Jetzt ist der Papst wieder weg, und seit gestern kurven einige Gedanken dazu in meinem Kopf herum, die ich hier niederbloggen will, damit ich gleich in Ruhe (und ohne Papst im Kopf) noch mal das schöne Wetter genießen kann.
Der Gedanke, der mir seit gestern im Kopf herum geht, lautet: Der Papst hat euch alle um den Finger gewickelt. Und zwar nicht nur die Christlichen, sondern auch die Atheistischen, die sich – ich habe die Blogs und Tweets dazu so nebenbei verfolgt – an einem bestimmten Punkt aufhielten, der meiner Meinung nach der falsche Punkt ist: Nämlich dem, dass der Papst in seiner Bundestagsrede darauf verwiesen hat, dass es neben dem Recht und der menschlichen Vernunft noch eine andere Instanz gebe, die Natur der Dinge beziehungsweise auch Gott, und dass das einen Rahmen für das ethische Bewusstsein vorgibt, den Menschen nicht einfach nach Gutdünken verändern können.
Viele papstkritische Stimmen haben das so übersetzt: Der Papst behauptet, es gebe eine Natur des Menschen, und deshalb dürfen wir zum Beispiel Homosexualität nicht erlauben und Frauen nicht gleichstellen. Und sie erwidern: Das ist aber Quatsch, denn es gibt eine solche „Natur“ nicht, und außerdem hat der Papst seine homophoben und frauenfeindlichen Ansichten bitte im Privaten (übersetze: innerkirchlich) zu verbreiten und nicht im Bundestag.
Nun ist es ja keine Neuigkeit, dass Joseph Ratzinger behauptet, Homosexualität und die Freiheit der Frauen würden gegen die Natur des Menschen und gegen Gottes Willen verstoßen. Ich bin da anderer Ansicht, denn ich bin – nach ebenso reiflicher Überlegung, Bibelstudium, Beterei etcetera – zu der Auffassung gelangt, dass Gott überhaupt nichts gegen Homosexualität und weibliche Freiheit hat, ganz im Gegenteil. Menschen haben unterschiedliche Ansichten, und über die müssen sie sich halt streiten. Ich streite mich gerne, und je nachdem, mit wem ich es zu tun habe, argumentiere ich mit Gott, der Bibel, der Vernunft, der Natur, dem Grundgesetz, der Bagavadgita oder was auch immer in der jeweiligen Situation dazu beitragen kann, die andere Seite zu überzeugen.
Das Problem ist aber, dass der Papst behauptet, er allein wisse ganz genau, was Gott will. Er muss nicht argumentieren. Beziehungsweise noch nicht einmal das, sondern: Die Struktur der Katholischen Kirche ist derart, dass sie ihre eigene „Unfehlbarkeit“ behauptet, also dass ein Mensch, in diesem Fall Joseph Ratzinger, nur weil er Papst ist, sich anmaßen kann, Gottes Willen zu kennen und daher es nicht mehr nötig hat, sich mit anderen Leuten auseinander zu setzen, die zu anderen Auffassungen kommen. Zum Beispiel mit mir.
Denn ich bin ja nur Antje, und Herr Ratzinger ist der Papst, und darin liegt der Teufel begraben. Denn: Genau diese Hierarchie wird auch durch die oben skizzierte papstkritische Argumentation letztlich bestätigt. Auch die Papstkritiker_innen gestehen ihm die Definitionsmacht zu, Gottes Willen auszulegen. Nur so können sie ja aus dem Inhalt dieser Rede die Schlussfolgerung ziehen, an Gott zu glauben sei gleichbedeutend mit homophob und frauenfeindlich, obwohl der Papst diese Themen ja gar nicht angesprochen hat. Das hat er eben gar nicht nötig, denn alle Welt, die Gläubigen wie die Ungläubigen, gestehen ihm zu, dass seine Ansichten diesbezüglich die Maßgeblichen sind. Was ich zum Beispiel (und ich bin da ja nicht allein) zu dem Thema zu sagen hat, ist uninteressant.
Das Vorhandensein einer obersten institutionellen Instanz, die darüber befindet, was Gott angeblich will, ist der entscheidende Unterschied zwischen katholisch und evangelisch. Es ist im Übrigen auch ein entscheidender Unterschied zwischen katholisch und muslimisch, denn auch der Islam kennt keine solche oberste und unfehlbare Instanz, die festlegt, was alle gefälligst für Gottes Willen oder den „natürlichen“ Lauf der Dinge zu halten haben.
Ich will euch hier ja nicht dauernd mit Simone Weil nerven, aber sie hat auch hierzu wieder kluge Dinge gesagt: Das „Anatema sit“, also die Selbstermächtigung der Institution Katholische Kirche dazu, festzulegen, was „wahrer“ und was „falscher“ Glaube ist, war für sie der entscheidende Grund, dieser Kirche nicht beizutreten. Und dieses Selbstverständnis ist auch meiner Ansicht nach der eigentliche Punkt, an dem man dem Auftreten des Papstes etwas entgegen setzen muss.
Mir war, ehrlich gesagt, fast schon entfallen, wie stark dieses katholische Amtsverständnis noch ist. Die Bundestagsrede des Papstes hat es mir wieder vor Augen geführt: Ihre hauptsächliche und eigentliche Bedeutung hat diese Rede dadurch bekommen, dass es ein Papst war, der sie gehalten hat, und nicht etwa wegen ihres Inhaltes.
Diese Amtsautorität ist etwas, das wir in der evangelischen Kirche schon lange nicht mehr kennen, was auch damit zu tun hat, dass es hier Pfarrerinnen gibt. In einem älteren Vortrag habe ich mal darüber geschrieben und bin zu dem Schluss gekommen, dass sich mit dem Zugang von Frauen zum Pfarramt etwas Entscheidendes verändert hat: Nicht mehr das Amt trägt den Menschen, der es innehat, sondern der Mensch muss das Amt erst einmal ausfüllen, um Autorität zu haben.
Früher war „Pfarrer“ (auch bei den Evangelischen) per se etwas Besonders. Auch der schlichteste Geist, trug er bloß einen Talar, war eine Autoritätsperson. Frauen hatten diesen „Amtsbonus“ nie. Sie mussten immer erst einmal beweisen, „dass sie das auch können“. Dies hat inzwischen auf die gesamte Amtsstruktur ausgestrahlt – auch ein Mann, der Pfarrer wird, kann sich nicht allein deshalb schon der entsprechenden Aufmerksamkeit und Wichtigkeit sicher sein. Meiner Ansicht nach ist das eine Veränderung zum Positiven. Die im Übrigen sich nicht nur in der evangelischen Kirche so abgespielt hat, sondern auch im Politischen. Seit es etwa Bürgermeisterinnen und Rektorinnen und Richterinnen und was weiß ich gibt, stehen diese Ämter in einem größeren Legitimitätsdruck, kommt es zunehmend darauf an, wie sie von der entsprechenden Person ausgefüllt werden.
Nicht alle finden diese Entwicklung gut, in der evangelischen Kirche (und auch politische Analysten tun das zunehmend) wird gerne über die so genannte „Feminisierung“ geklagt. Das sind Männer, die ihren alten Privilegien hinterher jammern, die die Frauen nie hatten, und die in einer gleichberechtigten und pluralen Gesellschaft nun auch den Männern abhanden kommen.
Und das ist – das habe ich jetzt mit Hilfe des Papstbesuches kapiert – der eigentliche Grund, warum die katholische Kirche sich mit Händen und Füßen gegen die Ordination von Priesterinnen wehrt. Mir war diese Sturheit bisher immer einigermaßen unverständlich, weil alle Argumente dafür (die Bibel, Jesus, die Tradition) ziemlich mager sind. Und weil die diversen katholischen Veröffentlichungen zum Thema Geschlechterverhältnis, wenn man sie genau liest, eigentlich gar nicht so schrecklich sind, wie es in der öffentlichen Debatte darüber manchmal den Anschein hat. (Vgl. zum Beispiel diesen Text von Luisa Muraro: „Wenn Kardinal Ratzinger ein Student von mir wäre“)
Ich glaube, jetzt weiß ich, woher diese strikte Weigerung kommt, Frauen zum Priesteramt zuzulassen. Es hat nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun, sondern damit, dass diese Ämter dann nicht so bleiben könnten, wie sie sind. Das selbstgefällige Getue älterer Herren in Roben (wer sich einmal anschauen möchte, was ich meine, kann diesen Mitschnitt einer Pressekonferenz im Rahmen des Papstbesuches anschauen) könnte keinen Bestand haben, sobald es auch Frauen in solchen Roben gäbe.
Es geht hier – wie bei der weiblichen Freiheit generell – genau nicht um Gleichstellung und Emanzipation. Es geht darum, die alte Verknüpfung von „persönlicher Meinung“ und „Maßgeblichkeit“ in Form von institutionalisierten Ämtern aufzugeben. Eine Verknüpfung, die der Papst nicht aufgeben will, und er weiß auch sehr genau, warum. Das ganze Konstrukt einer Institution, die davon lebt, für alle (Gläubigen) verbindlich den Willen Gottes auszulegen, würde dann nämlich in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.
Ich glaube, dem lieben Gott würde das gefallen. Und vernünftig wäre es auch.


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