Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit der Liebe. Nicht so, wie wir wahrscheinlich alle, nämlich im Alltagsleben, sondern ideengeschichtlich. Also: Mich beschäftigt die Frage, was in unserer (westlich-europäischen) Kultur im Lauf der Jahrhunderte unter Liebe verstanden wurde, was alles unter diesen Begriff gefasst wurde – und was nicht.Dabei lese ich mich natürlich durch viele Bücher, und eine Sache, mit der ich zunehmend hadere, ist dass meistens versucht wird, die Liebe in verschiedene „Varianten“ zu unterteilen, die angeblich vollkommen verschieden sind: Mutterliebe, „Gattenliebe“, sexuelles Begehren, Liebe zwischen Freunden, platonische Liebe, Gottesliebe.
Natürlich hat es eine gewisse Plausibilität, solche Unterscheidungen zu treffen, aber ganz bin ich nicht überzeugt. Vor allem bin ich nicht davon überzeugt, dass sexuelles Begehren und körperliche Erregung nur auf Liebe zwischen Mann und Frau beschränkt sein soll – wobei dieses Modell neuerdings auch auf homosexuelle Paare ausgeweitet wird, allerdings vorausgesetzt , dass die sich von heterosexueller Liebe praktisch gar nicht unterscheiden.
Mein liebstes Gegenbeispiel ist diese Skulptur von Gian Lorenzo Bernini. Sie zeigt die spanische Mystikerin und Klostergründerin Teresa de Jesus, auch bekannt als Teresa von Avila, die im 16. Jahrhundert lebte. Die Skulptur (die wiederum Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden ist) steht in der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom, und jedesmal, wenn ich dort bin, muss ich sie mir anschauen. Ich kann mich nicht dran satt sehen.
Bernini zeigt hier Teresa während einer ihrer Visionen, die sie selbst so beschreibt:
Unmittelbar neben mir sah ich einen Engel von vollkommener körperlicher Gestalt. Der Engel war eher klein als groß, sehr schön, und sein Antlitz leuchtete in solchem Glanz, dass er zu jenen Engeln gehören musste, die ganz vom Feuer göttlicher Liebe durchleuchtet sind; es müssen jene sein, die man Seraphe nennt. In der Hand des Engels sah ich einen lagnen goldenen Pfeil mit Feuer an der Spitze. Es schien mir, als stieße er ihn mehrmals in mein Herz, ich fühlte, wie das Eisen mein Innerstes durchdrang, und als er ihn herauszog, war mir, als nähme er mein Herz mit, und ich blieb erfüllt von flammender Liebe zu Gott. Der Schmerz war so stark, dass ich klagend aufschrie. Doch zugleich empfand ich eine so unendliche Süße, dass ich dem Schmerz ewige Dauer wünschte. Es war nicht körperlicher, sondern seelischer Schmerz, trotzdem er bis zu einem gewissen Grade auch auf den Körper gewirkt hat; süßeste Liebkosung, die der Seele von Gott werden kann.
Schon in Teresas Schilderung selbst wird der körperliche Aspekt dieser Liebe ganz klar benannt. (Dass in unserer westlichen Ideengeschichte Liebe fast immer auch mit Schmerz gleichgesetzt wird, ist eine andere Geschichte, die mir auch nicht wirklich behagt, aber das wird vielleicht mal ein eigener Blogpost).
Interessant auch, was Eckart Petrich in seiner Reisebeschreibung über Italien (Band II, aus den 1960er Jahren) dazu schreibt:
Bernini kannte, wie die ganze katholische Welt, diesen Bericht, ehe er diese Vision darstellte. Nichts ist darum abwegiger, als in dieser Unio mystica etwas im irdischen Sinne Sinnliches zu sehn oder gar etwas Perverses. Um ihre Vision zu schildern, die eigentlich „unbeschreiblich“ ist, bedient sich Theresa der Begriffssprache der Liebe. Und Bernini tut auf seine Wese das gleiche. Vor allem die Franzosen haben ihn gründlich misverstanden. Charles des Brosses, Zeitgenosse Voltaires, meint: „Wenn das die himmlichsche Liebe ist, kenne ich sie auch“. Stendhal ruft aus: „Welche Wollust!“ Taine findet, man habe „niemals einen so zärtlichen und verführerischen Roman gemacht“. Bitter unrecht hat auch Burckhardt dem Meister getan, als er schrieb „Hier vergisst man alle Stilfragen über der empörenden Degradation des Übernatürlichen.“ Das Barock war eine solche Hochspannung der religiösen Gefühle gewöhnt, dass es sowohl die erotischen Kommentare der Franzosen wie den protestantischen Protest des Schweizers als Plattitüden abgetan hätte.
Ich denke, das sind alles falsche Alternativen, falsche Gegenüberstellungen. Sicher klingt es für unsere Ohren fremd, was Teresa hier schildert. Aber dass sexuelle Erregung (oder zumindest etwas sehr ähnliches) auch außerhalb von den klassischen Settings möglich ist, die wir heutzutage als legitimen Raum dafür anzunehmen gewohnt sind, ist eine Vorstellung, die mir gefällt.


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