Anders als man nach dem Titel meinen könnte, hat Marlene Streeruwitz kein Buch über den Feminismus geschrieben. Sondern elf Geschichten darüber, wie und woran Beziehungen heute trotz (oder gerade wegen?) der Emanzipation scheitern.
In ihrem bekannt lakonischen Stil schildert sie von einem bestimmten Augenblick ausgehend die Lebenssituationen von neun Frauen und elf Männern. Alle Geschichten haben denselben Aufbau. Jede Person steht vor einer wichtigen Entscheidung oder Begegnung, und ausgehend davon wird ihr Leben erzählt und wie es zu dieser Situation gekommen ist, und die Geschichten enden jeweils ohne dass die Leserin erfährt, was als nächstes passiert oder was die Person tut.
Gemeinsam ist den Geschichten auch, dass die Konflikte und Probleme, um die es geht, jene große gesellschaftliche Veränderung widerspiegeln, die die Emanzipation der Frauen und der Feminismus mit sich gebracht haben. Und die die Welt offensichtlich nicht zum Paradies geführt haben.
Da ist die junge Frau, die ohne Vater aufgewachsen ist, erzogen von einer selbstbewussten feministischen Mutter, und die nun – gegen den Rat der Mutter – ihren Vater treffen will. Da ist die Professorin, die früher aus feministischer Überzeugung heraus einer nur mittelmäßig begabten Studentin zur Professur verholfen hat und von eben dieser nun wegrationalisiert wurde. Da ist der Ehemann einer erfolgreichen Diplomatin, der fast die ganze Erziehungsarbeit für das gemeinsame Kind übernommen hat, ohne dafür wirkliche Anerkennung zu finden. Da ist die Tochter kurdischer Flüchtlinge, die ihren eigenen Weg gehen will, ohne sich mit ihrer Familie zu überwerfen. Aber es gibt auch die „Klassiker“, die klassische Ehefrau, die betrogene Geliebte, die ausgelaugte Selbstständige.
Die Geschichten sind vor allem wegen der so zielsicher beobachteten Details lesenswert. Was in all diesen Beziehungen schief läuft, das ist nämlich weniger das „Große und Ganze“, als vielmehr die kleinen alltäglichen Einzelheiten. Dass sich der Ehemann mit all seinem Gewicht aufs Bett der schwerkranken Frau setzt, obwohl das ihre Schmerzen steigert. Solche Sachen.
An den kleinen Gesten hätte sich in vielen Fällen schon vorher erkennen lassen, dass etwas schief läuft. Und doch wurden keine Konsequenzen gezogen. Hat man weiter gemacht. Bis es zu spät war, bis das Leiden da war. Das Leid in emanzipierten Zeiten, so könnte man schlussfolgern, folgt nicht mehr aus dem „System“ mit seinen großen Ungerechtigkeiten, sondern aus der Ignoranz im Einzelfall. Der man nicht mit klaren feministischen Statements beikommen kann. Insofern sind die Geschichten sehr lehrreich – und rechtfertigen durchaus den Untertitel „Wie bleibe ich Feministin“: indem man möglichst nicht in dieselben Fallen läuft.
Feminismus ist keine Theorie oder politische Strategie, die irgendwann zu paradiesischen Zeiten führt, sondern eine experimentelle Praxis, die eingeübt werden will. Warum die weibliche (und auch männliche) Freiheit auch in emanzipierten Zeiten ständig in Gefahr ist, macht Streeruwitz in ihren Erzählungen plausibel und anschaulich. Sie sind daher unbedingt empfehlenswert (und eignen sich auch gut als Weihnachtsgeschenk!)
Andererseits bin ich der Meinung, die Analyse dessen, warum Beziehungen scheitern, ist nur eine Seite der Medaille. Ich habe Feminismus immer auch so verstanden, dass es darum geht, die Bedingungen und Möglichkeiten dessen zu erkunden, wie Beziehungen gelingen können. Auch das ist nämlich nicht nur möglich, sondern auch bereits Realität.
Luisa Muraro hat 1996 in einem Artikel, dem sie den Titel „Freudensprünge“ gegeben hat, geraten, dass wir nicht all unsere Kraft darauf verwenden sollten, zu sehen und zu analysieren, wo überall noch Überreste des Patriarchats vorhanden sind, wo es nicht gelungen ist, Dinge wirklich grundlegend zu verbessern. Sie rät, auch auf das „ersparte Leid“ zu schauen, auf das Leid, das Frauen (und auch Männern) durch die Errungenschaften des Feminismus erspart geblieben ist.
Und auch das ist etwas, das sich letztlich aus den Geschichten herauslesen lässt. Zwar sind die Protagonisten und Protagonistinnen nicht glücklich, zwar haben sie Probleme, und manche davon sind durch den Feminismus erst entstanden. Aber. Stellen wir uns vor, dass sie vorher gelebt hätten, vor der Frauenbewegung und vor dem Feminismus. Dann hätte die uneheliche Tochter nicht so selbstbewusst und fröhlich aufwachsen können, die wegrationalisierte Professorin wäre vielleicht das ganze Leben lang nur Sekretärin gewesen, die unglückliche Ehefrau hätte sich selber Vorwürfe gemacht und nicht ihrem Mann, und die betrogene Geliebte wäre nicht durch eigenes Einkommen wenigstens finanziell abgesichert gewesen.
Das Leid, das vielen Frauen durch den Feminismus erspart geblieben ist, ist nicht gering zu schätzen. Diesen Erfolg wahrzunehmen, anerkennen und zu feiern ist vielleicht ist sogar die Grundlage dafür, um sich den heutigen Problemen, den neuen wie den noch ungelösten, mit der nötigen Klarheit stellen zu können.
Marlene Streeruwitz: Das wird mir alles nicht passieren… Wie bleibe ich Feministin. Fischer, 2010, 151 Seiten, 9,95 Euro.


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