Als prä-butlersche Feministin konnte ich mit der Idee des „Queer-Feminismus“ nie viel anfangen. In meinem letzten Blogpost stellte ich die These auf, dass die Art und Weise der Rezeption von Judith Butlers Denken an den deutschsprachigen Universitäten mit dazu beigetragen hat, die Kommunikation zwischen „Altfeministinnen“ und „Jungfeministinnen“ zu erschweren. Da ist es ein lustiger Zufall, dass mir gerade letzte Woche ein relativ unbekannter Text von Judith Butler begegnete (ich kannte ihn jedenfalls bis dahin nicht), der vielleicht helfen kann, den „Graben“ differenzierter zu sehen, beziehungsweise jenseits davon gemeinsam anzuknüpfen.
In diesem Text von 1997 schreibt Butler:
Ich stelle also nicht die Frage nach dem Ende der Geschlechterdifferenz, um ein Plädoyer für deren Ende zu halten. Ich werde nicht einmal Gründe dafür aufzählen, warum es meiner Meinung nach dieser theoretische Rahmen oder, je nach Einstellung, diese „Realität“ nicht wert ist, weitergeführt zu werden. Für viele, denke ich, ist die strukturierende Realität der Geschlechterdifferenz nicht etwas, das man hinwegwünschen oder gegen das man argumentieren könnte; ja hier überhaupt irgendwelche Forderungen aufstellen zu wollen scheint vielen sinnlos. Die Geschlechterdifferenz ist so etwas wie ein notwendiger Hintergrund für die Möglichkeit des Denkens, der Sprache und der Existenz der Körper in der Welt. Und wer gegen sie anzugehen versucht, argumentiert in genau der Struktur, die sein Argument möglich macht. (…)
Hier macht Butler letztlich klar, dass es sinnlos ist, über die Frage zu streiten, ob man die Geschlechterdifferenz nun behalten will oder ob man sie abschaffen will, weil das eben sowieso nicht geht. Genau das ist der Grund, warum ich von der Geschlechterdifferenz rede und mich mit ihren diversen Erscheinungsformen in der Welt beschäftigte, auch in diesem Blog: Nicht, weil ich sie für eine so tolle Sache halte, sondern weil ich finde, sie ist so untrennbar mit allen anderen Themen der Welt verbunden, dass man sie thematisieren muss, wenn man etwas Vernünftiges zum politischen Diskurs beitragen will.
Interessant auch, wie Butler an dieser Stelle Luce Irigaray positiv aufgreift, die ja eine der maßgeblichen Vordenkerinnen des Differenzfeminismus ist:
Die Geschlechterdifferenz – müssen wir uns als einen Rahmen vorstellen, aufgrund dessen wir schon von vorneherein besiegt sind? Was auch immer gegen sie gesagt werden kann, ist ein Beweis dafür, dass sie das, was wir sagen, strukturiert. Ist die Geschlechterdifferenz also irgendwie ursprünglich da und taucht wie ein Gespenst immer wieder in den allerersten Unterscheidungen und in dem strukturellen Schicksal aller Bedeutungsstiftung auf? Luce Irigaray macht klar, dass die Geschlechterdifferenz keine Tatsache ist: kein Fundament welcher Art auch immer, auch nicht das widerspenstige „Reale“ des Lacanschen Jargons. Im Gegenteil: Sie ist eine Frage, eine Frage an und für unsere Zeit. Als Frage bleibt sie ungelöst und nicht beantwortet, das, was noch nicht und niemals als Aussage formuliert werden kann. Ihre Anwesenheit ist nicht die von Tatsachen und Strukturen, sondern sie ist da als etwas, das uns erstaunen und Fragen stellen lässt und nicht zur Gänze erklärt werden kann.
Und wenn sie denn die Frage an und für unsere Zeit ist, wie Irigaray in Die Ethik der Geschlechterdifferenz betont, dann ist sie nicht eine Frage unter anderen, sondern ein besonders dichter Moment der Unlösbarkeit in der Sprache, der den gegenwärtigen Horizont der Sprache als den unseren markiert. Ähnlich wie bei Drucilla Cornell folgt die Ethik, an die Irigaray denkt, nicht etwa aus der Geschlechterdifferenz, sondern sie ist eine Frage, die sich genau in den Begriffen der Geschlechterdifferenz stellt: Wie kann man diese Andersheit durchqueren? Wie kann man sie durchqueren, ohne sie durchzustreichen, ohne ihre Begriffe zu zähmen? Wie kann man dem auf der Spur bleiben, was an dieser Frage ständig ungelöst bleibt? (…)
Hier setzt sich Butler mit einem Missverständnis auseinander, das sich häufig zeigt, wenn man von der Geschlechterdifferenz spricht und das vermutlich auch ein zentraler Grund für das verbreitete Unbehagen ist, wenn auf Begriffe wie „weiblich“ und „männlich“ rekurriert wird. Viele meinen, von der Geschlechterdifferenz zu sprechen, bedeute zu sagen, dass „Frauen dies tun“ oder „Männer jenes“. Aber genau das ist nicht das Anliegen des Differenzfeminismus – im Gegenteil.
Über Jahrhunderte hinweg war ja die Geschlechterdifferenz inhaltlich und funktional diskutiert worden, meist in der Form, dass Männer Frauen sagten, wie sie zu sein hätten. Oder auch dass Frauen selbst auf eine vermeintlich „weibliche Natur“ rekurrierten, um die männliche Ordnung zu kritisieren. Simone de Beauvoir war die erste, die zeigte, dass das nicht funktioniert, weil die Geschlechterdifferenz mit allem so verwoben ist, dass man nicht zu einer vor aller Kultur liegenden Bedeutung von „männlich“ und „weiblich“ vordringen kann.
Der Differenzfeminismus sagt nun, dass es gleichzeitig auch nicht jenseits der „Geschlechtlichkeit“ so etwas wie ein „neutrales Menschsein“ gibt. Das soll nicht heißen, Frauen oder Männer auf bestimmte Rollen festzulegen oder auch nur zu behaupten, sie hätten – über einen gegebenen Kontext hinaus – gemeinsame „Merkmale“. Sondern es bedeutet die Erkenntnis: Will man zu weiblicher Subjektivität und Individualität kommen, zur Freiheit der Frauen also, ist die Geschlechterdifferenz ein notwendiger Durchgang. Wenn ich nicht von meinem Frausein ausgehe (im doppelten Sinn des Wortes), kann ich, eine Frau, auch nicht frei sein. Luisa Muraro, eine weitere Vordenkerin des Differenzfeminismus hat das einmal so formuliert: „Wir haben nicht gewählt, als Frauen geboren zu werden, und gerade diese Tatsache macht es unabdingbar, das Frausein zu akzeptieren.“
Judith Butler schreibt weiter:
So, wie ich sie verstehe, ist die Geschlechterdifferenz ein Ort, an dem wieder und wieder eine Frage in Bezug auf das Verhältnis des Biologischen zum Kulturellen gestellt wird, an dem sie gestellt werden muss und kann, aber wo sie strenggenommen nicht beantwortet werden kann. Wenn wir sie als eine Grenzvorstellung verstehen, so hat die Geschlechterdifferenz psychische, somatische und soziale Dimensionen, die sich niemals gänzlich ineinander überführen lassen, die aber deshalb nicht letztlich voneinander abgesetzt sind. Schwankt die Geschlechterdifferenz also hin und her, als eine schwankende Grenze, die eine erneute Artikulation dieser Begriffe ohne jede Vorstellung von Endgültigkeit verlangt? Ist sie daher kein Ding, keine Tatsache, keine Vorannahme, sondern vielmehr ein Verlangen nach erneuter Artikulation, das niemals zur Gänze verschwindet – aber das sich ebenso wenig jemals zur Gänze zeigen wird?
Ich würde sagen: Ja.
Die Passagen stammen aus Judith Butlers Text „Das Ende der Geschlechterdifferenz?“ in: Jörg Huber, Martin Heller (Hg): Konturen des Unentschiedenen. Interventionen, Basel, Frankfurt/M, 1997. In einer längeren Fassung wieder abgedruckt in dies.: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, Frankfurt/M. 2009, S. 281-324. Ich entnahm die Zitate aus dem Buch „Paradigma Geschlechterdifferenz“ – das auch noch weitere interessante Textpassagen zum Thema versammelt.
Btw: Von Luce Irigaray gibt es ein neues Buch auf Deutsch.


Was meinst du?