
Soeben ist eine Studie (pdf) veröffentlicht worden, die jetzt unter dem Label „Männer sind genauso Opfer von häuslicher Gewalt wie Frauen“ diskutiert wird. Erstellt hat sie Peter Döge im Auftrag der Evangelischen Männerarbeit. Dafür wurden 1479 Männer und 970 Frauen danach befragt, ob sie schon einmal Opfer und/oder Täter_innen von Gewalt waren. (Ich kenne nicht die Studie, nur die Berichte über sie, wäre aber an den zugrunde liegenden Methoden und Zahlen und den Detailergebnissen interessiert, falls jemand Infos hat, bitte in den Kommentaren posten).
Sowohl bei der Fragestellung der Studie selbst als auch bei der Art und Weise, wie ihre Ergebnisse diskutiert werden, läuft momentan einiges schief. Und damit meine ich nicht nur die bekannten Maskulinistengruppen, die ohnehin der Meinung sind, Männer würden von Frauen unterdrückt, und die diese Studie jetzt natürlich propagandistisch für sich ausschlachten.
Die Absicht hinter dem Machen der Studie scheint gewesen zu sein, anhand von Zahlen nachzuweisen, dass das Stereotyp vom weiblichen Opfer und vom männlichen Täter nicht stimmt, und zwar mit dem ausdrücklichen Ziel, die Aufmerksamkeit auf die Situation von Gewalt erleidenden Männern zu richten.
Dieses Ziel für sich genommen ist wichtig und richtig. Ich kann aber nicht verstehen, warum die Diskussion über männliche Bedürftigkeit und wie ihr zu begegnen sei, offenbar nicht geführt werden kann, ohne gleichzeitig die Errungenschaften der Frauenbewegung und weibliche Autorität klein zu reden und als „böse“ darzustellen.
Um den angestrebten Zweck zu erreichen, wurde in dieser Studie ein sehr weiter Gewaltbegriff zugrunde gelegt. „Gewalt“ ist sowohl schwere körperliche Gewalt, die ganz überwiegend von Männern gegen Frauen ausgeübt wird, als auch auch psychische Gewalt wie Anschreien und leichte körperliche Gewalt wie Ohrfeigen. Es zeigte sich, dass im Bereich psychischer Gewalt mehr Frauen als Männer angeben, sie auszuüben, während Männer und Frauen bei der leichten körperlichen Gewalt ungefähr gleichauf liegen.
Nun frage ich, was solche Zahlen hergeben, außer dass sie es verunmöglichen, beim gesellschaftlichen Diskurs über Gewalt zwischen Frauen und Männern zu unterscheiden, weil die Kategorien so weit gefasst sind, dass die Unterschiede nicht mehr erkennbar sind. Hilft es den Opfern von Gewalt – egal ob Frauen oder Männer – wenn wir dazu übergehen, das Thema quasi „geschlechtsneutral“ zu betrachten? Ich denke nicht.
„Körperliche Gewalt“ und „psychische Gewalt“ sind zwei sehr verschiedene Phänomene, die abgesehen davon, dass sie beide schlimm für das Opfer sind, kaum etwas miteinander zu tun haben. Der Fehler, beides miteinander zu vermischen, ist auch schon in der Frauenbewegung gemacht worden – damit habe ich mich in diesem Jahr in einem Vortrag kritisch auseinandergesetzt, den ich bei einer Jubiläumsfeier eines Frauenhauses gehalten habe.
Eine Absicht der Studie war es, Männer als Opfer von Gewalt in den Fokus zu rücken. Das ist auch tatsächlich wichtig: 45 Prozent der befragten Männer und 41 Prozent der Frauen gaben an, schon einmal Opfer von Gewalt geworden zu sein. Das braucht man aber gar nicht als großartige Neuigkeit zu verkaufen, denn es ist altbekannt: Männer sind sehr viel häufiger als Frauen nicht nur im häuslichen Bereich gewalttätig, sondern auch im außerhäuslichen Bereich. Und da findet die Gewalt überwiegend unter Männern statt, das heißt, Männer sind sowohl Opfer als auch Täter.
Männer sind also auf zweierlei Arten gefährdet: Sie können Opfer von schwerer körperlicher Gewalt werden, die ihnen andere Männer im öffentlichen Raum antun, und sie können psychischer Gewalt oder leichter körperlicher Gewalt ausgesetzt sein, die ihnen Frauen im häuslichen Bereich antun. Es ist doch offensichtlich, dass beides zwei verschiedene Dinge sind, die entsprechend auch unterschiedliche Maßnahmen erfordern.
Um die Bedürfnisse männlicher Gewaltopfer zu verstehen, wäre es meiner Ansicht nach besser gewesen, eine differenzierte Studie darüber zu machen, wie und wo genau und von wem Gewalt gegen Männer ausgeübt wird. Ohne den Vergleich mit den Frauen, der nur diesen Tenor des Gegeneinander Ausspielens à la „Wer ist das ärmere Opfer?“ nach sich zieht.
Noch ein letzter Punkt, der mir bei der Studie fraglich erscheint: Kann man wirklich von den Selbstaussagen der Befragten ohne weiteres auf die realen Verhältnisse schließen? Ich meine, es gibt doch noch einmal einen Unterschied zwischen jemandem, der (oder die) Gewalt ausübt und der Frage, ob er oder sie dies auch weiß und eingesteht. Die Studie scheint implizit davon auszugehen, dass Männer und Frauen sich hier statistisch gleich verhalten: Dass sie also in gleichem Maße sowohl wissen, dass sie Gewalt anwenden, als auch bereit sind, das bei einer Befragung zuzugeben. (Falls jemand Hintergrundinfos dazu hat, wie Döge dieses Problem angeht, bitte ebenfalls in den Kommentaren posten. In den Medienberichten habe ich nichts dazu gefunden).
Viele Frauen klagen aber über bestimmte Gewaltformen innerhalb von Beziehung und Familie, während die betroffenen Männer in ihrem Verhalten nichts Gewaltförmiges sehen (hier ein Artikel dazu). Dazu gehört etwa Lächerlichmachen, ständiges Ins-Wort-Fallen, unvorhersagbare Aggressivität in eigentlich harmonischen Situationen, abwertende Bemerkungen in Anwesenheit Dritter und so weiter. Ein solches Verhalten wird von den Opfern durchaus als (psychische/verbale) Gewalt empfunden, von den Tätern aber nicht als solche anerkannt. Im Gegenteil, diese streiten rundheraus ab, irgendetwas Problematisches zu tun – und genau dieses Abstreiten („Das bildest du dir doch nur ein!“) ist es, was hier den Kern des Problems ausmacht.
Was Gewalt ist und was nicht, das kann man jedenfalls nicht einfach der Selbsteinschätzung von Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmern überlassen. Nur zur Erinnerung: Bevor die Frauenbewegung den Skandal der häuslichen Gewalt in den 1970er Jahren öffentlich machte, galt es in allgemein gesellschaftlichem Bewusstsein ja ebenfalls nicht als Gewalt, wenn Ehemänner ihre Frauen verprügelten oder sie vergewaltigten. Sondern als ganz normal. Und wer das öffentlich ansprach, machte aus einer Mücke einen Elefanten.
Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen. Und diese Enttabuisierung hat überhaupt erst die Grundlagen dafür geschaffen, dass auch Männer als Opfer von Gewalt in den Blick kommen konnten.
Die derzeitige Wende hin zu der pauschalen Behauptung, Frauen und Männer seien gleichermaßen Opfer und Täter_innen, ist dieser Debatte nicht förderlich. Sondern es ist notwendig, die verschiedenen Formen von Gewalt zu unterscheiden und die mit ihnen jeweils eng verwobene Geschlechterdifferenz zu untersuchen und zum Thema zu machen.


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