Derzeit diskutieren wir wieder mal über die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männer, wohl nicht zufällig ein Dauerbrennterthema in einer Gesellschaft, in der Geld schon länger zum entscheidendem Maßstab für alles mögliche geworden ist.
Zwei neue Studien zeigen, dass das viel beklagte Gender Pay-Gap (Männer verdienen viel mehr Geld als Frauen) nicht nur auf krasse Diskriminierungen seitens der Unternehmen zurückzuführen ist, nicht nur darauf, dass Frauen und Männer unterschiedliche Berufe und Karrierewege wählen, nicht nur darauf, dass Frauen weniger Geld für sich fordern und weniger selbstbewusst (wahlweise: großkotzig) auftreten, nicht nur darauf, dass Frauen im Schnitt, wenn sie denn forsch und fordernd auftreten, unsympathischer wirken als genauso forsch und fordernd auftretende Männer, sondern auch…
… darauf, dass Frauen offenbar selbst der Ansicht sind, dass Frauen richtigerweise weniger verdienen als Männer. Über die Studien berichtet die SZ, und bei der Mädchenmannschaft hat sich schon eine angeregte Debatte zum Thema entwickelt.
Nun, die Feministin in mir ist nicht sonderlich überrascht, denn die Mehrheit der Frauen war noch nie besonders radikal und feministisch eingestellt, und die Vorkämpferinnen für weibliche Freiheit waren nie im Mainstream – und erst Recht nicht im weiblichen Mainstream. Dass unsere Gesellschaft insgesamt irgendwie der Meinung ist, Frauen bräuchten weniger Geld als Männer, ist ja evident: Wäre es anders, dann hätten Frauen nämlich nicht weniger Geld als Männer.
Und es hat ja wohl niemand ernsthaft geglaubt, nur die Männer wären dieser Meinung. Oder noch anders: Wären alle Frauen einheitlich der Meinung, dass sie und ihresgleichen zu wenig Geld haben, dann hätten sie wohl auch schon längst etwas Effektives dagegen unternommen.
Das aus meiner Sicht Interessante an der Studie stand im letzten Satz des SZ-Artikels:
Die überwiegende Mehrheit der Befragten war der Meinung, dass das Geschlecht eines Menschen die Höhe seines Einkommens nicht beeinflussen sollte. Den wenigsten Befragten war dabei wohl bewusst, dass ihre abstrakten Prinzipien den eigenen konkreten Urteilen über niedrige Frauengehälter widersprachen.
Genau hier liegt nämlich die Krux: Nicht in der Frage, ob es nun die Frauen, die Männer, die Unternehmer, die Gewerkschaften oder meinetwegen die kleinen grünen Marsmännchen sind, die glauben, Männer bräuchten mehr Geld als Frauen, sondern darin, dass hier abstrakte Meinung und konkretes Urteil und Verhalten im Einzelfall bei ihnen allen ganz offenbar auseinanderklaffen.
Die gute Nachricht dabei ist, dass sich da in den letzten Jahrzehnten was verändert hat: Früher, in vorfeministischen Zeiten, war die Mehrheit der Leute nämlich durchaus auch ganz abstrakt und theoretisch der Ansicht, dass es schon in Ordnung geht, Männern mehr Geld zu geben als Frauen. Das ist inzwischen anders.
Aber damit ist es eben nicht getan. Nicht ohne Grund hat die Frauenbewegung der 1970er Jahre (und früher auch schon) sich nicht damit begnügt , Forderungen und Traktate aufzuschreiben, sondern vor allem eine Praxis entwickelt, die unter anderem darin bestand, gemeinsam mit anderen Frauen neue Handlungsmöglichkeiten zu erforschen, auszuprobieren, einzuüben. Feminismus ist eine Haltung, die im Alltag lebendig werden muss, wenn sich etwas verändern soll, und das geht nicht von heute auf morgen, das geht nicht am Schreibtisch, und das geht vor allem nicht ohne dass sich die Frauen selbst verändern.
Die italienische Philosophin Luisa Muraro hat einmal gesagt, die Probleme unserer Zeit werden nicht die lösen, die die besten Gleichheitskonzepte erarbeiten, sondern diejenigen, die einen guten Weg finden, um mit der vorhandenen Ungleichheit umzugehen. Und genau so ist es. Abstrakt zu postulieren, dass Frauen mehr Geld bekommen sollen, hilft nichts. Gefragt sind Ideen, Übungen, Beispiele, Erfahrungsaustausch dazu, wie das gelingen kann.
Und bitte: Ohne Pauschalrezepte. „Die Frauen“ gibt es nicht, und es gibt auch nicht „die Frauen“, die weniger verdienen. Außerdem ist nicht bei jedem Chef, in jedem Unternehmen die gleiche Strategie erfolgsversprechend. Andererseits lassen sich in manchen Situationen große Erfolge erzielen, die aber nicht auf anderswo übertragbar sind (so ähnlich wahrscheinlich, wie Elinor Ostrom das über die Klimaprojekte erforscht hat).
Deshalb ärgert mich an solchen Studien immer, wenn von „den Frauen“ die Rede ist – und dann zum Beispiel ernsthaft darüber diskutiert wird, ob „die Frauen“ nun selber schuld sind oder nicht. (Die Antwort auf entsprechende Fragen ist IMMER: sowohl als auch).
Mich hingegen interessiert, inwiefern sich Frauen im Bezug auf das Thema unterscheiden: Sind jüngere im gleichen Maße wie ältere der Ansicht, Frauen bekommen zurecht weniger Geld? Gibt es eine Korrelation zur Höhe des Einkommens? Gibt es einen Unterschied im Hinblick auf Bildung? Zwischen Feministinnen und Nicht-Feministinnen (ich wage nicht zu hoffen, das könnte abgefragt worden sein). Zwischen Lesben und Heteras? Das zu wissen, wäre doch mal spannend.
Update: Die Autorinnen und Autoren der Studie haben den Bericht der SZ als verfälschend kritisiert. Hier ihre Richtigstellung.


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