Gerade las ich von einem WDR-Bericht über einen (angeblichen?) Trend unter jungen Frauen zu Schönheits-Operationen an der Vulva. Ein Hauptproblem für sie scheint es zu sein, dass die inneren Schamlippen bei erwachsenen Frauen häufig länger sind als die äußeren. Während Vulva-OPs wohl noch eher selten sind, entnehme ich dem Beitrag (und das trifft sich mit meiner eigenen Anschauung aus den Umkleidekabinen des Fitness-Studios), dass Intimrasuren unter jüngeren Frauen heute bereits völlig normal sind, und Behaarung im Genitalbereich als eklig und unhygienisch gilt.
Das Thema Schönheit interessiert mich schon länger (siehe z.B. hier), und zwar weil Schönheit die Wechselwirkung zwischen Selbst- und Fremdbild betrifft, mit dem Sich-selbst-einordnen in gesellschaftliche Strukturen und insofern etwas mit Beziehungen zu tun hat.
Man könnte ja nun kulturpessimistisch daherkommen und Schönheits-OPs an der Vulva einfach als (evtl. etwas übersteigerten) Ausdruck zunehmender gesellschaftlicher Normierung von Frauenkörpern begreifen. Gewissermaßen als auf die Spitze getriebene Fortentwicklung von Dünnseins-Normen und Bein- und Achsel-Rasuren.
Mir persönlich gehen Schönheits-Normen für Frauenkörper (oder besser: Akzeptabilitätsdefinitionen, die man erfüllen muss, um sich in der Öffentlichkeit zeigen zu können) schon immer auf die Nerven, vor allem, weil sie so viel Arbeit machen. Ich halte mich aber so weit wie nötig daran, weil ich ja auch irgendwie einsehe, dass man sich kämmen und ordentlich anziehen sollte, bevor man auf die Straße geht. Und weil das, was als „normal“ gilt, sich immer verändert und Ausdruck allgemeiner Trends ist, habe ich es seit längerem aufgegeben, mich darüber allzu sehr aufzuregen und halte mich der Einfachheit halber an die Norm. Soweit es eben sein muss.
Allerdings finde ich, dass es zwischen Beinhaar-Rasuren und Intimrasuren (oder gar Vulva-OPs) einen gewichtigen Unterschied gibt: Meine nackten Beine sehen im Sommer alle Menschen, denen ich in der Öffentlichkeit begegne. Ich kann es also in gewisser Weise akzeptieren, dass ich mich hier anpasse und ein bisschen Aufwand für mein äußeres Erscheinungsbild betreibe. Meine Vulva sehen im Allgemeinen aber nur sehr wenige Leute. Und für die wenigen erscheint mir der Aufwand doch unverhältnismäßig hoch. Versteht ihr, was ich meine?
Das, wovon ich vorhin schrieb – die Wechselwirkung zwischen Selbstbild und äußerem Bild, die Beziehung der Einzelnen zur Gesellschaft – ist nicht das, worum es bei Intimrasuren und Vulva-OPs geht. Hier geht es um die Beziehungen zwischen einer Frau und ihren (potenziellen) Sexpartnern und -partnerinnen. Also um den privaten, intimen Bereich. Eine Frau, die sich nicht die Vulva rasiert, geht nicht die Gefahr einer öffentlichen Stigmatisierung ein, weil ungefähr 99.9 Prozent aller Menschen, die sie trifft, ja gar nicht wissen, ob sie rasiert ist oder nicht.
Nicht mit gesellschaftlicher Akzeptanz haben wir es hier also zu tun, sondern mit intimbeziehungsmäßiger Akzeptanz. Ich finde das einen sehr wichtigen Unterschied.
Charlotte Roche hat in ihrem neuen Buch Schoßgebete ja sehr anschaulich beschrieben, welchen Aufwand es bedeutet, Intimrasur zu betreiben. Aber auch für sie gehört das inzwischen zum guten Ton (und, der Gleichberechtigung sei es geschuldet, betreibt der emanzipierte Mann von heute das offenbar auch – Frage in die Runde: Ist das so?). Im Prinzip sagt sie, dass Frauen, die nicht bereit sind, sich hier was von Pornos abzuschauen, sowieso selbst schuld sind, wenn sie keinen guten Sex haben und von ihren Männern verlassen werden.
In der Tat ist die Hauptmotivation ihrer Hauptfigur Elizabeth die Angst, von ihrem Mann (der fast schon, neben der Therapeutin, als ihr Erlöser geschildert wird), verlassen zu werden. Ich weiß nicht, aber ich stehe auf dem Standpunkt: Ein Mann, der mich verlassen will, ist eh nicht der Richtige für mich. Soll er dann doch.
Es ist ja wohl nicht so, dass Männer, die mit mir zusammen sind, mir damit einen Gefallen tun. Mindestens genauso sehr tue ich ihnen einen Gefallen. Ich halte nichts von dem Konzept, dass man sich über Gebühr anstrengen muss, um für den Beziehungspartner (die Beziehungspartnerin) attraktiv zu sein. Ich halte eher was von dem Konzept, dass sich diejenigen Leute beziehungsmäßig zusammentun sollten, die sich ohnehin gegenseitig gefallen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich verstehe nicht so ganz, was hier vor sich geht, in Frauen-, Männer-, Sex- und Beziehungsfragen.
Früher, vor der Frauenbewegung und der Emanzipation, hatten Frauen immerhin einen handfesten Grund, Angst davor zu haben, von ihren Männern verlassen zu werden. Das bedeutete für sie nämlich, dass sie kein Geld mehr hatten, gesellschaftlich geächtet wurden, dass sie ihre Kinder verloren, sofern welche da waren. Heute ist das alles nicht mehr so. Woher also die verzweifelte Angst, verlassen zu werden?
Gleiches gilt für den Druck der anderen Frauen. Schon immer war es der Vergleich mit den anderen Frauen, der eine Frau dem Druck aussetzte, sich innerhalb gesellschaftlicher Frauennormen zu bewegen. Die anderen Hausfrauen kontrollierten die Sauberkeit der Fenster, die Konkurrentinnen auf dem Ehemarkt die äußerliche Attraktivität, und heute kontollieren die anderen Frauen in der Umkleidekabine (oder Autorinnen wie Roche) den Enthaarungsgrad der Vulva. Das ist nichts Neues.
Aber auch dieser Druck müsste doch eigentlich abgenommen haben, da es doch die „eine“ normale Frauenrolle längst nicht mehr gibt und ich heute unter einer Vielfalt aus Frauenszenen auswählen kann. Warum also funktionieren diese Normierungen nach wie vor?
I simply don’t get it.
Auch zum Thema: Postfeministische Maskerade
Und hier noch ein aktueller Artikel aus der SZ


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