
Eine häufige Kritik an Social Media und vor allem an Facebook ist, dass die Menschen dort vor allem ihre positiven Seiten präsentieren würden, sich selbst in ein gutes Licht rücken, und dass das zu Neid bei den anderen Nutzer_innen führen würde. Irgendwas an dieser Darstellung hat mich schon immer gestört, aber ich konnte es nicht recht fassen. Jetzt habe ich aber eine Idee.
Vergangene Woche war ich Wandern im Elsass und am Freitag knickte ich dabei um und verstauchte mir leicht den Knöchel. Das postete ich auf meiner Facebook-Pinnwand, wobei tatsächlich auch sacht leise im Hinterkopf die Mahnung pochte: Schreib doch nicht immer die tollen Sachen dahin, die du machst, sondern auch mal was Negatives.
Der Post bescherte mir kaum Likes (wem sollte es denn auch gefallen, dass ich mir den Knöchel verknackse), aber ein paar besorgte Mails und Ratschläge, was nun zu tun sei. Und das gab mir zu denken: Wenn Aufmerksamkeit das rare Gut im Internet ist, wieso habe ich die Aufmerksamkeit meiner Kontakte mit meinem popeligen verknacksten Knöchel in Anspruch genommen? So sehr, dass manche sich sogar Sorgen um mich machten? Ist Facebook für so was ein sinnvolles Medium?
Darüber fiel mir auf, dass ich eigentlich auch nicht so gerne „negative“ Postings von anderen lese, und zwar genau aus dem Grund, dass ich mir dann überlegen muss, ob und was ich eventuell darauf antworte. Denn auch wenn es sich bei Social-Media-Plattformen nicht um Medien für ausschließlich enge Freund_innen handelt, sondern eher um die Organisation von „schwachen Kontakten“, so handelt es sich aber doch letztlich um Beziehungen.
Es ist also ein Unterschied, ob ich in der Zeitung lese, dass sich irgend eine Promi beim Wandern den Knöchel verknackst hat, oder ob ich das bei Facebook von einer alten Schulfreundin, einem Arbeitskollegen oder auch nur von jemandem lese, mit dem ich schon regelmäßig in Kommentarspalten unserer Blogs diskutiert habe. Bei der Promi in der Zeitung sind keinerlei Beziehungen involviert, ich kann ihr Unglück voyeuristisch zur Kenntnis nehmen, vielleicht beruhigt es sogar meinen Neid darauf, dass sie zu den Schönen und Reichen gehört, denn immerhin verknackst sie sich ja auch den Knöchel.
Eine solche Haltung kann ich aber nicht Leuten gegenüber einnehmen, die ich persönlich „kenne“, auch wenn das Kennen nur sehr lose und sporadisch sein mag. Andererseits wäre ich aber auch emotional überlastet, wenn ich die verknacksten Knöchel all meiner Facebook- und Twitter-Kontakte auch nur zur Kenntnis nehmen wollte – von ihren wirklich ernsthaften Problemen ganz zu schweigen.
Und deshalb glaube ich, dass die intuitive Praxis der Nutzer_innen von Sozialen Medien, dort eher die positiven Aspekte ihres Lebens zu veröffentlichen, aber nicht die negativen, eine sehr sinnvolle ist: Sie vermeiden damit, ihrer Timeline zuviel „Beziehungskapazitäten“ abzuverlangen. Natürlich kommt dabei unterm Strich ein geschöntes Gesamtbild ihrer Existenz heraus, aber warum sollte das ein Problem sein?
Ja, der Neid, den das angeblich bei den anderen auslöst. Das Argument überzeugt mich aber nicht wirklich. Denn erstens gleicht es sich unterm Strich wieder aus (wenn ich selber nur die positiven Aspekte poste, dann gehe ich doch wohl davon aus, dass die anderen das eher auch so handhaben). Und zweitens ist Neid nur unter einer bestimmten kulturellen Perspektive etwas Schlechtes. Man kann ihn auch als Ausdruck eines Begehrens sehen, also als eine produktive Kraft: Wenn ich bei einer anderen etwas sehe, das ich auch gerne hätte, dann hilft mir das selbst bei der Orientierung, ich komme dadurch unter Umständen auf Ideen, kann mich ermutigt fühlen oder inspiriert. (Über das Verhältnis von Neid und Begehren habe ich früher schonmal was geschrieben.)
Positive Postings über eigene Erlebnisse und Erfahrungen haben, so meine These, in Sozialen Medien eine produktive Energie, sie machen eher glücklich als depressiv, und zwar nicht nur diejenigen, die sie posten, sondern auch diejenigen, die sie lesen. Und zwar auch dann, wenn der erste Impuls der Lesenden vielleicht „Neid“ sein mag.
Postings über persönliche Unglücke oder Probleme hingegen sind im Kontext von Sozialen Medien eher unproduktiv, sie verbreiten sozusagen „negative vibrations“. Sie setzen die Lesenden unter einen gewissen Druck, sich zu überlegen, ob sie nun reagieren sollen und wie: Beileid aussprechen, Hilfe anbieten, whatever. Sie erfordern also „Beziehungsarbeit“, und die wird zwar häufig unterschätzt, ist aber anstrengend und kräftezehrend.
Von daher machen wir es, entgegen allen Unkenrufen, genau richtig, wenn wir in Sozialen Medien ein geschöntes Bild unserer eigenen Existenz malen und über Probleme, Sorgen, Unglücke und so weiter nur in Ausnahmefällen etwas posten. Hier ist es besser, sich direkt an denjenigen Kreis von Freund_innen zu wenden, von denen man sich wirklich Hilfe oder Unterstützung erhofft oder erbittet, aber sie nicht einfach unadressiert zu veröffentlichen.
Please discuss.
PS: Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel.
PPS: Anders verhält es sich mit „politischen“ Problem-Postings, also mit Nachrichten und Hinweisen auf Unglücke oder Problematisches, das nicht mich persönlich betrifft, sondern eine politische, gesellschaftliche Dimension hat. Der Unterschied liegt eben genau darin, dass solche Posts Informationscharakter haben und nicht eine Reaktion auf der Beziehungsebene erfordern.

Was meinst du?