Nein, nein, das ist nicht Religion!

Asghar Ali Enineer bei seiner Keynote zum Symposium "Heimat - christlich - Abendland" in Dürnstein. Foto: WWW.PHOTO-GRAPHIC-ART.AT, mit frdl. Genehmigung.

Nun will ich aber auch noch etwas Inhaltliches zu diesem Symposium schreiben, an dem ich derzeit teilnehme. Das Thema lautet „Heimat – christlich – Abendland“, und es geht um eine Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Trends auf konservativer Seite, „Werte“ (zumal christliche) zu instrumentalisieren, um Fremdes abzuwehren oder nationalistische Politik zu betreiben. Ich habe in den vergangenen Tagen schon so viel Interessantes gehört, dass ich gar nicht recht weiß, wo anfangen, ich brauche sicher noch ein paar Blogposts, um das zu verarbeiten.

Also fange ich einfach mit der Keynote an. Die hielt Asghar Ali Engineer, ein im interreligiösen Dialog engagierter Muslim aus Indien, der eingeladen war, weil man in Indien ja deutlich mehr Erfahrung mit Multikulturalität und Multireligiosität hat als ein unseren trotz mancher Verschiebungen doch immer noch kulturell sehr homogenen Gesellschaften in Deutschland bzw. Österreich.

Engineer hat eine klare Position, die ich sehr sympathisch finde, wobei aber noch ein paar Fragen offen bleiben. Seiner Ansicht nach ist Religion etwas radikal Individuelles und muss von Politik klar getrennt sein. Sobald sich Religion als Institution oder auch nur als Gruppe organisiert, ist sie mehr an ihrer Macht und ihren Interessen orientiert als an religiösen Werten. Und damit ist sie für Engineer eigentlich keine Religion mehr.

Er versteht es sehr gut, das immer wieder an Beispielen anschaulich zu machen: Solange es Hunger und Leid und Ungerechtigkeit auf der Welt gibt, sollen religiöse Menschen sich erst einmal darum kümmern, das abzuschaffen, anstatt über Gott oder unterschiedliche religiöse Konzepte zu diskutieren.

Vier Grundhaltungen braucht ein religiöser Mensch, um bei Engineer als solcher durchzugehen: Respekt für die Wahrheit, Demut (Humbleness), aktives Mitgefühl (Compassion) und „Subversivität“, weil sich ein religiöser Mensch gegen Ungerechtigkeit engagiert und damit unweigerlich die bestehenden weltlichen Institutionen unterhöhlen muss. Beispiele für solche wahrhaft religiösen Menschen sind für ihn Buddha, Jesus, Mohammed, Ghandi. Sie alle hätten tätig religiös gelebt und keine religiöse Institution begründet. Die das hinterher in ihrem Namen gemacht hätten, seien nicht wirklich religiös.

Hierin zeigt sich schon, dass der Hinweis, Religion müsse „unpolitisch“ sein, sich für ihn nur auf das politische Agieren von religiösen Gruppen bezieht. Religiöse Individuen hingegen werden eminent politisch handeln, um die Welt besser zu machen.

Ganz ähnlich wie Engineer argumentierte auch die indonesische Muslimin Siti Musdah Mulia, die in ihrem Vortrag unterschied zwischen einer „intrinsischen“ und einer „extrinsischen“ Religiosität, also einer, die aus eigener innerer Motivation hervorgeht und einer, die aus äußerem Druck resultiert.

Mir ist diese Position, wie gesagt, sehr sympathisch, schließlich denke ich, dass die Institutionen, so wie wir sie kennen, ohnehin ihrem Ende zugehen. Allerdings erinnerte ich mich dabei auch immer ein bisschen an dieses Kommunismus-Plakat, das bei allen negativen Aspekten immer zu der Aussage „Nein, nein, das ist nicht der Kommunismus!“ führt.

Ist es nicht etwas zu einfach, einfach allen problematischen Erscheinungsformen von Religion das Religionsein abzusprechen? In dieser Frage zeigt sich natürlich auch, dass unsere gesellschaftlichen Kontexte sehr verschieden sind. Engineer und Mulia sprechen vor dem Kontext von Gesellschaften, in denen Atheismus praktisch nicht existiert. Das Problem sind hier feindselige und gewalttätige Auseinandersetzungen, die mit religiösen Argumenten bemäntelt werden. „Nein, nein, das ist nicht Religion!“ ist da ein guter Einwand.

In Deutschland oder Österreich hingegen gibt es praktisch keinen äußeren Druck mehr, der Menschen dazu zwingt, religiös zu sein. Hier sieht sich Religion atheistischen Gegenfragen ausgesetzt, die logischerweise nicht die innere spirituelle Aufrichtigkeit einzelner Menschen problematisieren, sondern die äußerlichen Erscheinungsformen von Religion in Form von Schulunterricht, Kirchensteuern oder Anti-Abtreibungs-Kampagnen zum Beispiel.

„Nein, nein, das ist keine Religion!“ wäre da ein Scheinargument, das nicht plausibel ist. Man muss hierzulande als religiöser Mensch auch Verantwortung für die Fehler religiöser Institutionen übernehmen.

Morgen früh bin ich noch einmal bei einem Abschlusspodium mit Asghar Ali Engineer und mit Siti Musdah Muliah, vielleicht können wir das Thema der Institutionalisierung von Religion da noch einmal ansprechen.

(Falls jemand zufällig in der Nähe ist: Morgen, Sonntag, 26. Februar, 10.30 Uhr, Stift Dürnstein, Dürnstein in der Wachau, Niederösterreich)

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

15 Gedanken zu “Nein, nein, das ist nicht Religion!

  1. Heute habe ich wirklich etwas zu sagen und will nicht nur Kommentare abonnieren.

    Ich halte es für fragwürdig, Religion ins rein private zu verweisen. Erstens ist es ja so, dass religiöse Menschen inspiriert von ihrer Religion dann auch Politik betreiben, und das sehen die Menschen, denen du zugehört hast, dann auch positiv. Zweitens ist es aber auch so, dass religiöse Menschen sich gerne mit anderen religiösen Menschen treffen, um sich auszutauschen, sich gegenseitig zu stärken und inspirieren, oder um einfach zusammenzusein. Darin ist m.E. nichts Schlechtes, im Gegenteil, es ist besser, als wenn sich Menschen im stillen Kämmerlein ihre persönliche religiöse Mischung zusammenstellen. (Ich bin ja Terry-Pratchett-Fan: für ihn ist es das Gefährlichste, wenn ein Mensch aufhört, mit anderen Menschen in Kontakt zu stehen und hin und wieder anzuecken und von ihnen kritisiert zu werden. Für ihn ist das eine wichtige Quelle des Bösen.)

    Wenn sich die Gruppen eine feste Struktur geben: Auch gut. Wo also die Linie ziehen, was noch richtige Religion ist und was nicht? Brauchen wir eine solche Linie überhaupt?

    Ich will es versuchen. Die eine Seite ist die, dass Gruppen/Institutionen oft eine Eigendynamik gewinnen. Dann wird das Überleben der Gruppe zum Selbstzweck, statt dem ursprünglichen Zweck zu dienen. Das zweite ist, dass solche Gruppen Menschen mit Hang zur Macht Möglichkeiten bieten. Das gilt selbst für kleine Kirchengemeinden: Meine Mutter klagt, dass nur noch diejenigen aktiv sind, die gerne im Mittelpunkt stehen. Da steht dann auch nicht mehr der ursprüngliche Zweck im Mittelpunkt. Das dritte ist, dass Gruppen, eben Kirchen, wenn sie erst einmal start geworden sind, auch für die Mächtigen als Bündnispartner attraktiv geworden sind.

    Ich bin gerade am Überlegen, ob man all diese Überlegungen auch auf etwas anderes, z.B. Fußball übertragen kann. Und den Spruch „mit Fußball hat das, was die FIFA da macht, nichts mehr zu tun“, gibt es ja auch.

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  2. @susannah14 – Ja, in so ähnliche Richtungen gehen meine Überlegungen auch. Mal sehen, was davon wir morgen in der Podiumsdiskussion noch ansprechen können..

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  3. > In Deutschland oder Österreich hingegen gibt es praktisch keinen äußeren Druck mehr, der Menschen dazu zwingt, religiös zu sein.

    Sozialen Druck gibt es schon noch, und zwar innerhalb streng religiöser Mileus.

    Und religiösen Druck auch, wenn Kindern erzählt wird, dass sie die Gebote halten müssen, weil sie sonst von Gott gestraft werden.

    Du lebst auf einer rosa Wolke, Antje.

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  4. Hmm, in meiner Erfahrung gibt es gerade unter der alternativen Linken in meiner Umgebung einige, die in streng religiösen Gemeinden aufgewachsen sind und alle miteinander diesen Druck erfahren haben, von dem Irene berichtet. Ich selber bin in einer evangelikalen Gemeinde großgeworden und die evangelisieren auch ziemlich stark, vor allem an den Unis. Und sie sind vielleicht in der Anzahl klein, aber ideologisch recht stark und wirken sehr überzeugend, weil sie sich gegen die ,,Diktatur der Relativität“ wehren, wie David Berger mal so schön den Papst zitierte. Auf eine Art fühlen sich diese Menschen auch wie Rebellen, die sich ,dem Zeitalter nicht anpassen“. Dabei bleibt das rebellische Moment aber ein Beharren auf alten Werten; der Kapitalismus, die Marginalisierung von Menschengruppen (außer natürlich der eigenen, die viktimisiert betrachtet wird), Konsum – all das wird unhinterfragt angenommen; die Berufswahl speist sich dann meistens auch aus Ingenieuren (auf Seiten der Männer) und Grundschullehrerin (auf Seiten der Frauen, die das auch nutzen um die Kinder zu beeinflussen, aber hey in der baden-württembergischen Verfassung steht auch, die Kinder sollen ,,in Ehrfurcht vor Gott“ erzogen werden). Gehorsam ist wichtig, Unterordnung unter den Chef. Evangelikale, die politisieren, erlebt mensch ja aus der US-amerikanischen Presse sehr gut; aber die meisten, die ich kenne, tuen so, als ob sie unpolitisch sind (weil ,politisch sein“ eine Form von ,,weltlich sein“ ist). Sie reden nicht über Kapitalismus, über andere Formen der Sexualität, über Armut. Sie sind viel klüger, sie reden über annehmen und akzeptieren und geduldig sein, darüber dass die Welt immer böser wird und niemand sich einbilden soll, dass Handeln irgendetwas verbessern würde. Das ist eigentlich hochpolitisch, gerade in der Propagierung einer eigentlichen unpolitischen Haltung. Und hier sind sie gefährlich und müssen kritisiert werden. Aber andererseits ist die Form der Glaubensausübung sehr schön, die ich erlebt habe, und ich habe auch selten so fröhliche Menschen in einem Gottesdienst erlebt wie dort. Ich glaube aber, die zwei Aspekte kann man nicht trennen, sondern gehören zusammen: der Ausschluss gewisser Menschengruppen verstärkt ein ,,Wir“-Gefühl, das Beharren auf geistliche Werte macht alles noch wärmer, weil die Welt da draußen böse und gefährlich und ohne Werte ist.

    Wollte aber noch was ganz anderes sagen. Ich glaube, der Atheismus, von dem du sprichst, ist nur ein gewisser Teil, eine Art emanzipatorischer Atheismus, dessen Forderungen, die du genannt hast, aber auch in verschiedensten Formen bei Christen zu finden ist. Meine evangelikale Gemeinde selber prangert die institutionalisierte Religiösität an, das Klerus-Laien-System, den Religionsunterricht. Linke Christen kritisieren durchaus das Abtreibungsverbot, etc. Solche Kritik macht den Atheismus nicht besonders. Was mir an Atheisten aber auffällt, ist gerade dass sie ,,die innere spirituelle Aufrichtigkeit einzelner Menschen problematisieren“. Viele unterstellen eine sklavische Unterordnung unter den Willen eines willkürlich handelnden, herrschsüchtigen Gottes und damit jedem Gläubigen eine ,,Knecht“mentalität.

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  5. @Bäumchen – Ja, mit dem evangelikalen Milieu hast du natürlich recht, aber es scheint mir eben doch in Deutschland eine Minderheit zu sein, was nicht heißt, dass die Probleme für die Betroffenen nicht durchaus groß sein können. Und: Ja, die Atheisten halten Spiritualität oft pauschal für ein Problem, aber das ist im öffentlichen Diskurs nicht so ihr Punkt. Da geht es meiner Wahrnehmung nach dann eher um die Vermischung von Kirche und Politik, verhandelt wird das dann an Fragen wie Soll in Klassenzimmern ein Kreuz hängen oder darf ein Pfarrer Bundespräsident werden…

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  6. Dazu möchte ich auf den Artikel der Zeitschrift „Wunderwelt Wissen“, Ausgabe Nr. 3 vom März 2012 hinweisen: Der Gottes-Code in unserem Gehirn. „Der Mensch ist biologisch für den Glauben vorgrommaiert, behaupten Neurologen und Psychologen. Was bedeutet diese Entdeckung für uns – und für die Kirchen?“
    http://www.wunderwelt-wissen-magazin.de

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  7. Zwischen „Minderheit“ und „sowas gibt es bei uns nicht“ ist ja wohl ein Unterschied.

    Weil Du mir Bauchgefühl unterstellt hast: Hast Du denn was Besseres zu bieten? Zum Beispiel wissenschaftliche Untersuchungen drüber, wie viel Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass man in die Hölle kommt, wenn man irgendwelche Gebote nicht genau einhält? (Mit älteren Katholiken und strenggläubigen Sunniten dürften da schnell etliche Millionen zusammen kommen, aber mein Eindruck zählt ja nicht.)

    Die theologischen Akademiker-Podien, auf denen Du Dich bewegst, repräsentieren übrigens auch nur eine Minderheit.

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  8. @Antje- Schaute nochmals in das Magazin. Fand unter dem Artikel, Autor: Philipp Saller die gleiche www-adresse, wie angegeben. Das Heft erscheint Im Gruner + Jahr Verlag AG & co KG, Verlagsgruppe München, Weihenstepanerstraße 7, 81673 München, Telefon: 089-415200, Fax: 4152-565. Fand auch keine e-Mai-Adressen, außer jene zur Abo-Bestellung! wunderwelt-wissen-service@guj.de. Ist aber in Hamburg. Vielleicht einmal in München anrufen.

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  9. Ist es nicht etwas zu einfach, einfach allen problematischen Erscheinungsformen von Religion das Religionsein abzusprechen?

    Eine aktuelle Antwort: „Was die Anschläge von Toulouse bedeuten und vor welche Herausforderungen sie die muslimische Community stellen – Ein Aufsatz von Muhammad Sameer Murtaza“ http://islam.de/20027

    Eine Diskussion darüber gibt es dort:
    http://blog.zeit.de/joerglau/2012/03/23/was-mohammed-merah-mit-dem-islam-zu-tun-hat_5516

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