
Ende August veranstalte ich, wie einige wohl schon mitbekommen haben, zusammen mit acht Freundinnen eine „Denkumenta“, einen Kongress zum Weiterdenken am ABC des guten Lebens. Ich habe die Organisation der Anmeldungen übernommen und stelle fest: Die dort hinkommen werden, sind alle ziemlich ähnlich wie wir selbst: Weiße Frauen zwischen 40 und 70. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel: Es sind auch einige Männer dabei, auch einige jüngere und einige ältere Frauen. Aber die meisten sind wie wir.
Überraschung? Nein, so ist das immer: Die demografische Zusammensetzung derjenigen, die etwas initiieren, spiegelt sich ziemlich genau in der demografischen Zusammensetzung derjenigen wieder, die sich für die initiierte Sache interessieren und daran beteiligen möchten.
So ist es ja nicht nur bei uns, sondern auch bei Wikipedia, um nur ein sehr offensichtliches Beispiel zu nennen 🙂
Als wir uns im März zur Progammplanung trafen, hat sich das schon abgezeichnet, denn auch diejenigen, die auf unseren „Call for Contributions“ geantwortet hatten und sich mit eigenen Beiträgen am Programm beteiligen, passen in unser demografisches Profil. Wir haben dann kurz darüber gesprochen, ob wir vielleicht aktiv gegensteuern sollten: Gezielt jüngere Frauen ansprechen? Männer ansprechen? Women/Men of Colour? Oder andere „andere“? Sollen wir versuchen, uns zu „diversifizieren“?
Schnell war uns klar, dass das Quatsch ist. Und zwar aus zwei Gründen.
Erstens sind wir „divers“. Wir sind religiös oder atheistisch, Heteras oder Lesben, haben mehr oder weniger Geld, sind Mütter oder nicht. Ganz abgesehen von den unterschiedlichen Meinungen, die uns viel Stoff zur Diskussion bieten. Es ist ein Fehler, zu glauben, Frauen zwischen 40 und 70 seien eine irgendwie homogene Gruppe.
Zweitens würde es ohnehin nicht funktionieren. Wir haben, indem wir bei der Vorbereitung von uns selbst ausgingen und dem, was uns interessiert, den Rahmen unweigerlich bereits abgesteckt. Wir können nicht von „anderen“ verlangen, dass sie sich für unsere Anliegen interessieren – wir können nur offen und einladend sein für diejenigen, die es von sich aus tun. Sie sind herzlich willkommen. Wir werden dafür sorgen, dass es auch für sie ein angenehmes und interessantes Treffen wird. Weil es uns ja ausgesprochen freut, wenn sich „andere“ für unsere Themen interessieren und den Austausch mit uns suchen.
Aber all das wird selbstverständlich nichts daran ändern, dass dieser Kongress einer sein wird, der von den Perspektiven, Interessen und Themen von „Leuten wie uns“ dominiert wird.
Wenn wir mit „anderen“ ins Gespräch und in Austausch kommen wollen, dann geht das nicht, indem wir sie dazu einzuladen, „bei uns mitzumachen“. Dann müsste die ganze Veranstaltung ganz von vorne anders geplant werden. Wir könnten dann nicht darauf warten, dass die „anderen“ zu uns kommen, sondern wir müssten zu ihnen gehen, Beziehungen aufbauen, uns für ihre Themen interessieren.
Daraus könnten sich dann neue Projekte und Initiativen entwickeln, die wir gemeinsam anstoßen, und von denen wir allein gar nicht wissen können, wie sie aussehen. Jedenfalls würden sie ganz anders aussehen, als das, was wir selbst uns vorstellen.
Vielleicht machen wir das später noch mal. Als Einzelne machen wir das schon jetzt, in diversen anderen Projekten.
Aber diesmal nicht, diesmal denken wir an unseren Themen weiter, ausgehend von uns selbst, in all unserer Unterschiedlichkeit. Und ohne uns einzubilden, wir wären der Nabel der Welt und unsere Erfahrungen und Ansichten der Maßstab für alle. Das ist der Schlüssel.
Ich schreibe das hier auf, weil es mir schon länger im Kopf herum geht, und weil ich mit der Frage: „Wie erreichen wir die anderen?“ sehr oft konfrontiert bin. Meistens fragen Leute: „Wie erreichen wir die Frauen?“ – Oft wird auch gefragt: „Wie erreichen wir die Jüngeren?“ oder „Wie erreichen wir Migrantinnen“. Mein Rat ist: Vergesst es, ihr „erreicht“ sie nicht. Euer Vorhaben, das eigene Angebot für „andere“ attraktiv zu machen, ist zum Scheitern verurteilt. Weil schon die dahinter stehende Denkweise falsch ist.
Die „anderen“ – und das gilt, so behaupte ich, generell und ist auf alle möglichen Situationen anwendbar – sind keine „Zielgruppe“, die „erreicht“ werden kann, sondern sie sind ein Gegenüber. Wer mit ihnen den Austausch sucht, darf nicht versuchen, sie irgendwie „anzulocken“, sondern muss hingehen. Also nicht fragen: „Wie kann ich es erreichen, dass sie sich für mich interessieren?“ sondern fragen: „Interessiere ich mich denn überhaupt für sie? Und wenn ja: Warum gehe ich dann nicht zu ihren Veranstaltungen?“
Und beides schließt sich ja auch gar nicht aus. Man kann an dem einen Wochenende das Eigene machen (was Offenheit für „andere“, die sich dafür interessieren, meiner Ansicht nach sowieso beinhalten sollte), und an dem anderen Wochenende sucht man den Austausch mit anderen, die aus anderen Kontexten kommen und andere Themen haben.
Wobei das Ereignis, das wirklich „alle“ umfasst, vermutlich erst noch erfunden werden muss. Und wahrscheinlich auch ziemlich langweilig wäre. Wichtig ist nämlich, sich in jeder gegebenen Situation der eigenen Position und Perspektive bewusst zu sein. Und nicht den Anspruch zu erheben, für andere sprechen zu können.

Was meinst du?