
Oft schreibe ich hier im Blog ja eher theoretisch, und in letzter Zeit oft über mein Unbehagen an der Art und Weise, wie politischer Diskurs abläuft, oder aber über die Sackgasse, in die es führt, wenn „Arbeit“ auf individuelle Erwerbsarbeit verkürzt wird. Nun gibt es ein aktuelles Beispiel dafür, das das auf so traurige Weise anschaulich macht: Das gescheiterte „Kofferträger-Projekt“ von Schwäbisch-Gmünd.
Hier gab es ein konkretes Problem, nämlich dass der Bahnhof umgebaut wird und Menschen ihre Koffer über eine provisorische Brücke schleppen müssen, was für viele beschwerlich und für manche unmöglich ist. Es kam die Idee auf, dass Asylbewerber, die dort in einer Sammelunterkunft leben, die Koffer tragen könnten, gegen ein kleines Entgelt von gut einem Euro pro Stunde – mehr dürfen Asylbewerber laut Gesetz nicht verdienen.
Stadt und Bahn fanden die Idee ebenso gut wie einige der Flüchtlinge: Der Oberbürgermeister sah darin einen Schritt zur Integration, die Bahn einen billigen Service für ihre Fahrgäste, und für einen Asylbewerber macht es durchaus einen Unterschied, acht Euro am Tag zu haben oder nicht zu haben, zumal wohl auch noch Trinkgeld dazu gekommen wäre.
Dass das ganze Konstrukt problematisch sein könnte, an koloniale Bilder vom „Kofferträger“ erinnert und Ausbeutung einer konkreten Notlage bedeutet, schien im Vorfeld niemand bemerkt zu haben, bis sich über soziale Netzwerke eine Flut an Kritik und Protesten über die Aktion entlud. Nun ist sie eingestellt.
Hätte es denn wirklich keine Lösung gegeben? Hat denn überhaupt jemand eine Lösung gesucht? Nein, so zumindest mein Eindruck, stattdessen riefen alle nur: Das geht nicht!
„Das geht nicht, dass wir den Flüchtlingen mehr als einen Euro bezahlen, denn per Gesetz dürfen sie nicht mehr verdienen!“ riefen die einen. „Das geht nicht, dass wir Flüchtlinge für einen Euro schuften lassen, das ist Rassismus!“ riefen die anderen.
Und damit war die Patt-Situation hergestellt. Niemand kam offenbar auf die Idee, dass man vielleicht eine andere Sichtweise auf das Thema „Koffertragen“ finden könnte als das der individuellen Erwerbsarbeit. Wenn es so ist, dass die Bahn „eigentlich“ bereit gewesen wäre, für diese Tätigkeit Tariflohn zu zahlen, wenn es aber andererseits aufgrund der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht möglich ist, einzelnen Asylbewerbern mehr als einen Euro auszuzahlen – hätte man nicht etwas kreativer sein können?
Wie wäre es zum Beispiel, zu sagen: Die Flüchtlinge verdienen zwar Tariflohn, bekommen aber individuell nur den vorgeschriebenen einen Euro ausgezahlt, und der Rest des Geldes geht in einen Fonds, der der Ausstattung der Sammelunterkunft zugute kommt? Das ist nur so eine spontane Idee (die nicht von mir ist, sondern von einem Freund, mit dem ich darüber gesprochen habe). Vielleicht hätte es noch andere Lösungen gegeben.
Mein Punkt ist, dass das Scheitern dieses Projektes, wie so oft, daran liegt, dass beide Seiten offenbar mehr Wert darauf legen, „Recht zu haben“, als darauf, eine gangbare Lösung zu finden. Und dass dieses Lösungfinden eben daran scheitert, dass allgemeine Prinzipien auf eine konkrete Situation angewandt werden, anstatt von einer konkreten Situation ausgehend Verfahrensweisen zu suchen, die gleichzeitig praktikabel wie auch symbolisch akzeptabel sind.
Vordergründig stehen sich hier zwei Positionen gegenüber: Die Prinzipienreiter und die Pragmatiker. Aber das ist wieder mal ein falscher Dualismus, der direkt in eine politische Sackgasse führt. Vielmehr ist es so, dass ein Prinzip, das auf die Realität nicht passt, ungeeignet ist, diese Realität zu beschreiben. Und ein Pragmatismus, der symbolisch falsche Bilder bedient, nützt auch in der Realität nichts, sondern richtet Schaden an.
Worauf es ankommt ist, die konkrete Situation ernst zu nehmen, sich also nicht mit einem Ausgang zufrieden zu geben, der konkret den Beteiligten mehr schadet als nutzt – so wie es jetzt für die betroffenen Flüchtlinge der Fall ist. Aber nicht, indem prinzipielle Einwände mit dem Pragmatismusargument abgeschmettert werden, sondern indem die Prinzipien entsprechend überdacht und verändert werden.
In diesem Fall war es das Prinzip „Jede Arbeit muss unter dem Aspekt individueller Erwerbsarbeit betrachtet werden“, das den Blick für ein kreatives Weiterdenken verstellt hat, und zwar auf beiden Seiten.
So schade.
Update: Vielleicht geht es in Schwäbisch Gmünd weiter, der OB hatte offenbar eine ähnlich Idee 🙂
Du unterstellst es ginge bei der Kritik nur um die Höhe des Lohns, das hab ich nicht so wahrgenommen. Vielmehr ging es auch um die Reproduktion rassistischer Stereotype, die sich zB an der absurden Uniform, die sie den Asylsuchenden anziehen wollten fest gemacht hat.
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@Benni – Ja, aber dafür hätte es ja möglicherweise auch eine Lösung geben können, oder?
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Ich bin da sehr skeptisch und vielleicht auch etwas mißtrauisch aus Erfahrung. Du hättest wahrscheinlich eine Lösung gesucht. Menschen, die bei Asylbewerbern Kofferträger assoziieren und an Uniformen denken sicher nicht.
Es ist zehn Jahre her, da habe ich aus Verzweiflung gesagt – und insgeheim gehofft, dass ich nicht recht habe – sie sind erst zufrieden, wenn es wieder Schuhputzer gibt. Erst dann macht dieser ganze Kapitalismus Sinn: wenn es Menschen gibt, die sich vor dir beugen müssen. Kofferträger kommt da schon ganz gut ran.
Der Kofferträger ist nebenbei männlich, Jung und gesund. Dann gäbe es noch die Jobs für weiblich, Jung und gesund – ich werde zynisch – und für unisex und gesund blieben die Toiletten. Für die ist ja auch nicht gesorgt.
Nee, wenn die Bahn umbaut, dann ist es auch ihr – und damit unser aller – Problem, die Koffer von a nach b zu bringen, für die, die das nicht alleine können.
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ich hab dazu getwittert: „ob sie wohl „Massa“ sagen müssen. Es ging nicht um eine Lösung, sondern um die Frage, wie hier die Notlage der Asylbewerber ausgenutzt wurde, um darüber hinaus reguläre Arbeitsplätze – und seien es nur befristet – für einen Hungerlohn zu verdrängen. Natürlich waren sie froh über die Arbeit. Geradezu absurd der OB, der vorschlug, die Leute mögen den Asylbewerbern viel Trinkgeld geben – statt gerechter Lohn Almosen. Nein hier geht es nicht um REchthaberei – aber dieses System weiter gedacht, sorgt dafür, dass solche Systeme bezahlte Systeme mehr und mehr ersetzen und den Hungerlohn rechtfertigen. So wie die Tafeln Teil des Ausbeutungssystems sind – und es kein Wunder ist, dass die Kirchen da dicke mit im Boot sind.
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Einmal mehr ist es dir gelungen, ein komplexes Thema auf den Punkt zu bringen, bravo!
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@Jörg Rupp – „reguläre Arbeitsplätze“ – das ist das Zentrum von allem? Nicht. Ich finde, solange der „gerechte Lohn“ keine Realität ist, und die Situation von Flüchtlingen ist, wie sie ist, ist der Verzicht auf Almosen keine Option. Ebenso wenig der Verzicht auf Tafeln. Denn dann tragen wir, die wir genug Geld zum Leben haben, gesellschaftliche Prinzipienfragen auf dem Rücken derer aus, die die ungerechten Verhältnisse ganz konkret hier und heute auszubaden haben. Deshalb gebe ich Leuten, die mich um Geld bitten, welches, auch wenn ich mir natürlich eine Gesellschaft wünsche, in der niemand „betteln“ muss. Ich finde es falsch, dies als entweder-oder zu diskutieren, Asylbewerber gegen Arbeitslose auszuspielen, Tafeln gegen soziale Grundsicherung, und und und.
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@Sammelmappe – „Der Kofferträger ist nebenbei männlich, Jung und gesund“: Auch in dieser Hinsicht wäre eine kollektive Verwendung eines Teils des Lohns für die Lebensqualität in der Sammelunterkunft ja gut gewesen. Und es ist ja auch die Frage, ob „unser“* kolonialer Blick auf „Kofferträger“ der Selbstwahrnehmung der Flüchtlinge entspricht, ich vermute, sie sehen sich bei diesem Projekt eher als diejenigen, die körperlich Schwächeren bei etwas helfen. Die Frage der Unterstützung für körperlich Schwächere ist überhaupt ein Thema, das angesichts des demografischen Wandels noch auf uns zukommen wird, und ich glaube nicht, dass der Markt oder der Staat in der Lage sind, das zu lösen.
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Und es ist ja auch die Frage, ob “unser”* kolonialer Blick auf “Kofferträger” der Selbstwahrnehmung der Flüchtlinge entspricht, ich vermute, sie sehen sich bei diesem Projekt eher als diejenigen, die körperlich Schwächeren bei etwas helfen.
In der Süddeutschen klingt das auch eher so:
http://www.sueddeutsche.de/politik/asylbewerber-in-schwaebisch-gmuend-uns-wurde-eine-grosse-chance-geraubt-1.1732099
Wobei der Aufdruck auf den T-Shirts („Service“) wirkt, als sei das eine reguläre Sache. Sieht für Uninformierte womöglich mehr nach gebuchten Leiharbeitern aus als nach freiwilliger Hilfe oder bürgerschaftlichem Engagement.
Und wie die im Artikel als Beispiel genannten Rollstuhlfahrer mit Hilfe der Asylbewerber die steile Treppe hoch kommen sollten, bleibt auch offen.
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Sorry, aber Du hast hier einfach das Thema verfehlt. Es ging nie um Normarbeitsverhältnis oder nicht, sondern um Rassismus.
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Und gegen Rassismus lassen sich nun mal leider keine pragmatischen Lösungen ausdenken.
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@Benni: Bestätigst du hier nicht nur exemplarisch die Position, die Antje mit ‚Rechthaberei‘ beschrieben hat? Viele Dinge sind rassistisch, wenn man sie grundsätzlich betrachtet, die sind aber zu komplex, um sie schnell auf facebook zu ‚beheben‘: H&M-Unterhosen für 3,99 sind rassistisch, weil in jedem Fall ein armes Schwein in Bangladesh, was sich nicht wehren kann, massiv ausgebeutet wird, und zwar (auch) von dir und mir als Käufer. Da gibt es auch sehr gute Kampagnen und WIderstand dagegen, aber das ist halt sehr komplex und schnelle Erfolgserlebnisse bleiben erstmal aus, bis auf weiteres. Und das dein Park immer so schön aufgeräumt ist, hast du auch nicht irgendwelchen weißen Mittelstandsmenschen zu verdanken. Aber haben wir dagegen auch schon mal protestiert? Ich nicht…
Warum allerdings ein sehr konkretes Projekt, welches zwar, systemisch gedacht, bestimmt Stereotypen reproduziert, allerdings auf vielen Ebenen auch sehr handfeste Verbesserungen bieten könnte (nicht für uns allerdings), so umstandslos niedergemacht wird, ist eine spannende Frage. Den Winkel mit den Normalarbeitsverhältnissen halte ich für sehr produktiv. Ich zumindest hatte auch ein diffuses Unbehagen bei dem Projekt und auch bei der Kritik daran, und eine Fixierung auf Normalarbeitsverhältnisse halte ich für eine bedenkenswerte Überlegung
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Zwei Anmerkungen:
– Ein Zusatz, dass die Erwerbsgrenze ein schlechter Witz ist, fände ich angebracht.
– Derjenige, der die „Uniform“ entworfen hat und dafür sorgte, dass einige der Kofferträger diesen albernen Strohhut tragen, hat damit bewiesen, dass das Bild des schwarzen Kofferträgers aus der Kolonie bei uns durchaus noch vorhanden ist. Bilder siehe: Gemünder Tagespost
Der Ansatz, kreative Lösungen anzustreben, ist top, die Lösung ist gelungen und sie wird vielleicht sogar umgesetzt – gut. Aber die Kofferträger werden zum einen nur für ein Provisorium benötigt und zum anderen verschwindet ja das Klischee des Kofferträgers aus der Kolonialzeit nicht, nur weil eine kreative Lösung der Bezahlung gefunden wurde.
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@Benni – Wer entscheidet denn, worum es geht? Und: Natürlich lassen sich gegen Rassismus pragmatische „Lösungen“ ausdenken (wobei ich in meinem Post NICHT für Pragmatismus plädiert habe). Man muss sich sogar pragmatische „Lösungen“ dafür ausdenken, jedenfalls dann, wenn man nicht das Privileg hat, von Rassismus selbst nicht betroffen zu sein. Natürlich keine Lösungen im Sinne von: Das ist jetzt das Ei des Kolumbus. Aber jede konkrete Situation erfordert irgend eine Art des Handelns.
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@Marc – Ja, aber das Klischee verschwindet auch nicht, wenn das Projekt abgeblasen wird.
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Schöner Text. Ich weiß nicht, ich finde diese Genugtuung der Rassismus-Rufer ob der Einstellung des Projekts auch merkwürdig. Jetzt sitzen die Flüchtlinge wieder versteckt und ohne (zu kleines) Zusatzeinkommen in ihrer Sammelunterkunft. Aber hauptsache, niemand steht unter Rassismusverdacht oder wie? Lies doch mal den angefügten Link, die Flüchtlinge waren sauer, dass es eingestellt wurde, sind trotzdem zum Bahnhof gegangen und haben das ehrenamtlich gemacht.
Ich fand einige der Rahmenbedingungen auch ziemlich unsäglich, aber es ist ja nun auch niemandem geholfen (am wenigsten den Flüchtlingen btw), wenn die versteckt in ihrer Sammelunterkunft sitzen und gar nichts machen dürfen, auch wenn sie gerne wollen und ja mir wäre es auch viel lieber, wenn wir die ganze Gesetzgebung komplett ändern würden, aber solange bin ich auch der Meinung, dass es praktikable Lösungen bräuchte, um die Situation etwas zu verbessern.
Und ich weiß nicht, aber irgendwie ists dann auch wieder absurd, wenn man sagt, dass Männer nun aber keine Koffer tragen dürfen und Frauen vllt nicht bei der Haushaltshilfe helfen dürfen, weil das ja an die Kolonialzeit erinnert, da müssten sich dann halt weiße Flüchtlinge finden oder wie?
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„“Der Kofferträger ist nebenbei männlich, Jung und gesund”: Auch in dieser Hinsicht wäre eine kollektive Verwendung eines Teils des Lohns für die Lebensqualität in der Sammelunterkunft ja gut gewesen.““ Würde frau damit nicht ein total voll krass falsches Signal senden? Nähmlich das es „Männlich, Jungen und Gesunden“ bedarf um für die Allgemeinheit zu sorgen. Oh Schreck!
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Inwiefern Koffertragen Rassimus ist, muss man aber den Kindern erstmal erklären.
Meines Wissens war in Deutschland der Kofferträger ein halbwegs angesehener Beruf und wurde i.d.R. von Deutschen ausgeübt. Mir ist daher nicht klar, woher das Kopf Rassismus da kommt?
Ist die Tätigkeit Koffer tragen mittlerweile etwas schlechtes? Deshalb dürfen dürfen es keine Flüchtlinge machen?
Das nichtanerkannte Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen, ist durchaus schon lange ein Thema. Was wohl Flüchtlinge abhalten soll „nur“ wegen dem Geld zu kommen. Aber darüber kann gestritten werden, aber dass sie nicht, wie jeder Harz IV Empfänger ihr kleines Geld aufstocken dürfen, ist wohl noch absurder.
Hartz IV Empfänger MÜSSEN im übrigen für einen Euro die Stunde arbeiten, ansonsten bekommen sie – unabhängig von der Herkunft – ihr Lebensminium gekürzt.
Ich weiß manchmal nicht, ob die Leute wirklich noch Wissen, was Rassimus und Unterdrückung bedeutet.
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„Nähmlich das es “Männlich, Jungen und Gesunden” bedarf um für die Allgemeinheit zu sorgen. Oh Schreck!“
Wieso „Oh Schreck“ – genau so ist es doch. Ohne junge gesunde Männer könnten wir unseren Wohlstand nicht einmal annähernd halten.
Im übrigen finde ich, dass die „individuelle Erwerbsarbeit“ immerhin der Ausgangspunkt sein muss – ob man mit seiner individuellen Arbeit die Gesellschaft unterstützt, hängt halt auch ganz einfach davon ab, ob diese Gesellschaft es wert ist, unterstützt zu werden.
Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass die Asylbewerber dem jetzigen Vorschlag des OB nicht zustimmen, wenn er etwa dazu führt, dass die öffentlichen Gelder für den „Arbeitskreis Asyl“ gekürzt werden, statt seine Arbeit auszuweiten, zu verbessern etc.
Ausserdem habe ich ein schlechtes Gefühl dabei, Leute mit Ein-Euro-Arbeiten zu beschäftigen und sie dann hinterher doch auszuweisen. Viele werden diese Arbeiten auch machen, weil sie hoffen, so eventuell ihr Asylverfahren positiv zu beeinflussen.
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Doch, Antje, reguläre Arbeitsplätze ist das Zentrum von allem in dieser Frage. Faire Arbeitsbedingungen, fairer Lohn. ÄWas hier passiert ist ist, dass Asylbewerber, die praktisch nicht arbeiten dürfen, an einem Ort ghettoisiert werden und ohne Beshäftigung bleiben und so in eine Notlage gebracht werden. Aus dieser Notlage befreit sie nun der Herr OB und ruft gleichzeitig dazu auf, weil sie keinen fairen Lohn bekommen, ihnen ein paar Almosen zu geben. Nutznießer sind die Bürger,die ihren Koffer nicht selbst tragen müssen, weil ihnen nun ein gesunder, schwarzer, junger, kräftiger Mann hilft und die Bahn, die einen Haufen Kosten gespart hat. Die Bahn hat wenigstens gemerkt, was sie hier tut. Diesen Job dürften keine 1-€-Jobber machen, weil sie damit reguläre Arbeitsplätze verdrängen.
Diese Modell übertragen auf andere bedeutet, man könnte sie auch für 1 € Regale in Tafeln auffüllen lassen. Man könnte Sie Schuhe in der Innenstadt putzen lassen, so als Service in der Urlaubszeit für Touristen…oder Caipirinhas im Schwimmbad servieren. Ach, ich bin sicher, es gibt noch mehr gute Ideen für Bürgermeister, die Asylbewerber haben, die sich mit Strohhut gut machen. Wie wäre es denn gewesen, wenn der Herr Bürgermeister dafür einsetzt, dass die Asylbewerber für einen gerechten Lohn arbeiten dürfen? Dazu liest man freilich nix.
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So wie ich Antje’s Text verstehe, ging es ihr vor allem darum, das beide Seiten in dieser Debatte sinnvolle Dinge sagen: 1) Rassismus reproduzieren geht gar nicht, und 2) zu versuchen die Situation der Fluechtlinge zu verbessern ist eine gute Sache. Und das es gut waere, zu versuchen eine Loesung zu finden, in der beide Seiten beruecksichtigt werden.
Viele Kommentare hier gehen ueberhaupt nicht darauf ein, sondern finden weiter Argumente gegen die andere Seite. Oft sinnvolle Argumente uebrigens, bloss das es doch eigentlich darum gehen sollte eine bessere Loesung zu finden.
Ausserdem faellt mir noch ein: bei Rassismus wird oft gesagt, man soll mit den Betroffenen reden, nicht ueber die Betroffenen. Wenn die Fluechtlinge schon sagen, sie moechten gerne diese Arbeit ausfuehren – ist es nicht genauso rassistisch, ihre Meinung einfach zu uebergehen? Auch unter diesem Aspekt finde ich es wichtig, ueber moegliche Loesungen nachzudenken.
Mir gefaellt der Text uebrigens ziemlch gut, vielen Dank Antje.
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@Charlotte – Vielen Dank, ja genau so habe ich es gemeint!
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@Jörg Rupp – Meiner Ansicht nach ist diese ausschließliche Konzentration auf „richtige Arbeit“ als Lösung für alles nicht mehr durchzuhalten, nicht nur in diesem Fall.
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„….versuchen die Situation der Fluechtlinge zu verbessern….“
Inwiefern „Koffertragen für ein Euro die Stunde“ eine Verbesserung der Situation von nicht anerkannten Asylanten ist, wäre dann aber auch erstmal zu erklären, oder?
Meine persönliche Haltung, wäre ich Asylant, wäre wahrscheinlich die, dass ich den Job mache, weil ich auf bessere Chancen beim Asylantrag hoffe.
Werde ich dann trotzdem ausgewiesen, würde bei mir nur hängenbleiben, benutzt worden zu sein – mich würde wundern, wenn die „jungen, gesunden Männer“, die mal eben für die „Gemeinschaft“ arbeiten sollen, das anders sehen könnten, aber gut.
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PS. Etwas abstrakter – man kann wohl kaum am grünen Tisch, oder a priori, entscheiden, ob eine „Verbesserung“ sich dann auch tatsächlich und für jeden oder auch nur die meisten als solche herausstellt.
Vielleicht ist es viel besser für die Asylanten, wenn sie möglichst schnell merken, keine Hoffnungen auf eine Bleibe in Deutschland setzen zu dürfen.
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Gegen Lösungen, die den Flüchtlingen eine angemessene Tätigkeit ermöglicht, hat niemand was, auch wenn das hier unterstellt wird. Komischerweise wird ihnen aber keine angemessene Tätigkeit angeboten. Warum wohl? Statt dessen setzt man ihnen Strohhüte auf und lässt sie die Koffer des Weißen Mannes tragen. Und dieser wir-haben-es-ja-nur-gut-gemeint-Rassismus ist jetzt genau weswegen ok?
Dass es Flüchtlinge gibt, die das mitmachen, ist im übrigen kein Argument. Leute in Scheiß-Situationen kann man zu allem kriegen. Es gibt tausend Möglichkeiten denen zu helfen als Kommune, warum man sich ausgerechnet diese maximal Bescheuerte aussuchen soll, ist mir auch weiterhin nicht klar. Das ist gut und wichtig, dass das verhindert wurde. Ganz ohne wenn und aber.
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„Dass es Flüchtlinge gibt, die das mitmachen, ist im übrigen kein Argument.“
Seltsam, wenn es um Prostituierte geht, ist es DAS Argument schlechthin.
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@Benni:
„Gegen Lösungen, die den Flüchtlingen eine angemessene Tätigkeit ermöglicht, hat niemand was, auch wenn das hier unterstellt wird.“ – Also, falls das auf meinen Kommentar anspielt: Das wollte ich nicht unterstellen, und das denke ich auch nciht.
„Komischerweise wird ihnen aber keine angemessene Tätigkeit angeboten.“ – Genau. Von Dir zB auch nicht. Das ist schade.
„Und dieser wir-haben-es-ja-nur-gut-gemeint-Rassismus ist jetzt genau weswegen ok?“ Das ist ueberhaupt nicht ok, und da sind wir uns glaube ich auch alle einig.
„Dass es Flüchtlinge gibt, die das mitmachen, ist im übrigen kein Argument. Leute in Scheiß-Situationen kann man zu allem kriegen. “ – Ich bin nicht ganz sicher. Das heisst also, Fluechtlingen und Leuten denen es schlecht geht kann man prinzipiell nicht zuhoeren, denn sie werden definitiv luegen um ihre Situation zu verbessern?
„Das ist gut und wichtig, dass das verhindert wurde. Ganz ohne wenn und aber.“ – Richtig. Aber jetzt koennte es ja mal weiter gehen. Jetzt koennte man sich ja mal was besseres ausdenken. Der Vorschlag von diesem Freund von Antje, den sie zitiert, ist doch schon mal nicht schlecht, oder? Ich denke, jetzt sollte man keine Energie mehr verschwenden, etwas abzulehnen was bereits abgelehnt ist, sondern bessere Loesungen vorschlagen.
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@Benni: Du hast recht damit, dass nicht alles geht, nur weil irgendjemand so verzweifelt ist, es auch zu tun. Das entbindet einen nicht davon, eine solche Praxis auf Rassismus oder sonstige Machtverhältnisse abzuklopfen.
Was sich allerdings auch als etwas problematisch erwiesen hat, ist weißes wohlmeinendes Gutmenschentum, was immer schon viel besser weiß, was für alle armen und unterdrückten Menschen das Beste ist. Und das ist hier mMn ziemlich eindeutig am Werk gewesen (bei den Protesten gegen das Koffertragen). Die Menschen im Flüchtlingsheim sagen, dies sei das Beste gewesen, was ihnen in den letzten zwei Jahren passiert ist. Ich habe zwar auch keine schnelle Lösung parat, aber diese Artikulation mit wohlmeinendem Politsprech einfach beiseite zu wischen: Das halte ich einfach für sehr problematisch…
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@Benni – Ich finde es auch gut und wichtig, dass diese Aktion in der ursprünglich vorgesehenen Form verhindert wurde. Aber es fühlt sich für mich trotzdem wie eine Niederlage an und nicht wie ein Sieg. Wenn eine antirassistische Aktion dazu führt, dass es hinterher den von Rassismus Betroffenen schlechter geht, als es ihnen ohne die Intervention gegangen wäre, ist kann ich mich damit nicht zufrieden geben, daher meine Wenns und Abers.
Konkret hatten die antirassistischen Interventionen zur Folge, dass die betreffenden Männer in Schwäbisch-Gmünd nun 20 Euro am Tag weniger haben und dass sie sich weiter in der Sammelunterkunft langweilen müssen. Außerdem dass andere Kommunen nun erst recht nicht darüber nachdenken werden, an der desolaten Situation von Flüchtlingen was zu ändern – es ist ja nicht so, dass Schwäbisch-Gmünd hier im Vergleich schlechter ist als andere, im Gegenteil. Drittens ist es überhaupt nicht gelungen, die eigene Analyse von Rassismus in irgend einer Weise anderen plausibel zu machen. Was hängen bleibt ist: Die spinnen, das sind dogmatische Rechthaber.
Ich sehe hier auch eine Frage, wie Aktivismus vor Ort und Debatten im Internet zusammenspielen. Diese Aktion wurde ja nicht vom OB allein ausgedacht, soweit ich weiß, war auch der Arbeitskreis Asyl involviert usw. Meiner Meinung nach ist es bei politischen Debatten wichtig, immer die konkrete Situation im Blick zu haben und nicht allgemeine Prinzipien dieser Situation überzustülpen. Wir „im Internet“ kennen diese konkrete Situation aber fast nie, so auch nicht in diesem Fall. Wir kennen die Akteur_innen nicht, die Verhältnisse, die Atmosphäre usw.usw. Dass eine quasi „Kontrolle“ von konkreten Vor-Ort-Aktionen durch eine distanziertere Debatte, z.B. im Internet, gut ist, weil sie in einen größeren Kontext gestellt wird, der durch die Fokussierung auf das Konkrete aus den Augen geraten kann (in diesem Fall: Strohhüte gehen in diesem Kontext gar nicht, weil…), wurde an diesem Fall sichtbar, weil die dahinter stehende rassistische Symbolik thematisiert wurde. Wenn aber dann dieser distanziert-kontextlose Diskurs über „das Wahre“ (unabhängig vom Konkreten) „gewinnt“ und das Konkrete einfach nur platt macht, also es nicht positiv beeinflusst, sondern zerstört, dann ist das etwas, woran wir imho weiter nachdenken sollten. Weil ich glaube, das ist eine Dynamik, die nicht nur hier abgelaufen ist.
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Man wundert sich über die Stereotype, die in den Kommentaren so zahlreich und gern Bezug genommen wird, auf die der Artikel ja gar nicht hinauswollte. Warum spriessen sie dennoch so zahlreich und tapfer wie Sojasprossen? Wann hat es in Deutschland jemals schwarze Kofferträger mit Strohhüten gegeben? Wie kommt man von Schwäbisch-Gmünd auf das Onkel-Tom-Stereotyp?
Es drängt sich die Frage auf, ob der Rassismus hier mehr in den Köpfen derer existiert, die ihn unbedingt in Schwäbisch-Gmünd meinen ausmachen zu müssen.
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Zu Antjes Beitrag von 09:34:
Ich verstehe was du meinst, aber ich denke nicht, dass die protestierende Szene mit „wir im Internet“ treffend beschrieben ist. Prinzipien vertreten, ohne die Auswirkungen zu bedenken oder mit den Akteuren und Involvierten zu reden, das gibt es auch ohne Internet. Im Internet wird nur leichter eine größere Welle draus.
Es ist auch nicht so, dass Kommunen nicht anders könnten als alles abzublasen, was Protest im Internet nach sich zieht. Wenn Politically Incorrect eine Welle macht, wird die ja von der lokalen Politik auch meistens ausgesessen und in der Internet-Bekloppten-Schublade versenkt. Könnte man im Prinzip auch mit linken und liberalen Wellen machen, falls man überzeugt wäre, dass die Akteure komplett falsch liegen (macht die Stadt München z.B. mit einer Anwohnerkampagne gegen ein Bauprojekt). Oder man könnte den Standpunkt vertreten, dass sie ein Problem erkannt haben, aber die falschen Konsequenzen nahe legen. (Wenn Schwäbisch Gmünd in der Schweiz läge, wäre die Geschichte womöglich anders ausgegangen.)
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Nachtrag: Ich beziehe mich auf die Kommune und die dortigen Akteure. Der Bahn ist es womöglich völlig wurst, ob die Nummer mit dem Kofferservice richtig oder falsch ist, so lange negative Schlagzeilen vermieden werden.
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Übrigens ist es meines Wissens falsch, zu behaupten, dass Asylbewerber nicht für mehr als 1.05 die Stunde arbeiten dürfen – Sie dürfen schon, nur wird jeder Verdienst über 100 Euro auf das angerechnet, was sie vom Staat bekommen.
Insofern ist mir persönlich auch nicht klar, warum die Bahn angeblich nicht Tariflohn zahlen kann. Sie kann schon – nur dass eben der Asylbewerber sein Einkommen durch die Arbeit um maximal 100 Euro aufbessern kann, es sei denn, der Tarif ist so hoch und/oder seine Arbeitszeit so lang, dass er mehr als 446 Euro im Monat verdienen kann.
Das entspräche bei 160 Arbeitsstunden im Monat einem Tariflohn von gut zwei Euro die Stunde …
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@Irene – volle Zustimmung meinerseits.
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Ich musste auch schon für einen Euro schuften. Und bei mir war es nicht freiwillig. Komscherweise ist das ok. Gabs keinen Aufschrei. Und der einzige war ich auch nicht.
Danke an rot – grün, ich denke an auch bei der nächsten Wahl.
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“ Wenn eine antirassistische Aktion dazu führt, dass es hinterher den von Rassismus Betroffenen schlechter geht, als es ihnen ohne die Intervention gegangen wäre, ist kann ich mich damit nicht zufrieden geben, daher meine Wenns und Abers.
Konkret hatten die antirassistischen Interventionen zur Folge, dass die betreffenden Männer in Schwäbisch-Gmünd nun 20 Euro am Tag weniger haben und dass sie sich weiter in der Sammelunterkunft langweilen müssen“
Schimmer ist noch: Jetzt sind sie wieder von der „normalen“ Bevölkerung getrennt, vorher wurden sie als ein wertvoller Teil inmitten der Gesellschaft gesehen.
Unabhängig davon, das die Löhne unter aller Sau sind.
Gut gemeint, schlecht gemacht.
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@Harriet
Wer kam denn auf die Idee, einem schwarzen Asylanten zum Koffertragen einen Strohhut anzudienen, und warum? Weil er so gut gegen die Sonne schützt?
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@migrokosmos, den Strohut betreffend: man hätte ihnen Bacecaps geben sollen! COOL staat Klischee….
@alle
Aber solche Vorschläge kommen halt nur, wenn friedliche Diskussionen bzw. Verhandlungen über die gemeinsam zu findenden „guten Sitten“ unter allen Beteiligten stattfinden – durchaus unter Einbeziehung der Netzöffentlichkeit.
Die aber geduldig zu führen, gar zu initiieren und zu begleiten, haben auch gutwillige Amtsträger und engagierte politisch Aktive meist keine Zeit.
Lasst uns im Rahmen unserer Möglichkeiten etwas tun, um das Dilamme kreativ und solidarisch zu lösen – dort und vielleicht dann auch in anderen Städten und Gemeinden.
Indem wir zumindest mit denen reden, an die wir jeweils rankommen… die näher dran sind…
Was passiert, geschieht – in diesem Fall ganz besonders – in unserem Namen. Das Volk (bzw. die prinzipiell am allgemeinen Wohl interessierte Minderheit) hat den Daumen gesenkt. Der Staat hat gehorcht. Das Ergebnis ist extrem unbefriedigend.
Übrigens: Angesichts der finanziellen Situation der Städte und Gemeinden wäre es allzu wohlfeil, hier mit Forderungen nach „normaler Bezahlung“ zu kommen (wobei ja für die meisten das „normale“ nicht mehr sicher, wenn nicht längst Vergangenheit ist). Und von der DB kann man alles Mögliche fordern, doch kaum hoffen, dass sie plötzlich ihre soziale Ader entdeckt – sie ist schon lange kein Staatsbetrieb mehr (und auch die waren ja nicht gerade bürgerfreundlich…).
Was Antje in einem der letzten Artikel beschrieben hat, könnte hier weiter helfen: es muss nicht immer GELD gezahlt werden!!! (Das haben wir 99% immer weniger zur Verfügung)
Warum nicht den Migranten
-> kostenlosen Eintritt in die Schwimmbäder und Museen etc. als Benefit für ihre Hilfe geben?
-> Warum nicht auf der Hompage der jeweiligen Stadt / Gemeinde das Projekt vorstellen und zu Einladungen/Begleitungen der Migranten aufzurufen – mal ein bisschen „Integration real“ persönlich ausprobieren.. da ginge was!
Letztlich lässt sich heute keine Problemlösung mehr anders legitimieren als durch TRANSPARENZ und TEILHABE. Die dann aber auch mündige Bürger braucht, die nicht in populistischen Forderungen stecken bleiben, wenn es zum runden Tisch kommt!
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Interessante Debatte. Es fehlt nur eine Frage: Wieviele Koffer sind denn am Tag von wieviel Asylanten zu tragen? Ich habe keine Ahnung, wieviel Koffer-Publikumsverkehr in Schwäbisch-Gmünd herrscht. Vielleicht stehen Preis und Leistung in einem angemessenen Verhältnis?
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Liebe Antje Schrupp,
chapeau! Ich frage mich eh, ob bei denen, die sofort „Rassismus“ riefen, das „Onkel-Tom-Bild“ vielleicht stärker noch im Kopf verankert ist als sie sich eingestehen wollen.
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