
Meinen ersten Koffer bekam ich mit fünf. Er war ein Geschenk meines Uropas, klein, aus Pappe, schwarz-rot kariert, wenn ich mich recht erinnere. Als stolze Kofferbesitzerin musste ich natürlich verreisen. Ja, schön, sagte meine Mutter, wir könnten hierhin fahren, oder dorthin. Aber das kam gar nicht in Frage. Ich musste allein weg. Sonst hätte es nicht gegolten. Am Ende durfte ich „ganz alleine“ mit dem Bus in die nächste Stadt fahren. Wo meine Großeltern mich am Busbahnhof in Empfang nahmen.
Ich weiß nicht, ob sie es damals schon sagte, aber immer, wenn ich verreise, ermahnt mich meine Mutter: „Lass dich bloß nicht auf irgendwelche Abenteuer ein!“ Recht hat sie. Ich weiß nicht, wer auf die merkwürdige Idee kam, dass Reisen etwas mit Abenteuern zu tun hätte. Ich jedenfalls kann auf Abenteuer gut verzichten. Ich habe keinen Bedarf, gegen Räuber zu kämpfen, im abenteuerlichen Nirgendwo zu stranden, Prinzessinnen zu retten oder wilde Tiere zu bezwingen. Dafür bin ich viel zu bequem. Und zu ängstlich.
Ich verreise, um Sachen zu sehen. Um woanders zu sein. Nicht aus Neugier auf eine bestimmte Sache. Es kommt selten vor, dass ich irgendwas unbedingt sehen will, die Pyramiden oder das Taj Mahal oder den Amazonas. Meine Reiseziele kommen eigentlich immer mehr oder weniger zufällig zustande. Hauptsache, ich verlasse meine gewohnte Welt samt ihren eingeschliffenen Urteilen, Interpretationen, Gewohnheiten, Normalitäten. Deshalb reise ich auch am liebsten allein, denn sonst hat man ja einen Teil dieser Gewohnheiten mit im Gepäck.
Natürlich sind Risiken unvermeidbar. Jetzt zum Beispiel habe ich Hunger, weil es im Flieger nur ein paar Nüsschen gab. Ich könnte natürlich was essen gehen. Aber draußen kübelt es in Strömen, und ich hab noch kein Geld getauscht. Reisen geht nicht virtuell. Ich muss meinen faulen, verletzlichen, bedürftigen Körper anderswohin bewegen und ihn allen möglichen Unwägbarkeiten aussetzen. Ich bin in einer Umgebung, deren Regeln ich nicht kenne. Und ich bin auf wildfremde Leute angewiesen.
Aber das kann man wohl nicht wirklich als Abenteuer bezeichnen. Die meisten Orte, zu denen man reist, sind schließlich ganz normale Orte für die Leute, die da leben. Es ist diese andere Normalität, die mich interessiert, nicht die Exotik. Deshalb kann ich auch nicht organisiert verreisen. Die Normalität eines Ortes erschließt sich nicht in zwei Stunden. Die reichen nur für die üblichen Fotos.
Naja. Ich geb dem Wetter noch eine halbe Stunde, dann geh ich raus, ob Regen oder nicht. Ansonsten hab ich drei Wochen Zeit. Keine Pläne und keine Agenda. Und bitte auch keine Abenteuer.


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