
Am Wochenende war ich in Kassel auf der Open Mind, einer Konferenz mit Affinität zur Piratenpartei, und sprach über das Thema „Politik und Geschlechterdifferenz“ (die Prezi steht hier, vielleicht gibt es später noch irgendwo einen Videomitschnitt (Update: Ja, gibt es inzwischen).
Dabei gab es in der anschließenden Diskussion einen Einwand, der häufig kommt, wenn ich über die Geschlechterdifferenz im Bezug auf politische und wirtschaftliche Institutionen spreche und darüber, dass diese Unterschiede zu einem politischen Konflikt gemacht werden sollten, anstatt sie zu verschleiern, auf weibliche Defizite oder „Förderbedarf“ zurückzuführen und rein quantitativ statt qualitativ zu betrachten.
Der Einwand, der dann häufig kommt, lautet in etwa: „Aber damit schreibst du ja Frauen vor, dass sie etwas anderes machen sollen als Männer“ beziehungsweise: „Ich will aber gerne in Organisationen aufsteigen und Posten übernehmen, bin ich dann für dich keine richtige Frau mehr?“
In Kassel habe ich darauf geantwortet, dass das natürlich genau nicht der Fall ist, sondern dass ich mich für weibliche Freiheit interessiere. Dass es mir also darum geht, dass jede Frau das tut, was sie wirklich will – auch dann, wenn das etwas anderes ist als die Mehrheit der Frauen tut. Dass also jede Frau, die Karriere machen will, dabei unbedingte Unterstützung bekommen soll. Dass sie eben bloß die Frage stellen sollte, ob sie diese Laufbahn wirklich deshalb anschlägt, weil sie selber das will, oder ob sie das macht, weil das heute von erfolgsorientierten Frauen erwartet wird oder um den Frauenanteil irgendwo zu erhöhen und um „frischen Schwung“ in eine ansonsten männerdominierte Organisation zu bringen.
Feminismus bedeutet für mich, nach politischen Praktiken zu suchen, die dabei helfen, dass Frauen ihr jeweils eigenes Begehren in die Welt tragen können, ohne sich dabei an von außen gegebenen Rollenerwartungen zu orientieren, also daran, wie Frauen sich jeweils für die Allgemeinheit nützlich machen können.
Beim drüber Schlafen nun fiel mir ein, dass diese Antwort noch zu defensiv war. Auch wenn ich selbst für mich den Weg an die Spitze von Institutionen oder Parteien oder Konzernen ablehne, weil es mir keinen Spaß machen würde, weil es nicht das ist, wo ich mich betätigen will, so freue ich mich doch sehr, wenn es andere Frauen gibt, die genau diesen Weg gehen wollen. Ich applaudiere jeder Frau, die Lust darauf hat, einen Posten zu übernehmen, Karriere zu machen, in eine Spitzenamt zu gelangen. Mit dem Unterschied zwischen Macht und Politik zum Beispiel beschäftige ich mich nicht, um Frauen davor zu warnen, sich mit der bösen Macht einzulassen, sondern ganz im Gegenteil: Weil dieser Unterschied meines Erachten hilfreich ist, um sich souverän gerade auch an die Orte der Macht begeben zu können. Ich bin also ganz dafür, Frauen bei ihren Aufstiegswünschen aus allen Kräften zu unterstützen, meinetwegen sogar mit Hilfe einer Quote.
Denn es stimmt natürlich, dass solche Ämter und Posten den Einfluss-Spielraum von Frauen erweitern können. Man kann als Chefin oder als Vorsitzende Dinge bewegen, und ich freue mich, wenn es Frauen gibt, die diesen Weg mit Elan und Spaß an der Sache gehen. Und ich wünsche mir, dass sie dabei unterstützt werden – gerade auch dann, wenn sie dort Dinge verändern und bewegen wollen und auf Widerstand stoßen.
Wenn ich trotzdem darauf herumreite, dass viele Frauen diesen Weg eben nicht gehen – dann gerade deshalb, weil ich das Problem durchaus sehe, dass es uns nicht wirklich weiterbringt, immer „außen vor“ zu bleiben. Allerdings beobachte ich eben auch, dass es trotz aller Gleichstellungsbemühungen immer noch sehr viel weniger Frauen als Männer sind, die den „Marsch durch die Institutionen“ attraktiv finden – so wie ich.
Und angesichts dieser Situation halte ich es für den falschen Weg, wenn man Frauen sozusagen aus Pflicht gegenüber der „Bewegung“ dazu bringen will, doch in den sauren Apfel zu beißen. Weil ich es falsch finde, wenn Frauen sich im Dienst der Partei dazu „breitschlagen“ lassen, für ein Amt zu kandidieren, nur damit der Frauenanteil wächst. Denn ich glaube, dass das nicht funktioniert, und ich halte es für eine Verschwendung weiblicher Energie – denn diese Frau muss sich dann mit Dingen beschäftigen, für die sie eigentlich keine wirkliche Begeisterung empfindet, und sie wird davon abgehalten, etwas anderes zu tun, etwas, wofür ihr Herz wirklich schlägt.
Wenn ich die signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Bezug auf historisch männliche Organisationsformen wie es zum Beispiel die Parteien sind, auf die politische Tagesordnung heben will, dann nicht, um Geschlechterunterschiede zu zementieren. Sondern weil ich diese Unterschiede, da, wo sie sich zeigen, für produktiv halte und für einen Schlüssel zu Veränderungsprozessen.
Gewissermaßen geht es darum, der gegebenen faktischen Situation – dass nämlich männliche geprägte Politikkulturen für Frauen deutlich weniger attraktiv sind als für Männer – mit Flexibilität und Phantasie beizukommen. Es ist nämlich klasse, dass Frauen unterschiedlich sind und unterschiedliche Dinge wollen, denn so können wir dem unbefriedigenden Status Quo von ganz verschiedenen Seiten beikommen.
Frauen, die innerhalb der Institutionen aufsteigen wollen, sind ein Glücksfall für den Feminismus, Frauen, die diesen Weg für sich ablehnen, weil sie keine Lust haben, sich den dortigen Spielregeln anzupassen, die stattdessen andere Dinge tun und an grundsätzlicheren Alternativen arbeiten möchten, sind ebenso ein Glücksfall für den Feminismus.
Nehmen wir die Verhältnisse doch einfach in die Zange und treffen uns dann vielleicht in einer besseren Zukunft irgendwo in der Mitte. Oder noch besser: Jenseits.

Was meinst du?