprünglich 1 Prozent-Bekanntschaften über Twittagessen schon auf 4 Prozent gesteigert hat.
Trotzdem hat sich bei der kurzen Umfrage gezeigt, dass auch reine „Internetbekanntschaften“ eine Qualität erreichen können, die an das „persönlich bekannt sein“ heranreicht, jedenfalls als ebenso vertraut und intim erlebt werden. Manche haben zum Beispiel schon mit Followern telefoniert. Andere kennen sich online schon seit vielen Jahren, also ziemlich gut, auch wenn sie sich noch nie getroffen haben. Von ihnen würde ich gerne wissen, ob sie nicht dann auch das Bedürfnis haben, die anderen mal persönlich zu treffen? Ich jedenfalls habe das bisher immer gehabt, ich habe schon eine ganze Reihe von Personen „im Internet“ kennengelernt und sie dann irgendwann auch „offline“ getroffen. Das hat unsere Beziehung meistens auf eine neue qualitative Ebene gehoben (auch für späteres Wiedertreffen online), was mir gut gefällt.
Mir ist jedenfalls bei dem Ganzen bewusst geworden, dass die Tatsache, dass ich einige meiner Follower persönlich kenne, bewirkt, dass ich bewusster oder vielleicht auch verantwortlicher twittere. Weil ich mit blödsinnigen Tweets nicht nur riskiere, dass mir Follower abhanden kommen (was ja auch bei guten Tweets passieren kann, wenn die Follower eben einfach etwas anderes erwarten oder meine Interessen oder meinen Stil nicht teilen). Wenn hingegen Leute meine Tweets lesen, die mir persönlich etwas bedeuten, die ich regelmäßig sehe oder mit denen mich politische Ziele und Initiativen verbinden, dann twittere ich gewissermaßen mit dem Wissen im Hinterkopf, dass sie mich im ganz realen Leben dafür zur Verantwortung ziehen. Das macht es ein bisschen anstrengender, ist aber unterm Strich wahrscheinlich ganz fruchtbar.

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